Neue Platten von und mit Sue Denim And The Unicorn, Crystal Castles und Mouse on Mars, gehört von Christina Mohr.
Hübsches Popalbum
Wenn man den ersten Tönen von „Bicycle“ oder überhaupt dem ganzen Album von Sue Denim And The Unicorn lauscht, mag man zunächst nicht glauben, dass hier eine Hälfte des britischen Female-Electro-Duos Robots in Disguise zu hören ist. Nach gut zwölf Jahren Roboterinnen-Dasein, in denen sie an der Seite von Dee Plume Hits wie „The Sex Has Made Me Stupid“ und „The DJ´s Got A Gun“ raushaute, hatte Suzanne Powell alias Sue Denim erstmal genug vom punkigen Electroclash.
SUE AND THE UNICORN : PICK ME UP from brian belukha on Vimeo.
Sue Denim And The Unicorn ist anders, sehr anders: die zehn komplett synthiefreien, dafür mit Kinderinstrumenten, atmosphärischen Geräuschen wie Möwengeschrei oder dem Ticken von Uhren, Akustikgitarre und -bass eingespielten Songs sind von rührender Schlichtheit, die „naiv“ zu nennen leicht fiele, hätte dieser Begriff nicht so einen negativen Beigeschmack. Und negativ ist auf dieser Platte nichts, sondern alles klingt leicht, freundlich, verträumt und charmant – Sue Denim ist eine Singer-/Songwriterin im Geiste des jungen Jonathan Richman, der Lieder über Eisverkäufer, Dinosaurier und Insekten schrieb und dabei bis heute kindlich, aber nie kindisch wirkt.
So ist es auch mit Sue Denim: sie singt eine Ode auf ihr Fahrrad, das sie überall hinbringt, oder bekennt sich als Fan des Robert-Altman-Films „Brewster McCloud“ aus dem Jahre 1970. Sue Denim ist aber nicht nur das blauäugige Happy Girl, Songs wie „I´m Not An Island“ oder „Hollow“ sind nachdenklich und tiefgründig und runden dieses hübsche Popalbum perfekt ab.
Sue Denim And The Unicorn: dito. Superhealthy/Love For Sale (Cargo). Zur Love For Sale – Homepage, zur Myspace-Präsenz von Sue Denim And The Unicorn.
Die Welt ist schrecklich
Mit nur zwei Alben haben sich Crystal Castles einen Ruf erarbeitet: und zwar als hyperintensiv-manischer Elektroclash-Doom-Act, der der nichtswürdigen Welt schonungslose Wahrheiten ungefiltert entgegenballert. Das kanadische Duo – Multiinstrumentalist Ethan Kath und Multicharismatikerin Alice Glass – fährt auf seinem krassen Kurs sehr gut. Die Fans lieben Crystal Castles’ unberechenbar heftige Liveauftritte, berühmte Bands fordern Remixe an, Robert Smith von The Cure nimmt Songs mit ihnen auf („Not In Love“).
Für das dritte Album, das analog zu Nummer zwei („II“) schlicht „III“ heißt, verfügte Mastermind Kath, dass alle computergesteuerten Lärmerzeugungsgeräte das Studio zu verlassen hatten. Ergebnis: gewohnt krasse Synthiesounds, technoide Stakkato-Drumbeats, kontrastiert mit trügerisch süßen Melodiefetzen (z. B. bei „Insulin“) und Alices hauchendem oder kreischendem Nicht-Gesang, schwarzdunkler Gesamteindruck – nur eben analog produziert.
Auch inhaltlich geht bei Crystal Castles (die sich nach dem Schloss von Manga-Heldin She-Ra/Princess of Power benannten) nicht gerade die Sonne auf: die Tracks heißen „Plague“ (die Vorabsingle), „Violent Youth“, „Child I Will Hurt You“ oder „Wrath Of God“, und Alice bekundet im Interview, dass „gewisse Vorfälle“ in ihrem Bekanntenkreis dazu geführt hätte, dass ihr der Glaube an die Menschheit abhanden gekommen sei und sie „kurz vor der Selbstjustiz“ stünde. Die Welt ist ein abscheulicher Ort und Crystal Castles hämmern dir diese Erkenntnis wieder und wieder ins Hirn.
Crystal Castles: III. Polydor (Universal). Zur Homepage.
Beim Tanzen: nachdenken
Erst die Arbeit, dann das Vergnügen – so ist´s recht! Für ihr letztes Album brauchten Andi Toma und Jan St. Werner alias Mouse on Mars fünf Jahre, und „Parastrophics“ ist ja auch wirklich ein echtes Meisterwerk geworden: reflektiert, experimentell, visionär. Jetzt aber – nur neun Monate nach der Veröffentlichung von „Parastrophics“ – wollen MOM frickeln, zappeln, tanzen, Energie loswerden und rausschicken. „WOW“ ist der klanggewordene Gegenentwurf zum Vorgänger: spontan, direkt, in nur wenigen Wochen aufgenommen und dementsprechend frisch. Die Geräte zischen, stottern und piepsen, dazu kickt die Bassdrum auch den letzten lahmen Hintern auf die Tanzfläche.
Man muss eigentlich nicht extra erwähnen, dass MOM natürlich überraschend-abstrakte Fallstricke und Drehmomente einbauen, sodass man beim Rumhüpfen und Arme-in-der-Luft-wedeln eher stolpert als geschmeidig durchtanzt, aber genau so wollen die das ja. Tanzen und Durchdrehen: na klar, aber bitte nachdenken dabei!
Mit im Studio waren der aus Hanoi stammende Künstler Dao Anh Khanh, der die dreibuchstabigen Tracks („SOS“, „DOG“, „APE“, „WOC“, „CAT“, etc.) mit Phantasiesprache verrätselt; die argentische All-Female-Punkband Las Kellies und der formidable Eric D. Clarke. Großes Hallo also und insgesamt viel Spaß fürs ministry of advanced dancing. „WOW“ wurde mit der von MOM selbst erfundenen App „WretchUp“ produziert, die zum Release via iTunes öffentlich zugänglich sein wird.
Mouse on Mars: WOW. Monkeytown (Rough Trade). Zur Band-Website, zur Monkeytown-Homepage.
Christina Mohr