Neue Platten von Peaking Lights, Aluminum Babe, Laura Veirs, Rodriguez Jr. und Kate Bush, gehört von Thomas Backs (TB), Tina Manske (TM) und Christina Mohr (CM).
Neonfarbener Traum
(TM) Aus Wisconsin kommt das Duo Peaking Lights, das uns eines der ganz großen psychedelischen Alben dieses Jahres liefert. Auf den ersten Blick ist „936“ eine große bunte Spielwiese voller relaxter Regenbogengrooves, die schön repetitiv vor sich hin pulsen, breite Soundflächen vor sich ausbreitend, während sich Indra Dunis mit fast entseelter Stimme am Mikro um höchstmögliche Hoffnungslosigkeit bei größtmöglicher Happiness bemüht. Die Songs heißen dementsprechend „Birds Of Paradise“ oder „Marshmellow Yellow“, man fühlt sich wie in einem riesigen neonfarbenen Traum (das Cover bildet’s traumhaft sicher ab). Erst beim mehrmaligen Hören werden einem auch die vielen kleinen schnuckeligen Soundereignisse bewusst, die hier an jeder Ecke gestreut sind – hier ein leiser Synthiewind, dort ein von links nach rechts und wieder zurück wanderndes Soundgemälde etc. pp. Peaking Lights führen nicht nur Krautrock in eine neue Dimension. Berückend.
Peaking Lights: 936. Domino Records (Good To Go).
Rock statt Konsum
(TB) Alternativen zu Glühwein, Printen und Weihnachtsschmuck sind dieser Tage gefragt, der Dezember bietet die zum Glück auch. Ein Abend mit Aluminum Babe ist da ganz sicher nicht die schlechteste Wahl. Zu einer Dark Wave- oder EBM-Party lädt der neue Longplayer „Illegal“ nicht, auch wenn das – ziemliche gruselige – Handschellen-Cover so etwas vielleicht vermuten lässt. Das Quintett um Sängerin Anna Liedberg und Bassist und Songwriter George Michael Musa liefert mit Songs wie „Oh Yeah“, „Tonight“ und „Let`s go“ eine spaßige Mischung aus Power Pop und Disco, die bei den anstehenden Live-Terminen zwischen Leipzig und Aachen gefallen wird.
Die Presseinfo preist diesen Mix als „Electro Glam Rock“ an – auch eine interessante Schublade. Ob sich Aluminum Babe dort auch selbst sieht, entzieht sich unserer Kenntnis. Die Band hat ihre Wurzeln in der Lower East Side von New York, von dort aus waren bereits vier Alben produziert worden. Zur Tour kommen die Mitglieder mit dem neuen Album aus Schweden, Spanien, Frankreich, den USA und Berlin zusammen. Einen kleinen Vorgeschmack bietet ihr Trailer:
Aluminum Babe: Illegal. Lucero Records (Paper Tiger). Zur Website der Band.
Aluminum Babe live: 06.12,2011 Leipzig Radio Mephisto, 07.12.2011 Aachen, HQ w/ Indice Vix, 08.12.2011 Berlin, Duncker w/ Indice Vix, 09.12.2111 Cottbus, Bebel Club w/ Indice Vix, 10.12.2011 Potsdam, Spartacus w/ Indice Vix, 13.12.2011 Aachen, HQ w/ Jim Jams and palmcourtbeats, 14.12.2011 Nürnberg, Stereo Club w/ palmcourtbeats, 15.12.2011 Augsburg, Ballonfabrik w/ palmcourtbeats, 16.12.2011 Schrobenhausen, Lothars alte Nähfabrik, 17.12.2011 DE-Stuttgart, Zwölfzehn.
Laura Veirs: Tumble Bee
(TM) So oft hört man in Songstrukturen das Einfache, das Kindliche heraus – Laura Veirs beschäftigt sich ein ganzes Album lang damit, und zwar wirklich mit Kinderliedern. Die müssen gar nichts Langweiliges haben, sie können im Gegenteil auch für Erwachsene sehr unterhaltsam sein, wie uns Laura Veirs auf ihrer neuen Platte zeigt.
Inspiriert von der Geburt ihres ersten Kindes hat sie traditionelle Folksongs neu arrangiert und auf ihre spezielle Art interpretiert. Dabei greift sie auf Standards aus Country, Hillbilly und ein riesiges Wissen über Folk zurück. Die Ursprünge der Songs liegen dabei oftmals weit zurück, doch Veirs gelingt es, sie ganz gegenwärtig klingen zu lassen. Ihr mehrstimmiger Gesang ist auch hier wieder kristallklar, wie man es von vorangehenden Platten gewohnt ist.
Hier stimmt wirklich alles: Diese lullabies sind freundlich und voller Humor (Kinderlieder eben – Woody Guthries „Why O Why“ ist ja fast ein role model dafür) und damit wunderbar passend für die mit ebensolchem Humor gesegnete Veirs. Gäste wie Carl Broemel von My Morning Jacket und Colin Meloy von den Decemberists machen das Vergnügen komplett.
Laura Veirs: Tumble Bee. Bella Union/Cooperative Music (Universal).
Die Funktion folgt der Form
(CM) Regelmäßigen Clubgängern wird der in Belgien ansässige DJ und Producer Rodriguez Jr. durch seinen Minimal-Tech-House-Hit „Princess Guacamole“ von 2010 ein Begriff sein. Mit Giles Escoffier bildet Oliver Mateu alias Rodriguez Jr. außerdem das Electro-Duo The Youngsters, das in nullkommanix von Laurent Garnier für dessen Label F-Comunications gesignt wurde. Für sein Solo-Debütalbum hat der umtriebige Franzose mit spanischen Wurzeln das Berliner Label mobilee ausgewählt und sich damit in einer weiteren europäischen Club-Metropole angesiedelt.
„Bittersweet“ besticht durch wohlig warme Synthiesounds (Zitat Rodriguez Jr.: „I am definitely a synth fetishist!“) von Roland, Korg und anderen legendären Gerätschaften und die geradezu perfekte Balance aus Minimal und pulsenden Beats. Monsieur Mateu mag Disco, Funk und souligen Vocal-House (toll: „Music Don´t Lie“ featuring Gastsängerin Cari Golden; auf der Single „Shapes I See“ singt Rodriguez selbst), Dub und Techno und schafft es, all seine Lieblingsstyles in elf Tracks unterzubringen, ohne einen davon auch nur ansatzweise zu überladen.
Stücke wie „Bagpipe Women“, „Niagadina“, „The Ubiquitous Dr Pook“ und das bereits erwähnte „Music Don´t Lie“ begeistern überdies durch poppigen Appeal und griffige Melodien, die auch fern stroboskopbeflimmerter Dancefloors funktionieren. Wobei „funktionieren“ ein ganz hässliches und unpassendes Wort im Zusammenhang mit „Bittersweet“ ist: Bei Rodriguez Jr. folgt die Funktion der Form, die elegant, intelligent und lustig zugleich ist.
Rodriguez Jr.: Bittersweet. mobilee (Rough Trade). Zur Webseite der Band.
Kate Bush: 50 Words For Snow
(TM) Eines vorweg: Wir werden kein weiteres Wort über dieses unsagbar grässliche Plattencover verlieren. Dafür aber über Schnee: Die Eskimos haben 40 Worte für ihn, hieß es früher einmal. Mittlerweile ist dies als Legende entlarvt, was aber einen natürlichen Träumer und Visionär wie Kate Bush nicht davon abhält, noch zehn draufzulegen und ein Album rund um den Schnee zu stricken, das nicht weniger als 50 Worte für ihn findet – im abschließenden Titelsong wird der Duettpartner Stephen Fry dazu aufgefordert, diese Begriffe aufzuzählen, während Bush seelenruhig bis 50 zählt.
Apropos Duettpartner: Auf „Snowed In At Wheeler Street“ besingt sie zusammen mit Sir Elton John eine Liebe, die vom alten Rom bis in die Gegenwart reicht, mal verpasst man sich, mal wird man nach kurzer Zeit wieder getrennt. Ja, „50 Words For Snow“ ist von vorne bis hinten ein Liebesalbum. Für die Single „Wild Man“, ein Manifest für die Menschwerdung des Yeti, arbeitete Bush mit dem Sänger und Gitarristen Andy Fairweather-Low zusammen, einem alten Haudegen aus Pink Floyd- und The Who-Tagen.
Sieben Songs befinden sich auf dieser Platte, und Kate Bush dehnt sie aus, nimmt sich Zeit, kostet die Pausen aus, die Stille zwischen den Worten, sie schafft es tatsächlich, die Welt ein bisschen leiser zu machen mit ihrer Kunst. Wir hören „50 Words For Snow“ und warten auf den ersten – na was wohl: „bad for trains“, „swans-a-melting“: Schnee.
Kate Bush: 50 Words For Snow. Fish People (EMI).