Geschrieben am 9. Oktober 2013 von für Musikmag

Die Goldenen Zitronen: Who’s Bad

diegoldenenzitronen_whosbadZornig nach vorne

Und wenn du denkst es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Album der Goldenen Zitronen her. Gut, dass wir sie haben. Von Tina Manske.

Zitate, Zitate, überall, wohin man blickt. Es wird schwerer, einen originären Gedanken zu haben in diesem Land. Da ist es gut, wenn die Zitate trotzdem zu neuen Gedanken führen. So wie bei den Goldenen Zitronen. „Who’s Bad“, schmettern sie uns mit Michael Jackson entgegen. Das klingt erstmal nach der guten alten Punkgeste mit dem erhobenen Mittelfinger, aber der ist ja seit Steinbrück auch schon im Bürgertum angekommen. Die Goldenen Zitronen machen’s also richtig und zelebrieren ihren gewohnt guten Elektrokrautrock mit Texten, für die man auch gern mal Soziologie studiert haben darf. „Who’s Bad“ legt den Finger in viele aktuelle Wunden: die Gentrifizierung, der Ausverkauf der Großstädte („Der Investor“), der Ausverkauf von allem anderen („Kaufleute 2.0.1“), Selbstausbeutung und -optimierung („Ich verblühe“) etc. pp.

In „Europa“ z. B. werfen die Zitronen einen genauen Blick auf den Stand der Annäherungen zwischen den Staaten und enttarnen in einer genialen Volte, was uns wirklich länderübergreifend verbindet: überall dieselben Fußgängerzonen, ob in den Niederlanden oder in Mülheim/Ruhr, überall dieselben Supermärkte und Hotelbunker. „Everybody is in the best seat“, hat John Cage einmal gesagt, aber weil viele eben doch nicht dort sein wollen, wo sie sind (und aus guten Gründen), gibt es immer wieder Kämpfe um die Platzverteilung auf dieser Welt. Da stänkern dann Habenichtse aus Hellersdorf gegen Nochwenigerhabenichtse aus anderen Teilen der Welt, die auch ihr Krümelchen vom Kuchen und ein Dach über dem Kopf haben wollen. Unwillkürlich muss man an die aktuellen Auseinandersetzungen um Flüchtlingsheime denken, wenn man „Ma place“ hört, das zornig nach vorne stampft. Hier liegt Krieg in der Luft (wobei wir dann doch wieder beim Punk sind).

In „Duisburg“ wird die Geschichte der letzten Loveparade nacherzählt, inklusive O-Tönen – schwer zu ertragen, rein inhaltlich. Der Hit des Albums aber kommt kurz vor dem Ende: „Kaufleute 2.0.1“ ist mit seinem unwiderstehlich flirrenden und stolpernden Elektrobeat und den ganzen Sumpf Hamburgs (und Deutschlands) zusammenfassenden Text ein gelungener Fast-Abschluss, aber Schorsch Kamerun geht natürlich nicht, ohne noch einen T-Shirt-Spruch abzuliefern (gesungen von Gustav): „Wer hier dabei ist, kann nicht nur dafür sein.“

Tina Manske

Die Goldenen Zitronen: Who’s Bad. Buback (Indigo).

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