Neue Platten von und mit KREIDLER, Jean Michel Jarre und Miles Davis, gehört von Tina Manske.
Raum ausloten
Nachdem ich auf der letzten Berlinale den tollen Film „The Airstrip“ von Heinz Emigholz gesehen habe, in dem die Musik von KREIDLER eine bedeutende Rolle spielt, freut es mich umso mehr zu hören, dass auch das neue KREIDLER-Album „ABC“ von einem Emigholz-Film begleitet sein wird („2+2=22 [The Alphabet]“). Der Filmemacher und die Band passen so gut zueinander, weil sie beide dasselbe Ziel verfolgen: den Raum ausloten in Momentaufnahmen, und dabei ohne Kompromisse die eigene Ästhetik verfolgen.
Filme von Emigholz machen klar, was Sound dem Bild eines Ortes hinzufügt. Und um an Orte zu kommen, muss man manchmal auch reisen: „ABC“ wurde aufgenommen in Tbilisi an der ehemaligen Seidenstraße, da, wo Orient und Okzident aufeinandertreffen. Auch im Sound mischen sich hier ein ums andere Mal westliche und östliche Einflüsse, zum Beispiel im Opener „Nino“. Das Schlagezeug Thomas Kleins gibt wieder einmal den Ton (ja!) vor, aber zum ersten Mal haben KREIDLER auch mit einem Chor gearbeitet, auch bei „Alphabet“, bei dem eine androgyne Stimme in fremder Sprache das Abc aufsagt. Bei „Ceramic“ wird es sphärisch, „Tornado“ wiederum wird bestimmt von abgehackten Stimmschnippseln. Die Arbeit mit der menschlichen Stimmer erinnert angenehm an Jarre und sein „Zoolook“.
Auch mit ihrer neuen Platte sind KREIDLER also wieder das Maß aller Dinge, wenn es um krautrockistischen Minimalismus, stoisches Brett-Durchspielen und hypnotische Beats und Sounds geht. Und jetzt freu ich mich einfach nur wie Bolle auf den Film!
KREIDLER: ABC. Bureau B (Indigo).
Elektro-Pionier
Ja, das waren noch Zeiten, als auf einer CD nur ein Stück drauf war, in mehreren Teilen, „movements“. Jean Michel Jarre schrieb Elektromusik-Geschichte mit Alben wie „Oxygene“, „Equinoxe“ und „Magnetic Fields“ (bzw. „Les chants magnetiques“). „Oxygene“, man muss sich das mal vorstellen, war 1976 in den Billboard-Charts auf Nr. 1, und zwar in der Woche, in der Elvis starb (und der in dieser Woche die Chartränge zwei bis sieben besetzte).
Es ist gleichzeitig erhebend wie erschreckend, nach mehr als 20 Jahren diese Stücke wiederzuhören, z. B. auf den jetzt erschienenen neu gemasterten Alben, die Sony Music herausbringt. Erhebend, wenn man sich den Studioaufnahmen zuwendet, die nun tatsächlich in einer sehr guten Qualität vorliegen. Anders sieht es aus, wenn man die Aufzeichnungen der Konzerte anhört, die Jarre in China, Houston, London und Lyon gegeben hat. Da wird das Jubeln der Menschen, das Geklatsche und Gejohle viel zu weit in den Vordergrund gemischt. Überhaupt: wenn Menschen anfangen, zu Jarre-Stücken im Rhythmus zu klatschen, wird einem schnell übel. Es zeigt sich dann, was die späteren Stücke des Elektro-Pioniers eben auch teilweise sind: ziemlich vorhersehbarer, durchgenudelter Mainstream-Ballermann-Techno.
Bei den Liveaufnahmen bekommt man sehr prominent die Reaktionen des Publikums mit, das auf die visuellen Reize der Show reagiert. Da fehlt dem Hörer natürlich die entsprechende Information, um das für sich zu übersetzen. Die Livetakes sind also vor allem für Hardcore-Fans interessant, die Studioalben für jeden ein Muss, der seine Sammlung komplettieren möchte.
Jean Michel Jarre: Oxygene; Equinoxe; Magnetic Fields; Cities In Concert: Houston, Lyon; Destination Docklands; The Concerts In China. Alle Sony Music.
Die Geburt von Fusion
Die Auftritte von Miles Davis und seinen Mitmusikern im New Yorker Club Fillmore im Jahr 1970 sind aus mehreren Gründen legendär. Nicht zuletzt war es die Präsentation einer an diesem Ort, an dem normalerweise die Größen des Rock’n’Roll zu Gast waren, ungewohnten Musik. Es war der Triumph des schwarzen Mannes an der Stelle, an der sonst die jungen Weißen das Sagen hatten.
Kurz vorher war das Album „Bitches Brew“ erschienen, auf dem Davis die Inspirationen von Woodstock aufgenommen hatte und das heute als Initialzündung der Fusion-Musik gilt. Der Auftritt war also eine logische Konsequenz dieser Neuausrichtung. Chick Corea und Keith Jarrett an den Keyboards lieferten im Fillmore explosive Performances, und Davis selbst war auf der Höhe seiner Kunst. Aufnahmeleiter an den Abenden war Teo Macero, und die Recordings erscheinen nicht zum ersten Mal. Auf den bisherigen Veröffentlichungen allerdings hatte Macero aus den Performances jeweils 20-minütige Zusammenschnitte gedrechselt. Auf „Davis At The Fillmore“ sind nun die vier Abende in voller Länge zu hören, und das lohnt sich.
Die neue Edition präsentiert neben den vier CDs mit den Auftritten der Tage zwischen dem 17. und 20. Juni 1970 ein schön gestaltetes Booklet mit tollen Bildern und informativen Linernotes.
Miles Davis: At The Fillmore. Columbia.