Geschrieben am 13. November 2008 von für Musikmag

Grace Jones: Hurricane

Menschenfressende Maschine

– Grace Jones ist mittlerweile 60 Jahre alt, und noch immer jagt sie die jungen Hüpfer mühelos vor sich her. Von Tina Manske

Die große britische Schauspielerin Tilda Swinton meinte unlängst zu ihrer Rolle in dem Kinofilm „Michael Clayton“, sie spiele darin einen „corporate criminal“. Grace Jones scheint diesen Gedanken aufgegriffen zu haben für ihren Übersong „Corporate Cannibal“, einen Titel, der den in letzter Zeit so häufig zitierten „entfesselten Kapitalismus“ mühelos auf einen Sound und ein Bild herunterbricht. Düster und dunkel dräuend raunt sie darin mit ihrer unvergleichlichen Stimme: „I consume my consumers/ with no sense of humour“ und „I’m a man-eating machine“, und hat damit mindestens einen Charakterzug der Globalisierung genau erfasst, der oft unerwähnt bleibt, nämlich ihre völlige Humorlosigkeit. Dazu das Video: Grace Jones als dunkler, ständig morphender Alien, der uns ganz offen sagt, was uns blüht. Grace Jones dagegen beweist durchaus Selbstironie – im Booklet steht sie als arbeitendes Individuum am Band und setzt Schokoladen-Abbilder ihrer selbst zusammen, frei nach dem Motto: wie ich als Goldenes Kalb auszusehen habe, bestimme immer noch ich, und am liebsten zertrümmere ich den Schokohasen, bevor man ihn überhaupt ausgepackt hat.

Nicht nur auf „I’m Crying (Mother’s Tears)“ – aber dort wörtlich – bezeugt Jones, dass sie nicht mehr „Slave To The Rhythm“ ist, sondern „Slave to love“ – „Hurricane“ ist tatsächlich fast ein Gospelalbum geworden, und nicht umsonst ist es Jones‘ Vater, einem Bischof, gewidmet. „This is technology mixed with a band“, heißt es im Opener „This Is“, was sehr gut das musikalische Herangehen an „Hurricane“ widerspiegelt: Immer noch bildet Reggae das Grundgerüst, dazu kommt eine ganze Phalanx an sehr guten, gern auch verwandten Musikern (zum Beispiel Jones‘ Sohn an den Drums oder ihre Mutter, mit der sie am Ende von „Williams‘ Blood“ ein kurzes „Amazing Grace“ anstimmt), Brian Eno spielt Keyboard und fungiert als Backing Vocals auf einem Song, ebenso wie Tricky.

„If you’re out there you’re vulnerable. People prefer to disappear in life, to repress their personality. That’s not living. It’s dying. I see them all over the place, the walking dead“, schreibt Grace Jones auf ihrer Homepage. Von dieser Künstlerin kann man tatsächlich lernen was es heißt, seinen Weg zu gehen – selbst im Bond-Film „A View to a Kill“ war sie ja die interessanteste Figur von allen. Ach ja: Sie ist mittlerweile 60 Jahre alt, und noch immer jagt sie die jungen Hüpfer mühelos vor sich her. Hoffen wir, dass es noch lange so weitergeht. „It’s not yours, it’s not mine/ it belongs to us – sunset, sunrise“ („Sunset Sunrise“) – so gut kann Neo-Hippietum klingen.

Tina Manske

Grace Jones: Hurricane. Wall of Sound (Vertrieb: Rough Trade).
Homepage von Grace Jones.

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