Geschrieben am 22. April 2015 von für Musikmag

Blitzbeats

Neue Platten von und mit Brigitte, Florian Fricke/Popol Vuh und Sufjan Stevens, gehört von Tina Manske (TM) und Christina Mohr (MO).

brigitteBrigitte: A Bouche que veux-tu

(MO) Es gibt eine Menge Gründe, weshalb man das französische Duo Brigitte so richtig doof finden könnte: Sylvie Hoarau und Aurélie Saada plündern hemmungslos die Disco-Grabbelkisten der Siebziger und Achtziger Jahre und präsentieren sich als sündige Verführerinnen mit Schmachtstimme und viel Lipgloss. Ihre Lieder werden als Untermalung für Kosmetik- und Klamottenwerbung benutzt, und ihr erstes Album betitelten Aurélie und Sylvie ganz unverblümt, „Et vous, tu m’aimes?“ („Und du, liebst du uns nicht?“).

Manch eine/r zückt da vielleicht vorschnell den Stempel „Tussis“ – was ein unverzeihlicher Fehler wäre. Denn aus den oben genannten Gründen sind Brigitte, die sich nach einer Reihe berühmter Brigittes wie Bardot, Fontaine, Lahaie benannten, vor allem eins, nämlich toll. Wem das suspekt vorkommt, soll doch bitte mal ihr Coveralbum „Encore“ aus dem Jahr 2012 anhören, auf dem sich die beiden mit entwaffnender Chuzpe George Michaels „I Want Your Sex“ ermächtigen, und einen Song des französischen Rock’n’Roll-Idols Johnny Hallyday neu interpretieren. Oder, der noch bessere und aktuellere Tipp: Brigittes neues Album mit eigenen Songs. „A Bouche que veux-tu“ entstand auf Reisen während Brigittes letzter Tournee, und alle zehn Stücke sind Hits. Der Einstieg mit „L’Èchappée belle“ könnte nicht ohrwurmiger gelungen sein, über eine Synthie-Linie á la Kraftwerk schiebt sich ein Discofox-Rhythmus, die Melodie kriegt man sowieso nicht mehr aus dem Kopf.

Und so geht es weiter: Kuhglocken, Reggae-Vibes, aufwendige Diven-Arrangements mit Streichern, Bläsern und buchstäblichem Strobo-Gewitter, Texte über Liebe und Leidenschaft, mal zart und zuckersüß („Oh Charlie Cheri“), dann ganz abgebrüht („Embrassez-vous“) oder fatalistisch („Les filles ne pleurent pas“). Brigitte ist die coole Blondine mit Sonnenbrille, das von den anderen Mädchen zunächst abgrundtief gehasst, aber insgeheim abgöttisch verehrt wird.
Video „A bouche que veux-tu“

www.vevo.com/watch/brigitte/A-bouche-que-veux-tu/FRPJE1400011

Brigitte: A Bouche que veux-tu. B. Records (Sony).

popolvuh_kailashFlorian Fricke/Popol Vuh: Kailash

(TM) Florian Fricke war in den 70ern Kopf der Band Krautrockband Popol Vuh, die zusammen mit Can, Amon Duul, Ash Ra Tempel und anderen die internationale Musikszene nachhaltig aufmischte. Außerdem schuf er die Soundtracks für Filme die Filme von Werner Herzog, wie „Nosferatu“ oder „Fitzcaraldo“. Die Neuveröffentlichung „Kailash“ aus dem Hause Soul Jazz nun präsentiert intime, ambiente Klavieraufnahmen aus Frickes Archiven, viele bis dato nicht veröffentlicht. Dies entspricht einem Wunsch Frickes (der im Dezember 2001 starb), denn schon immer empfand er seine Piano-Aufnahmen als Herz des Sounds von Popol Vuh. Auf der Platte sind nun Skizzen zu entdecken, die Stücke von Popol Vuh inspiriert haben, aber auch ganz eigenständige Strukturen und Muster – Ausgangspunkt sowohl für den Komponisten als auch für den Hörer. Kailash, so nennt sich der heilige Berg in Tibet, Nabel der Welt für diverse Religionen – aber eben auch für diesen Initiatonsritus der ost-westlichen Musik.

Popol Vuh: Kailash. Soul Jazz Records.

sufhanstevens_carrielowellSufjan Stevens: Carrie & Lowell

(TM) Es ist das bisher persönlichste Album des großen Melancholikers Sufjan Stevens. Und es ist ein ganz leises, was nach dem überbordenden und überwältigenden „Age Of Adz“, das vor einigen Jahren auf den Tanzboden einlud, zunächst überrascht. Dann aber auch wieder nicht, denn Stevens verarbeitet auf seiner neuen Platte den Tod seiner Mutter, zu der er ein problematisches Verhältnis hatte. Sufjan war noch ein kleiner Junge, als die Mutter die Familie verließ. Auf „Carrie & Lowell“ – benannt nach seiner Mutter und seinem Stiefvater – erzählt Stevens sehr persönliche Geschichten und bietet ganz unverschlüsselte Einblicke in sein eigenes Seelenleben.

Dabei erklingt wenig mehr als seine Stimme und seine Gitarre, in der Tradition der großen Singer/Songwriter wie Simon/Garfunkel, Elliott Smith oder Gordon Lightfoot. Ist die gesamte Platte schon ein Meisterwerk, so liefert Stevens mit „Fourth Of July“ seinen Eckstein ab – niemand hat und niemand wird jemals die Worte „we’re all gonna die“ mit solch einer warmherzigen Hoffnung von sich geben. „Everything I feel returns to you somehow“ – dieses Album ist keine Abrechnung, es ist pure Liebe.


Sufjan Stevens: Carrie & Lowell. Astmathic Kitty (Cargo).

Tags : , , ,