Geschrieben am 17. September 2014 von für Musikmag

Blitzbeats

Neue Platten von und mit Gudrun Gut und Jochen Irmler, TOPS, Deine Lakaien, „Low Fidelity“, Jewish Monkeys und Karen O, gehört von Ronald Klein (RK) und Christina Mohr (MO)

gutirmlerGut/Irmler: 500 m

(MO) Die Versuchsanordnung von „500 m“ macht neugierig: Elektropionierin Gudrun Gut (Malaria!) trifft auf Krautrock-Legende Jochen Irmler (Faust), um in dessen Studio in Scheer an der Donau ein gemeinsames Album aufzunehmen. Also Techno versus Trance, Aufgeräumtheit vs. Ausfransen – so trennscharf sind die Grenzen dann aber doch nicht verlaufen, und irgendwie sieht man ja schon am Cover (beide in gemütlicher Leisure Wear), dass „500 m“ eher cosy als clashing ausgefallen ist. Viel Material ist im 500 Meter über dem Meeresspiegel befindlichen Studio entstanden: Irmler improvisierte auf der Orgel, Gut programmierte die Drums und raunte/sprachsang dazu.

Zuhause in Berlin übernahm Gudrun Gut dann das Editing und brachte Struktur in die mäandernden, manchmal halbstündigen Tracks. Die fertigen Stücke tragen suggestive Ein-Wort-Titel wie „Mandarine“, „Chlor“ oder „Noah“ und belegen, dass Irmlers und Guts musikalische Ansätze keine Gegenpole sind, sondern sich organisch ergänzen. Gudrun Guts Vision von Techno war ja schon immer dem teutonischen Viervierteltakt diametral entgegengesetzt (siehe quasi alle Releases auf ihrem Label Monika) und passt deshalb besser als man zunächst vermuten könnte zu Irmlers psychedelischem Gedaddel.
Fazit: Kein wirklich aufregendes, eher gemütliches Tete-à-Tete zweier Leute, die sich gut verstehen.

Gut/Irmler: 500 m. Bureau B (Indigo).

topsTOPS: Picture You Staring

(MO) TOPS sind ein Quartett aus Montreal und machen Popmusik. Mit dieser lapidaren Aussage könnte man es bewenden lassen – aber es ist doch angeraten, sich etwas intensiver mit dem zweiten Album von Jane Penny, David Carriere, Riley Fleck und Madeline Glowicki zu befassen, vor allem, wenn man Pop im Geiste der frühen Cardigans, Fleetwood Mac zu „Rumours“-Zeiten oder schmalzige Hitballaden der mittleren Achtziger Jahre mag. Wichtig dabei: TOPS sind keine Retroband, die nach möglichst nostalgischen Sounds sucht. Vielmehr haben sie – bedingt durch ihre gemeinsame Vergangenheit in der Synthie-Punkband Silly Kissers – einen unverkennbaren DIY approach: Die Band hat „Picture You Staring“ komplett selbst produziert, selbst aufgenommen und gemixt.

Im Zentrum der zwölf transluziden Songs stehen Carrieres melodische Gitarre und vor allem Jane Pennys süße (nicht: süßliche), schwebende Stimme, in der Melancholie und Glamour gleichermaßen mitschwingen, was in Sound und Stimmung zuweilen an das Lo-Fi-Meisterwerk „Colossal Youth“ der Young Marble Giants erinnert. „Picture You Staring“ ist keine Platte zum Ausflippen, Nächte-Durchtanzen oder Bestzeiten mit der Runtastic-App erzielen: Songs wie „Way To Be Loved“ oder „All The People Sleep“ geben dem Pop Charme, Würde und Liebenswürdigkeit zurück.

TOPS: Picture You Staring. Arbutus (Cargo). Zur Facebookseite.

deinelakaienDeine Lakaien: Crystal Palace

(RK) Rechtzeitig zum 30-jährigen Bandjubiläum im nächsten Jahr erscheint ein neues Studioalbum der süddeutschen Formation Deine Lakaien, die wie gewohnt an den Schnittstellen Dark Wave, Elektronik und Avantgarde agiert. Acht Studioalben in 30 Jahren machen deutlich, dass das Duo nicht auf den normalen Platte-Tour-Rhythmus setzt, sondern nur veröffentlicht, wenn die Zeit reif scheint. Umso höher sind die Erwartungen an das jeweilige Werk. „Crystal Palace“ stößt die eingefleischten Fans nicht vor den Kopf. Die beiden Tracks „Nevermore“ und „Farewell“ leben von der großen Geste, die Alexander Veljanov mit theatraler Stimme in Szene setzt. Im Schauspiel (das Veljanov bekanntermaßen als Theaterwissenschaftler sehr ausführlich untersuchte) würde man vom Overacting sprechen.

Und tatsächlich: „Forever And A Day“ sowie „The Ride“ leben von moderner Rhythmik und treibenden, aber nicht umschmeichelnden elektronischen Elementen, die Ernst Horns Händchen als Komponisten und Arrangeur hervorragend hervorheben. Musik und Gesang zelebrieren einen dynamischen Dialog, der sich nicht um Genres schert. „Where The Winds Don’t Blow“ drosselt mit dezentem keltischen Einschlag das Tempo. Mit Brüchen arbeiten auch die folgenden Songs, darunter der Titeltrack. So wirkt die Musik sperriger und weniger warm als in der Vergangenheit, was unterm Strich deutlich reizvoller wirkt als die Fortsetzung eingeschlagener Pfade. Es gibt genügend Bands, die altersmilde und zahnlos wirken. Deine Lakaien gehören definitiv nicht dazu.

Deine Lakaien: Crystal Palace.99999 (Soulfood Music)

Various-Artists-Low-Fidelity-200x200Various Artists: Low Fidelity

(RK) In Nick Hornbys Kultroman „High Fidelity“ ist der Protagonist Rob Fleming ein 35-jähriger Nerd, der von seiner Frau verlassen wird. Endlich kann er zu Hause wieder rauchen und ungestört im Plattenladen stöbern. Das Sampler „Low Fidelity“ ist weniger nerdig, aber ebenfalls mit einer starken Verbindung zu einem Plattenladen gesegnet. Im Hamburger Karoviertel befindet sich seit 2006 der Shop „Hanseplatte“, der ausschließlich lokale Künstler vertreibt. Die Erfolgsgeschichte des Ladens offenbart Zweierlei: Zum einen, dass sich das Karoviertel offensichtlich erholt hat (man denke an die desolaten 90er-Jahre, kongenial von 2Bias (R.I.P.) auf „Bei uns im Viertel“ festgehalten) und die Szene auch außerhalb der kulturzentralistischen Hauptstadt Berlin lebendig und vielfältig ist: „Aber die Musikszene der Stadt am scheinsauberen Fluss produziert auch permanent! Da wird nicht lang gefackelt, warum erst warten, bis man nach Berlin zieht?“, heißt es in der Presseinfo.

Das ist tatsächlich auf den Punkt gebracht: „Low Fidelity“ vereint die lässigsten Musiker fernab des Hamburger Mainstreams. Diese müssen nicht einmal ihr Best-Of-Ouevre aus dem Hut zaubern, sondern bezaubern mit wunderbar verspulten und weniger bekannten Tracks, die Insider von Live-Performances kennen. „Low Fidelity“ enthält somit ausschließlich unveröffentlichte Songs vom Hamburger Who-Is-Who: Adolf Noise, Die Sterne, Erobique, Rocko Schamoni, Kid Kopphausen, Almut Klotz & Reverend Dabeler, Saal 2, Heinz Strunk, Felix Kubin, Schorsch Kamerun, Jens Rachut, Lambert, Tocotronic bis Deichkind. Großartige Kompilation!

Various Artists: Low Fidelity. Staatsakt (Rough Trade).

jewishJewish Monkeys: Mania Regressia

(MO) Diese Albumvorstellung kommt – unverzeihlicherweise – zu spät, um auf die Deutschlandkonzerte der Jewish Monkeys hinzuweisen, die Tour endete am 12.9. Denn beim Hören von „Mania Regressia“ wird sofort unmissverständlich klar, dass diese Musik für die Bühne, fürs Liveerlebnis gemacht ist: Klezmer, Balkan-Pop, jüdische Melodien und burleske Zirkusmelodien treffen auf Surf, Rock’n’Roll und vor allem auf komische, bitterböse und häufig echt versaute Texte. Wer auf Gogol Bordello steht, wird mit den Jewish Monkeys sehr glücklich sein, aber was Ronni Boiko, Jossi Reich und Gael Zaidner zu bieten haben, ist nicht nur wegen der wilden Musik und den derben Lyrics interessant – hier ist eine Band mit einer wirklich außergewöhnlichen Geschichte: Ronni und Jossi lernten sich in den 1970er-Jahren im Knabenchor der Frankfurter Synagoge kennen und wurden Freunde fürs Leben.

Jahrzehnte später – die beiden lebten inzwischen in Tel Aviv und arbeiteten als Veterinär und Schriftsteller – trafen sie den Psychologen Gael, der als singender Komiker auftrat. Von dessen Talent angestachelt, gründen sie die Jewish Monkeys – ein schmutziger Begriff übrigens, den nur jüdische Leute über sich selber sagen sollten… In ihren Songs nehmen die Drei kein Blatt vor den Mund, es geht um Sex, Politik, Sex, Politik und ein paar andere Sachen, über die man sich nach drei Glas Wein wunderbar streiten kann. Oder: Zur Musik der Jewish Monkeys entfesselt tanzen und mitsingen – die Band macht es auch Goys (jüdisches Wort für Nichtjuden) sehr leicht: Sie covern leidenschaftlich gern, zum Beispiel fallen sie über Harry Belafontes „Banana Boat“ her und mashen es mit „Hava Nagila“, oder bearbeiten „Add It Up“ von den Violent Femmes auf ihre ganz spezielle Art. Wie bereits angedeutet: Auf der Bühne überzeugen die Monkeys garantiert noch mehr als im heimischen Wohnzimmer. Die Tour soll übrigens fantastisch gewesen sein, ich glaub´s sofort.

Jewish Monkeys: Mania Regressia. Greedy For Best Music. Zur Facebookseite.

crush songsKaren O: Crush Songs

(MO) Karen Orzolek alias Karen O macht´s zurzeit allein: Ihr „Moon Song“ zum Spike Jonzes Film „Her“ wurde mit einer Oscar-Nominierung geehrt, jetzt erschien ihr Soloalbum „Crush Songs“. Sie habe sich mit „27 nicht vorstellen können, sich jemals wieder zu verlieben“, sagt die Sängerin der Yeah Yeah Yeahs, die vierzehn „Crush Songs“ sind quasi Dokumente ihres lebenslangen Gezackers mit der Liebe. Vor sieben Jahren machte Karen O eine besonders dramatische Episode mit David Sitek durch und nahm zur Therapie und als Geschenk für Sitek „KO at Home“ auf, ein inzwischen legendäres Album, das nicht zur Veröffentlichung gedacht war und doch seinen Weg durchs Netz machte – „Crush Songs“ schließt an diese Home Recordings an und klingt allerdings noch roher und ungeschliffener als das ältere Werk.

Wie hinskizziert wirken die zumeist kurzen Songs, aber auch klassisch und genau richtig, so wie sie sind, selbst wenn ein Griff mal nicht zu sitzen scheint – vielleicht sind die vermeintlichen Fehler auch Absicht, wer weiß. Der hochglänzende Synthie-Wave-Disco-Pop der Yeah Yeah Yeahs wäre jedenfalls too much bei intimen Songs wie „NYC Baby“ und „Day Go By“, die nur aus Stimme, Gitarre und unauffällig tuckernden Beats von der Drummachine bestehen und die von verletzten Gefühlen und ausgeträumten Träumen erzählen. Ihre Lo-Fi-Persona steht Karen O sehr gut – was nicht heißen soll, dass wir ihre glamouröse Yeah Yeah Yeah-Performance nicht auch zu schätzen wüssten.

Karen O: Crush Songs. Cult Records (Rough Trade). Zur Facebookseite.

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