Neue Platten von und mit Nadine Shah, Die wilde Jagd und Danielle de Picciotto, gehört von Tina Manske (TM) und Christina Mohr (MO).
Nadine Shah: Fast Food
(MO) Wer bisher Nadine Shahs Musik nur gehört, sie aber noch nicht live gesehen hat, könnte sich durchaus wundern über den handfesten Humor, den die hochgewachsene Britin mit pakistanisch-norwegischen Wurzeln auf der Bühne verbreitet. Mit rauchiger Stimme reißt Shah wodkagetränkte Witze, was einen eigentümlichen und sehr sympathischen Kontrast zum düsteren Gothic-Blues ihrer Musik bildet – aber schließlich neigt ja auch Nick Cave, mit dem Shah oft verglichen wird, zum auflockernden Spruch.
Überhaupt wird Nadine Shahs Name gern im Zusammenhang mit anderen MusikerInnen genannt, zum Beispiel mit PJ Harvey und Anna Calvi, wobei sie mit ersterer den Hang zur Moritat, mit letzterer das vibrierende, samtige Timbre in der Stimme gemein hat. Mit ihrem zweiten Album stellt Shah indes eindrucksvoll klar, dass sie eine absolut eigenständige und unvergleichliche Künstlerin ist: Stand auf ihrem Debüt „Love Your Dum and Mad“ neben besagtem dunklen Gesang ihr Klavierspiel im Mittelpunkt, ist „Fast Food“ variationsreicher instrumentiert. Mit Gitarre, Elektronik und Bläsern reichert Shah ihre erneut von Depeche-Mode-Producer Ben Hillier arrangierten Stücke an; das Wechselspiel von Sprödigkeit und Leidenschaft kommt diesmal noch intensiver heraus als auf dem Erstling.
Von barocker Üppigkeit will Shah auch jetzt nichts wissen, minimalistisch sind Songs wie „Washed Up“ oder „Big Hands“, dabei unterschwellig bedrohlich, ungemütlich. „Fool“ ist, wie die meisten anderen, ein Song über Liebe: „Ich wusste gleich, dass du auf Jack Kerouac stehst“, singt Shah ganz fatalistisch, und man ahnt, dass sie auf der Bühne einen coolen Spruch über derart „romantische“ Beziehungen bringen wird. Tolle Frau, tolles Album.
Nadine Shah: Fast Food. Apollo (Alive). Zur Homepage.
Die wilde Jagd: dito
(TM) Die wilde Jagd, das ist in der Überlieferung eine Erscheinung am Nachthimmel, die in heidnischen Zeiten als die Verkörperung böser Geister interpretiert wurde und noch heute dazu führt, dass Freunde von mir „zwischen den Jahren“, in den sogenannten Rauhnächten, weder Wäsche waschen noch diese aufhängen, weil sich die Geister darin verfangen könnten (echt jetzt!). Weshalb sich die Band bestehend aus Ralf Beck und Sebastian Lee Philipp nach diesen Gestalten benannt hat, muss einigermaßen im Dunklen bleiben, ist aber auch nebensächlich, solange sie mit solchen epischen Songs begeistern.
Dass sich Die wilde Jagd in Düsseldorf gründeten, kommt nicht von ungefähr, schließlich schöpft ihr Sound aus langen Nächten, verbracht mit der Musik lokaler Heroen wie Kraftwerk, NEU! oder Pyrolator. Dazu kommt der Hang zur Romantik, den sie ebenfalls mit einem Düsseldorfer teilen (Heinrich Heine!). Schon beim Opener „Wah Wah Wallenstein“ freut man sich irrsinnig über dieses so gar nicht 2015er-mäßige dieser Musik, und bei „Der elektrische Reiter“ darf man sich über Anklänge an Herbie Hancocks „Rock It“ kreischen. Für alle Krautmusik-Fans und Kreidler-Aficionados ein absolutes Muss, das es über Kopfhörer und LAUT zu spielen gilt. Würde gut zum nächsten Film von Heinz Emigholz passen.
Die wilde Jagd: dito. Bureau B (Indigo).
Danielle de Picciotto: Tacoma
(TM) Die multimediale Künstlerin Danielle de Picciotto, geboren in den USA und jetzt in Berlin ansässig, ist schon des Öfteren mit musikalischen Kooperationen auffällig geworden, viele davon mit ihrem Ehemann Alexander Hacke (Einstürzende Neubauten). Nun hat sie ihr erstes eigenes Album aufgenommen, und es ist ein ganz bemerkenswertes geworden. Zwischen Spoken Word, Poesie, Experimental Music, Minimalismus und Musique Concrète macht de Picciotto das Angebot, sich etwa 50 Minuten in eine Parallelwelt zu begeben.
Reisen und Übergänge im allgemeinen sind das beherrschende Thema; kein Wunder, ist sie doch selbst schon einmal drei Jahre lang mit Hacke um die Welt gereist (niedergeschrieben in ihrem Comic-Tagebuch „We are Gypsies now“). Und für Abenteuer hat sie, die mit Dr. Motte die Loveparade ins Leben rief, auch etwas übrig. „Die Last wird abgebaut“, heißt es in „Horchata“; „Frei, frei, frei, frei“, haucht sie in „Es gibt kein Zurück“ – ja, „Tacoma“ ist so etwas wie ein Befreiungsschlag, auch für den Hörer.
Danielle de Picciotto: Tacoma. Moabit (Indigo).