Füllhorn der Anekdoten
Man soll ja sparsam mit der Verwendung des Begriffs „Legende“ sein, im Falle Alfred Hilsbergs ist er allerdings kein bisschen übertrieben. Es fängt schon damit an, dass man nicht weiß, wo man anfangen soll: Vielleicht damit, dass der 1947 in Wolfsburg geborene Hilsberg in einem Artikel für die Zeitschrift „Sounds“ den Begriff „Neue Deutsche Welle“ erfand, aber eine ziemlich andere Musik meinte als diejenige, die später als solche berühmt wurde? Mit der Gründung des Labels ZickZack? Oder mit dem später gegründeten Ergänzungs- und Erweiterungslabel What’s So Funny About? Mit dem geldgefüllten Schuhkarton unterm Bett? Mit Blumfeld? Oder Kolossale Jugend? Mit Captain Kirk &? Den Drogen, dem Alkohol, den Taxifahrten quer durch Deutschland, mit der Freundschaft zu Jeffrey Lee Pierce?
Sie sehen, es wird schwierig, das Phänomen Alfred Hilsberg resp. das ZickZack Prinzip zu beschreiben – der Journalist Christof Meueler hat das Unterfangen gewagt, Hilsbergs/ZickZacks Geschichte aufzuschreiben, ursprünglich sollte es ein gemeinschaftliches Projekt mit Hilsberg werden. Während der Arbeiten am Buch erkrankte Hilsberg schwer und zog sich zurück, Meueler schrieb es allein zu Ende und befragte KünstlerInnen und WeggefährtInnen Hilsbergs.
Das gefällt Alfred Hilsberg allerdings auch nicht so gut, weshalb er sich in mehreren aktuellen Interviews recht mäkelig über „Das ZickZack Prinzip“ äußerte. Wie dem auch sei: In jedem Fall ist Meuelers Buch (oder sollte man besser „Kraftakt“ schreiben?) ein Füllhorn der Anekdoten rund um einen der wichtigsten „Player“ im deutschen Pop-Punk-Underground, ach sagen wir doch gleich: Um den Entdecker und Förderer zahlloser junger Talente, den stets schwarzgekleideten, respektgebietenden Impresario, aber auch umstrittensten Labelchef dieses unseres Landes.
Es geht oft um Geld in diesem Buch. Darum, was Plattenproduktionen und Konzertveranstaltungen kosten; aber auch um KünstlerInnen und PromotextschreiberInnen, die bis zum Sankt Nimmerleinstag auf ihre versprochenen Abrechnungen warten. Das mag kleinlich wirken angesichts der herausragenden Rolle Hilsbergs für die deutsche Indie-Szene, ist für die Betroffenen natürlich von großer Bedeutung. Andererseits: Ohne Hilsbergs kreative Finanzierungsmodelle kein erstes Album der Einstürzenden Neubauten, kein Palais Schaumburg, keine Abwärts, kein Jens Friebe, etc.pp.
Es wäre übertrieben zu sagen, dass das Buch „ZickZack Prinzip“ ähnlich umstritten ist wie sein Subjekt – unbestreitbar ist seine Funktion als Indie-Kompendium, das seinesgleichen sucht und allerhöchstens mit Jürgen Teipels „Verschwende Deine Jugend“ vergleichbar ist. Legendär geradezu.
Christina Mohr
Christof Meueler: Das ZickZack Prinzip. Alfred Hilsberg – Ein Leben für den Underground (Heyne Hardcore, Gebunden, 384 Seiten). Mit einem Vorwort von Kristof Schreuf.