Geschrieben am 16. Dezember 2017 von für Musikmag

Berthold Seliger: Klassikkampf

klassikkampfEmphatischer Aufruf

Klassische Musik, der Besuch einer Oper oder einer klassischen Konzertes, ist, so zeigen es Studien und der gesunde Menschenverstand, etwas für die besseren Schichten und die ältere Generation. An dieser Tatsache ist seit Jahrzehnten nicht zu rütteln. Warum aber ist das so und muss das so sein? Konzertveranstalter Berthold Seliger hat ein Buch darüber geschrieben, wie der Betrieb funktioniert und wie man die Verhältnisse ändern kann.

Aber was ist eigentlich diese sogenannte „ernste Musik“? Welche Kriterien legt man an sie an? Seliger schlägt drei Kriterien vor: Wahrhaftigkeit, Anspruch und Allgemeinverständlichkeit. Das kann für Werke von Mahler oder eine Komponisten der Neuen Musik ebenso gelten wie für die letzte Platte von Patti Smith, und diese Allgemeingültigkeit macht Seligers Vorschlag sehr ansprechend.

Sein Buch ist ausdrücklich für Menschen geschrieben, die sich noch nicht so gut mit klassischer Musik auskennen. Daher gibt es auch einen Link zu einer hilfreichen Spotify-Playlist, die alle im Buch genannten Werke in der Reihenfolge ihres Vorkommens enthält.

Was diese Musik allerdings nicht sein sollte, ist beruhigende spießige Abendunterhaltung für die besseren Kreise. „Bis weit ins 19. Jahrhundert war die Musik, die öffentlich gespielt wurde, automatich ‚modern‘, sogar ausdrücklich ‚zeitgenössisch‘. Es wurden kaum ‚alte‘ Werke aufgeführt, die Konzerte boten ’neue‘ Musik. Und die meiste neue Musik klang ungewohnt und wurde oftmals abgelehnt“, so Seliger. Heute sieht es anders aus. Wenn irgendwo ein Beethoven-Opus gespielt wird, dann meist bei einer pathetischen Festveranstaltung als bombastische Untermalung.

Seliger ist ein emphatischer Linker, und am Ende dieses 500 Seiten starken Buches hält er eine ebenso emphatische Rede für die Selbstermächtigung jedes Einzelnen. Beethoven ist dabei sein Hausheiliger, einer, der schon im 18. Jahrhundert für die Freiheit des Geistes kämpfte. Mit Bezug auf die Frankfurter Schule um Adorno und Horkheimer plädiert Seliger für den Marsch durch die Institutionen. Man kann nicht anders, als Seliger in seinen Kampf folgen zu wollen.

Tina Manske

Berthold Seliger: Klassikkampf. Ernste Musik, Bildung und Kultur für alle. Matthes & Seitz 2017.