Euphorische Traurigkeit im Geist der Romantik
– Sascha Ring alias APPARAT erhebt Shelleys satirisches Gedicht „The Devil’s Walk“ zum Leitmotiv seines vierten Studioalbums. Grund genug für unsere Autorin Janine Andert zu gucken, was ein für elektronische Musik bekannter Musiker mit Romantik am Hut hat. Es sei verraten: sehr viel. Und das nicht nur inhaltlich, sondern auch musikalisch.
Die philosophische Grundhaltung der Romantik versteht Leben als ein ewiges Handeln, mit dem das Ich seine Freiheit verwirklichen will. Dieses Streben nach Freiheit kann nie aufgehoben werden. Der Mensch muss in der immerwährenden Handlung des Strebens verharren. Aufschub und Sehnsucht sind die elementaren Grundpfeiler dieses Weltbilds, „nicht um die katastrophale Ausnahme, sondern um das Wesen des Menschen zu symbolisieren.“1 Im Grunde darf der romantische Held gar nicht finden, wonach er sucht, „denn Ruhe und häusliches Glück bringen ihn in Gefahr, sich zufrieden zu bequemen.“ 2 Die unendliche Annäherung ist das eigentliche Prinzip des romantischen Denkens. „Das ist die niemals endende Sehnsucht […], das ist das Verlangen, deswegen treibt es uns in entlegene Länder, deswegen suchen wir nach dem Exotischen, reisen wir gen Osten und schreiben wir Romane über vergangene Zeiten, deswegen lassen wir unserer Fantasie freien Lauf. […] Wenn man ihnen [den Romantikern] das Zuhause, das sie suchen, wenn man ihnen die Harmonie und die Vollkommenheit, von denen sie sprechen, gewähren könnte, würden sie es zurückweisen. Im Grunde und definitionsgemäß geht es um etwas, dem man sich annähern, das jedoch nicht erfasst werden kann, weil ebendies das Wesen der Wirklichkeit ausmacht.“3
APPARAT alias Sascha Ring verbeugt sich mit seinem vierten Album vor dem großen englischen Romantiker Percy Bysshe Shelley, dessen satirisches Gedicht „The Devil’s Walk“ (1812) Pate für den Albumtitel steht. Es sind die Themen der Romantik, die APPARAT in Musik umsetzt: Tod, Verlorensein, die Reise ohne anzukommen, nächtliche Fieberträume, die Suche nach dem eigenen Ich, Abschied, die wunderbaren Momente auf diesem Weg. Und wie bei den Romantikern hört sich das oberflächlich betrachtet tieftraurig an, birgt jedoch unter der Oberfläche eine euphorische Lebensbejahung. Denn gerade das in elegische Songs verpackte Ungenügen an der Realität ist die Triebfeder der Kreativität. Damit bewegt sich Ring vom Dancefloor seiner Anfangsjahre soweit weg wie nur vorstellbar. Auch er befindet sich auf einer musikalischen Reise, die ihn auf „The Devil’s Walk“ in vernebelte Traumlandschaften führt.
Emotionaler Tiefgang
Mit zaghaften, elektronischen Frickeleien und sakralem Chorgesang öffnet das bisher abwechslungsreichste Album des Jahres. Pulsierend schließt sich der „Song Of Los“ an. Rings Stimme fügt sich mit warmem Indie-Kolorit in die elektronische Soundcollage. Man möchte ja nicht schon wieder den Begriff Indietronics bemühen, aber hier passt er. „Black Water“, einer der schönsten Titel des Albums, baut sich langsam zu einer epischen Hymne auf, die im Refrain herzergreifend explodiert. Die Ähnlichkeit zu Dead Cab For Cuties „You Are A Tourist“ ist frappierend. Da lag wohl gerade ein Vibe in der Luft. In „Goodbye“ erreichen Gänsehautfaktor und dunkle Stimmung durch Gastsängerin Soap&Skin ihren Höhepunkt. Im nächsten Track lichten schöne Tage und Sonnenschein den wolkenverhangenen Himmel. „Your House Is My Work“ lässt wiederum Rings Gefallen an James Blake erkennen und bereichert das Album um eine weitere musikalische Facette. Nach zehn Songs hält einen „The Devil’s Walk“ so gefangen, dass man ferngesteuert die Repeat-Taste drückt, weil man immer und immer wieder sich den treibenden Wogen der Musik hingeben und nicht ankommen will am Ende der Platte.
Überraschend wie weit eine der treibenden Kräfte elektronischer Musik der letzten Dekade Beats und Dance-Attitüde zurückschrauben kann. Nicht nur als APPARAT, sondern auch als Mitglied von MODERAT sind wir andere Töne von ihm gewohnt. Co-Produzent Patrik „Nackt“ Christensen (Ex-Teil von WARREN SUICIDE) ist ebenfalls nicht für ruhige Klangteppiche bekannt. Rings Mexiko-Aufenthalt in 2010 scheint tiefe Spuren hinterlassen zu haben. Dort entstanden während eines Arbeitsurlaubs die ersten Songskizzen für „The Devil’s Walk“.
Was sagt uns das? Auch elektronische Tüftler, die Massen in Ekstase versetzen, tragen einen kleinen Romantiker im Herzen, setzen sich kritisch mit der Welt auseinander, in der sie konstruktiv ihren Platz suchen. Das spiegelt sich in einer konsequenten musikalischen Weiterentwicklung wider, die sicherlich mit „The Devil’s Walk“ noch keine Ende gefunden hat. Eher ist der Hörer Zeuge eines neuen Anfangs, der sich auch im Wechsel vom legendären Elektro-Label Shitkatapult (Ring war hier Mitbetreiber) zu Mute manifestiert. Nicht zu Tode betrübt, sondern melancholisch jauchzend muss dieses epische Werk eines mit Songwriterqualitäten überzeugenden Musikers verstanden werden. Ein emotionaler Tiefgang, den Thom York schon früh erkannte und MODERAT als Support von Radiohead verpflichtete. Wer die experimentellen Seiten von Radiohead mag, wird dieses Album lieben – und der Rest der Welt auch.
Janine Andert
APPARAT: The Devil’s Walk. MUTE (GoodTo Go). Zur Homepage, Facebook und MySpace.
Quellen: ¹ Manfred Frank: Die unendliche Fahrt, S. 73. ² Borries: Romantik, S. 83. ³ Isaiah Berlin, S. 182ff.