Geschrieben am 22. Mai 2013 von für Musikmag

Interview mit Aranea Peel (Grausame Töchter)

Foto: Martin Peterdamm

Foto: Martin Peterdamm

Der sichere Hafen für Toleranz

– Als Elektro-Band schippern die Grausamen Töchter aus dem Norden der Republik fernab der Untiefen szeneinterner Klischees. Ronald Klein unterhielt sich mit Frontfrau Aranea Peel über Power Electronics, Pop als politisches Moment und die Position, fernab des Mainstreams zu agieren.

Klein: 2009 erfolgte die Gründung der Grausamen Töchter. War es am Anfang ein Ein-Frau-Unternehmen?

Peel: Eigentlich war schon seit zehn Jahren klar, dass es dieses Projekt eines Tages geben muss. Als ich 2009 Gregor Hennig, einen Hamburger Produzenten mit Tonstudio traf, konnte das umgesetzt werden, was schon lange auf Umsetzung warten musste.

Was passierte in der Zwischenzeit zwischen Gründung und dem ersten Album?

Man kann ja vieles gründen und wollen und Ideen hat man sowieso dauernd. Ich nehme eine Idee dann ernst, wenn sie konkret wird. Deswegen haben wir Aufnahmen und Mixe gemacht, solange bis wir ein Label gefunden. Um alles so weit zu finanzieren, habe ich Männer mit Gerten, Stöcken und Nadeln bestraft. Dann gab es sehr viele Treffen mit Menschen, um eine Liveperformance auf die Beine zu stellen. Einige Monate nach Gründung hatten wir erste Auftritte. Bei einem Auftritt in Koblenz war dann Francesco d `Angelo von der Dark Dimensions-Label-Group da und hat uns nach dem Auftritt einen Plattenvertrag angeboten.

Grausame Töchter_Alles Für Dich

Das erste Album klang beat-technisch deutlicher im Bereich Power Electronics / Elektro-Industrial verwurzelt, während der Nachfolger eingängiger klingt. Wer zeichnet sich für die Beats verantwortlich?

Das machen Gregor und ich im Studio. Wir wollten zu der üblichen Elektronik erstens gerne noch mehr Live-Drums haben, die Gregor unglaublich hart und präzise spielen kann, und zweitens eine Bariton-Gitarre mit einstimmigen kurzen Motiven und Melodien, um dem Album die eigene Färbung zu geben, die es meiner Meinung nach hat. Bei „Lüge“ hat der Bremer Musiker Matthias Schinkopf sogar eine Sopran-Blockflöte eingespielt. Viel Elektronik ist trotzdem dabei; nur Elektronik allein lässt vieles leider sehr schnell zum Klischee werden, wenn man auf Songstrukturen nicht völlig verzichten will.

Apropos Power Electronics: Die Veteranen Whitehouse verfügen dahingehend über eine Parallele, dass sie bei ihren Auftritten mit einer Choreografie arbeiten, zu der Power Electronics Sounds laufen, begleitet von verstörenden Lyrics über Sadomasochismus. Waren die klassischen Power Electronic und Industrial Acts ein inspirierender Einfluss für die Töchter?

Alles inspiriert mich. Oft sind es aber weit entfernte Dinge, die inspirierend wirken und die man kaum als Inspirationsquellen bei den Grausamen Töchtern identifizieren kann. Das ist ganz unabhängig von einem musikalischen Stil. Im Gegenteil: Wenn ein anderes Projekt und wir in die gleiche Schublade gesteckt werden, ist immer die Gefahr gegeben, im Allgemeinen stecken zu bleiben, weil man dasselbe macht wie andere auch.

Ein nicht zu vernachlässigendes Moment bei den Töchtern ist das selbstbewusste Zelebrieren homosexueller Motive. Passiert das en passant oder siehst Du die Töchter als Aktivistinnen?

Weder en passant noch Aktivistinnen. Das homosexuelle Element ist mir bewusst, aber bei weitem nicht das einzige Thema. Wenn ich etwas sehr klares konkretes Politisches sagen will, dann wähle ich eine sehr klare konkrete politische Form. Da gibt es Besseres als Kunst und Musik. Kunst und Musik sind immer auch emotional und eignen sich besser, um etwas erst einmal auf den Tisch zu legen, das noch oder für immer schwer rational fassbar ist.

Bei den Grausamen Töchtern ist das SM-Element sehr dominant. Derzeit gibt es mit Romanen wie „Shades Of Grey“ einen regelrechten Boom von Hausfrauen-SM-Romantik.

Ich habe das Buch nicht gelesen, weil es mich bisher noch nicht interessiert hat. Vielleicht ist es gut, vielleicht auch nicht. Sadomasochismus wurde doch auch schon immer thematisiert. Alle klassische Literatur ist voll davon. Es wird natürlich nicht direkt beim Namen genannt, aber von Shakespeare bis Ibsen gibt es da sehr viel. Wenn man Dinge beim Namen genannt haben will, wo es dann mehr körperlich wird, empfehle ich dann lieber gleich Pornographie, um auf den Punkt zu kommen.

Amüsiert Dich der öffentliche Diskurs um „Shades Of Grey“ oder glaubst Du, dass sich dadurch möglicherweise mehr Menschen trauen, sich offensiv mit ihrer Sexualität auseinanderzusetzen?

Doch, ich vermute, immer mehr Menschen trauen sich zu ihrer Sexualität zu stehen, sei es Sadomasochismus oder Homosexualität. Dazu trägt so ein Buch sicher auch bei, aber mindestens ist es Indikator für einen gesellschaftlichen Wandel zu mehr Toleranz; die Gesellschaft ist erwachsener geworden.

Deine Shows unterliegen einer Altersbeschränkung – gab es in der Vergangenheit Schwierigkeiten mit Veranstaltern?

Einmal wurde nicht vom Veranstalter, sondern vom Vermieter des Veranstaltungsortes gedroht, den Strom abzuschalten, wenn etwas Sexuelles passiert. Ich weiß nicht, wo Sexualität anfängt und wo sie aufhört. Ein mit Lippenstift rot gefärbter Mund kann schon so sexuell sein und Nacktheit kann mich so kalt lassen. Aber normalerweise gab es keine Probleme. Ich muss allerdings auch sagen, dass es nicht primär unser Ziel ist, Sexualität auf die Bühne zu bringen. Wir hatten auch schon sehr „normale“ Auftritte. Sexualität ist Inhalt oder Ausdrucksmittel, aber kein Showelement bei den Grausamen Töchtern.

Du meintest, dass die Gesellschaft toleranter wird. Es gibt Pseudo-Dominas beim „Frauentausch“ auf RTL 2, gleichzeitig wird aber Pop immer reaktionärer. Kool Savas und Xavier Naidoo setzen Homosexualität und Pädophilie gleich…Insgesamt wirkt die gesamte Rap-Szene, die ursprünglich frech und frei agierte, plötzlich mit Positionen durchsetzt, die rechts der CDU agieren. Was ist aus Pop geworden, der sich einst progressive Positionen besetzte?

Es ist genau umgekehrt zu den Verhältnissen um 1970. Ich beobachte das auch so. Die Grausamen Töchter sind der sichere Hafen für die, die Toleranz benötigen.

Ronald Klein

Vorabdruck des Gespräches mit Aranea Peel exklusiv auf culturmag.de. Das vollständige Gespräch erscheint im Herbst 2013 im Buch „Der Schimmel über Berlin“, herausgegeben von Ronald Klein und Stefan van Zwoll.

Grausame Töchter: Alles Für Dich. Scanner (Broken Silence). Zur Homepage.

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