Christina Mohr hatte ihre Bedenken, doch das Gespräch lief gut: Andreas Dorau verriet ihr am Telefon so einiges zur neuen Platte „Todesmelodien“…
Andreas Dorau: Todesmelodien
– Man darf nicht denken, dass Andreas Dorau, nur weil er zu NDW-Tagen mit „Fred vom Jupiter“ berühmt wurde, ein ausgesprochen alberner Zeitgenosse wäre. Im Gegenteil, der 1964 geborene Dorau kann ziemlich ungeduldig und barsch werden, z. B. wenn man – wie die Verfasserin dieser Zeilen beim Interview anlässlich der Veröffentlichung des Albums „Ich bin der Eine von uns Beiden“ – versucht, ‚witzig‘ zu sein. Dorau fand Mohr damals überhaupt nicht lustig, das Gespräch verhakte sich in Missverständnissen und Pein für die Interviewerin. Dementsprechend vorsichtig agierte Frau M. dieses Mal beim von Doraus neuem Label Staatsakt eingefädelten Telefonat, das allerdings ungleich freundlicher verlief als Versuch Nummer eins im Jahr 2006.
Christina Mohr: Warum sieht man auf dem Cover von „Todesmelodien“ Salingers „The Catcher In The Rye“ und ein Album von John Lennon?
Andreas Dorau: Im Booklet sind noch mehr Fotos von Alex Solman: eine ganze Serie mit toten Popstars! John Lennons Mörder Mark Chapman war eine sehr labile Persönlichkeit. Er hatte vor der Tat ‚Catcher In The Rye‘ gelesen und glaubte, aus dem Buch die Botschaft erhalten zu haben, John Lennon töten zu müssen. Und Chapman ließ sich von Lennon ja erst noch eine Platte signieren, bevor er ihn erschoss! Ich habe den ‚Catcher‘ mit Ende Zwanzig gelesen und das Buch hatte auf mich auch eine wahnsinnig starke Wirkung. Ich kann nachvollziehen, dass man auf seltsame Gedanken kommt, aber ich hätte natürlich niemanden umgebracht.
Dass das neue Album „Todesmelodien“ insgesamt sehr morbide gestimmt ist (Alternativtitel war „Das Dunkle“), hat verschiedene Gründe, unter anderem starb Doraus Mutter vor zwei Jahren. „Als evangelischer Pastorensohn glaube ich aber an das ewige Leben.“ Ob aus dieser Überzeugung auch das Lied „Edelstein“ entstanden ist, frage ich – nein, ein Zeitungsartikel über die Möglichkeit, nach dem Tod aus seiner Asche einen Diamanten pressen zu lassen, gab den Anstoß. Schreibt er immer so? Wartet er auf interessante News in der Zeitung und legt dann los? „Nein, ich bin ganz schlecht im Sammeln von Ideen. Ich habe keinen Karteikasten oder sowas und brauche immer sehr lange, bis ich genug Material für eine neue Platte zusammen habe. Diesmal hat es sechs Jahre gedauert… Und manche Themen gehen mir einfach nicht von der Hand, für „Edelstein“ habe ich wieder Wolfgang Müller gefragt. Dem fällt das ganz leicht, Wolfgang schreibt im Prinzip immer und braucht höchstens eine Stunde für einen Text.“ Von Wolfgang Müller stammen auch die Texte von älteren Dorau-Songs wie „Das Eis“ oder „Blaumeise Yvonne“, ist Wolfgang Müller etwa Doraus Experte für naturwissenschaftliche Themen? „Ja, kann man so sagen. Das ist sein Faible. Aber bei ‚Edelstein‘ hat mich vor allem begeistert, dass man nach seinem Tod zu einem Schmuckstück werden kann, das an die Verwandtschaft vererbt wird. Das ist doch eine schöne Vorstellung!“
CM: Verlassen wir mal das Thema Tod und Sterben: Deine Stimme klingt immer noch so – jung!
AD: Und du willst jetzt wissen, ob das Absicht ist – natürlich nicht! Meine Stimme wird immer heller, obwohl ich sehr stark rauche!
Wie alle Platten von Andreas Dorau ist „Todesmelodien“ ein großes Happening: produziert hat Andi Thoma von Mouse on Mars, Francoise Cactus und Inga Humpe sind als Gastsängerinnen dabei, Carsten „Erobique“ Meyer hat den Song „Gehen (Baby, Baby)“ beigesteuert , für die Arrangements und Instrumentierungen zeichnen Mense Reents und Jakobus Siebels (Ja König Ja) verantwortlich, Wolfgang Müller erwähnten wir bereits. Der Geist des irren (aber noch lebenden) Phil Spector weht durch viele Songs, zum Beispiel durch das wunderbare „Größenwahn“, in dem – wie häufig bei Dorau – eine Eigenschaft personalisiert wird, wie auch in „Neid“, das von Jakobus Siebels tonnenschwerer Posaune eindrucksvoll untermalt wird. „Stimmen in der Nacht“, „Und dann“ und „Single“ sind Dorau-idealtypische Hits zum Mitsingen. Apropos:
Andreas Dorau – Stimmen in der Nacht (EB Premiere) from Electronic Beats TV on Vimeo
CM: Du sagst, dass du kein Sänger und streng genommen auch kein Musiker bist. Wie bezeichnest du dich denn dann?
AD: Früher musste man immer einen Beruf angeben, wenn man im Hotel eincheckte, heutzutage glücklicherweise nicht mehr. Komponist. Ich sage Komponist.
CM: Heutzutage ist es schwer in Mode, in seinen Songs andere Künstler zu zitieren, von musikalischen Samples ganz zu schweigen (Dorau, dazwischen fahrend: „Samplen tut man schon seit Jahren nicht mehr!“). Was hältst du davon?
AD: Auf solche Hütchenspielereien habe ich überhaupt keine Lust. Eine Platte ist ja schließlich für die Ewigkeit und was da drauf ist, soll von mir sein und nicht von jemand anderem! Erinnerst du dich an Beats International? Die Band von Norman Cook, bevor er Fatboy Slim wurde? (CM: Ja klar, die mit „Dub Be Good To Me“) Der Song war ja eh‘ eine Coverversion, aber sie haben außerdem das berühmte Bassthema aus ‚Guns of Brixton‘ von The Clash geklaut. Beats International wurden verklagt und zu einer hohen Geldstrafe verurteilt, weil sie ihre Karriere auf dem Werk anderer Leute aufgebaut haben. Das Urteil fand ich total richtig!
CM: Und wie ist es mit Coverversionen? Bei Tapete Records ist gerade ein Tribute-Album für Superpunk erschienen, da bist du mit einer Version von ‚In der Zentralbibliothek‘ vertreten, Superpunk hingegen covern dich und Bernd Begemann – freust du dich, wenn du gecovert wirst?
AD: Nicht immer. Ich lehne ganz viel ab. Es muss schon passen – stilistisch und persönlich. Ich lehne viele Anfragen ab. Superpunk natürlich nicht, die sind eine ganz tolle Band.
CM: Welche Musik hörst du zuhause?
AD: Ich finde es total problematisch, Musik für Gäste auszusuchen – was wählt man, wenn Leute zu Besuch sind? Da kann man total auf die Nase fallen, deswegen höre ich am liebsten Radio. Ich mag das Zufällige, wenn ich das Radio einschalte. Es läuft natürlich total viel Schrott, aber umso heller strahlen dann die seltenen Perlen!
CM: In Artikeln über dich fällt häufig der Begriff ’naiv‘ – stört dich das?
AD: Kommt darauf an, wie es gemeint ist. Naiv kann kindisch bedeuten, oder geisteskrank, das würde ich dann wählen. Aber du merkst an meiner Reaktion: ja, es stört mich, als naiv bezeichnet zu werden!
Christina Mohr
Andreas Dorau: Todesmelodien. Staatsakt. Der Künstler bei Facebook und die Seite von Staatsakt. Andreas Dorau auf Myspace.