Geschrieben am 26. März 2014 von für Musikmag, Porträts / Interviews

Chris Imler im Gespräch

chrisimler_nervoesVon wegen coole Sau

– „DeutschsprachigeTexte dürfen nicht lustig sein, Ironie wird in Deutschland nicht verstanden, die denken sofort das Ganze ist ein Witz“ sagt Chris Imler und nimmt damit schon mal all jenen den Wind aus den Segeln, die sein unglaublich großartiges Soloalbum „Nervös“ in der Nähe von Fraktus einordnen wollen. Nichts gegen Fraktus, das zweifelsohne witzige Band- und Filmprojekt von Schamoni/Strunk/Palminger/Meyer, aber: Fraktus ist Fiktion, Imler nicht.

Kurze Unterbrechung: jemand unter den Anwesenden, der Chris Imler nicht kennt? Imler hat schon mit so vielen Bands und KünstlerInnen getrommelt, dass man ihn nur schwerlich als „Mann im Hintergrund“ bezeichnen kann. Vielen dürfte er als irrwitzig-genialisch treibende Kraft in Jens Friebes Band begegnet sein, aber auch mit den Türen, Maximilian Hecker, Electronicat, Peaches und den Puppetmastaz standschlagzeugte er schon auf der Bühne, ist seit 2006 mit Techno-Papst Patric Catani als Driver & Driver unterwegs, spielt seit kurzem in Jonas Poppes neuer Band Oum Shatt arabisch inspirierte Rhythmen und hatte ein legendenumwobenes Vorleben in Bands wie Spankkings und vor allem den Golden Showers, deren Shows in den späten 1990er Jahren nur mit den Cramps vergleichbar gewesen sein sollen – was laut Jens Friebe ein Kompliment für die Cramps wäre.

Von den Golden Showers gibt es außer ein paar Fotos auf Imlers Facebook-Seite so gut wie keine Film- oder Bilddokumente: „Das war noch die alte Berliner Schule: Fotos oder Videoaufnahmen machen, war inhaftieren und verwerten eines Moments und deshalbverpönt“, so Imler, der in Augsburg aufwuchs, sich mit Bluesplatten aus der dortigen Stadtbibliothek das Schlagzeugspielen beibrachte und sich rechtzeitig nach Berlin-Kreuzberg absetzte. Vom Blues kam er dort schnell zu Punk, Garagenbeat und Rockabilly, den Grundpfeilern seines künftigen Schaffens.

Zurück zu „Nervös“, das es wahrscheinlich nicht geben würde, wenn FreundInnen wie Friebe, Jim Avignon, Patric Catani und Julie Miess nicht beharrlich Überzeugungsarbeit geleistet hätten. „Die Idee zu einer Soloplatte bestand eigentlich schon seit 2005, seit dem Tribute-Konzert für Daniel Johnston im Festsaal Kreuzberg“, aber es bedurfte einer von Maurice Summen gesetzten Deadline, um Imler den nötigen Druck zu geben. „Sonst hätte ich das nie gemacht, aber Maurice sagte einfach, du lieferst mir bis zum soundsovielten die Stücke, und dann machen wir das Album!“ Also nix wie ab ins Studio mit Schneider TM und Ramin Bijan – Imler spielt von der Trompete über verschiedene antike Synthies und natürlich Schlagzeug alle Instrumente „schlechtselbst“, wie er sagt. „Solides Schlagzeugspiel interessiert mich null, man kann mich auch nicht als Studiodrummer mieten. Es geht um Energie und Intuition, mein Stil ist emotional-schlampig. Manchmal weiß ich nicht, welche Sounds auf den Samplepads gespeichert sind,da kann dann aus Versehen leicht mal ein neues Lied entstehen, oder ich breche es während eines Auftritts einfach ab. Alles richtig zu machen wäre komplett falsch“.Auf die Frage eines Jormalisten, wie man zur „coolen Sau“ wird, entgegnete Chris Imler, „ich weiß nicht was cool ist, aber ich kenne uncool und das ist überall“. Und cool im Sinne von Supertop-Selbstvermarktung ist er auch nicht: „Ich habe ja noch nicht mal eine Facebook-Fanseite, sondern nur meine normale Seite. Ich bin überhaupt nicht strategisch veranlagt, da muss ich mich mal drum kümmern.“

Jetzt, kurz vor dem Veröffentlichungsdatum der Platte ist Chris Imler in der Tat nervös: „Aber das bin ich eigentlich immer, auch beim Einschlafen“ .

Aber keine Sorge, „Nervös“ springt die HörerInnen „von der Seite an, von der man es nicht erwartet“ und „streckt einen nieder, ohne niederzumachen“ – so wie es der Künstler auch bei der Musik anderer Leute mag. Imler hätte die Songs gerne noch durchlässiger und fragiler produziert, aber er mag´s auch „gerne deutlich“, und so wummert der hals- und knöchelbrecherische Beat von „Mörder“ sehr raumgreifend aus den Boxen, der auf englisch gesungene (Anti-)Aging-Track „I Used To Too“ erinnert an Alien Sex Fiend, DAF und Suicide, nur weniger kaputt, sondern aufmüpfig und aufrührerisch.

Chris Imler wollte kein „Schlagzeugeralbum“ machen, aber natürlich dominieren die Beats die Songs, mal rumpelnd oder orientalisch schlingernd, stets schlampig-emotional. Dazu Trompeten-Soli aus dem Hinterzimmer, quiekende Synthies, grotesk überzogene Autotune-Gesangseinlagen wie in „Die Liebenswürdigkeit selbst“.

Und wären diese stilistischen Parforce-Ritte nicht schon begeisternd genug, sind da ja noch die Texte: mit doppelten Böden, Hasenhakenschlägen, Frage- und Ausrufezeichen. Humor ja, Klamauk nein: „Ausziehen“ zum Beispiel ist keineswegs ein Anmachsong, sondern skizziert unzumutbare urbane Wohnsituationen:

„Bei mir zuhaus / fließt nur kalter Strom / alle Träume geh´n nach hinten / raus auf den Müll…“

Die Sorgen um „Norwegen“ sind ganz konkret zu verstehen und „Arbeiterjunge“ hat nichts weniger als den Text des Jahres in petto, wenn man die Kombi aus „sexy Armut“, Ausbeutung und Fortschrittsverblendung auf den Punkt gebracht haben möchte:

„Ich bin nur ein einfacher Arbeiterjunge / komm‘ schon, pfeif mir hinterher / Ich bau die Städte und die Betten / und den fließenden Verkehr (…) Die Schweine halten sich für Götter / die Schweine halten uns als Schwein / doch wir, wir machen die Gewitter / und wir werden Herrchen sein.“

„Schweinsoberleder“ ist die unsentimentale Rockabillyversion von Aschenputtel – reingezogen in  eine schmerzhafte Beziehung („… ich hab dir alles geglaubt, ich hab nachgeschaut: Blut ist im Schuh, Ouh, Ouh, Ouh“).

Und während man bei anderen Platten beklagt, dass sie viel zu lang sind, ist „Nervös“ nach neun Stücken schon vorbei. Aber Herr Imler hat tatsächlich wenig Zeit, schließlich wollen die neuen Alben von Oum Shatt und Jens Friebe auch aufgenommen werden und brauchen ihn am Schlagzeug. Und die neue Booking-Agentur schickt ihn mächtig ‚rum, siehe Tourdaten unten.

So gut wie fertig ist außerdem das Video zu „Dark Spot of Joy“, das in der Niederlausitz gedreht wurde und laut Imler eine „dichte Atmo“ hat: „Ich schiebe ein altes Mofa, eine 1979er-Gilera durch die Gegend und man fragt sich: was macht der Typ da überhaupt?“ Man darf gespannt sein, ganz sicher sogar.

Christina Mohr

* Jens Friebe hat Imler darin bestärkt, das Album nach dem bereits existierenden Song „Nervös“ zu nennen: „Ich allein hätte einen viel zu komplizierten Titel ausgesucht, aber Jens hat einfach gesagt, das bist du doch: nervös.  Jens hat mir auch geraten, nicht so viel Angst vor Pop zu haben.“

Chris Imler: Nervös. Staatsakt. Zur Homepage, zur Facebookseite.

Chris Imler live:
28.03. Maastricht – Odd Pop
29.03. Brüssel – Ateliers Claus
03.05. Hamburg – Golden Pudel
16.05. Berlin – Urban Spree mit Candy Hank

Als Support von Ja, Panik:
20.04. Dresden – Beatpol
21.04. Wels – Alter Schlachthof
22.04. Graz – Bang Bang Club
23.04. Salzburg – ARGEkultur
24.04. Innsbruck – Weekender
25.04. St. Gallen – Palace
26.04. Heidelberg – Karlstorbahnhof
28.04. Düsseldorf – Zakk
29.04. Münster – Gleis 22
30.04. Bremen – Theater Bremen

 

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