Erneuerin eines Genres
– “Das klingt ja wie Janet Jackson mit Kraftwerk!”, rief mein Mithörer, als Jessy Lanzas Debütalbum „Pull My Hair Back“ durchs Wohnzimmer schallte – der Vergleich passt zwar nicht so ganz genau, bringt aber auf den Punkt, wofür die kanadische Musikerin und Sängerin steht: für ein sehr cooles, kluges Update vom R’n’B der Achtziger und Neunziger auf Elektro-Basis.
Jessys Songs sind distanziert und leidenschaftlich zugleich, sehr reflektiert und trotzdem voller Neugier und Ausprobier-Willen. Dancetracks wie „Fuck Diamond“ und „Keep Moving“ werden von mächtigen, massiven Bässen angeschoben; im Titelsong und „Kathy Lee“ steht Lanzas Stimme im Zentrum, mal flüsternd, mal jubilierend. Zu Recht gilt Jessy Lanza als Hoffnung und Erneuerin eines Genres, das in letzter Zeit auf der Stelle zu treten schien.
Anfang des Jahres war Jessy Lanza als Gastsängerin auf dem Track „Beach Mode“ ihrer Labelkollegin Ikonika zu hören, ansonsten ist Lanza eine echte Newcomerin, die 2012 mit ersten Liveauftritten von sich reden machte. „Pull My Hair Back“ ist eins der tollsten Alben im Herbst, das steht schon mal fest – hier ein kurzes Interview mit Mrs. Lanza:
MO: Man nennt dich die Innovatorin von R’n’B, vergleicht deinen Sound mit Aaliyah oder Ginuwine – wie fühlt sich das an?
Jessy Lanza: Ich mag einfach alten und neuen R’n’B sehr gern und höre die Musik in obsessiver Weise – die Musik, die ich mache, spiegelt das natürlich wider. Deshalb bin ich nicht so sehr überrascht, dass meine Musik mit diesen KünstlerInnen verglichen wird, es sind ja tatsächlich meine wichtigsten Einflüsse.
R’n’B ist oft sehr offen sexy und erotisch – du wirkst da etwas zurückhaltender. Der Albumtitel zum Beispiel ist ja eine sehr, sehr dezente Anspielung…
Naja, der Löwenanteil von Popmusik (R’n’B und alles andere) dreht sich um Liebe und Sex – die Songs auf meinem Album reflektieren, dass ich sehr viel R’n’B höre. Der Albumtitel ist natürlich suggestiv, aber ich hatte niemals die Absicht, dass er eine S&M-Referenz sein sollte. Ich wollte, dass es als eine viel unschuldigere Geste rüberkommt.
Wie lief die Zusammenarbeit mit Junior Boy Jeremy Greenspan?
Es ist toll, mit Jeremy zu arbeiten. Ich hatte zum Beispiel viele Tracks, die erst im Anfangsstadium waren, und ich war mir nicht hundertprozentig sicher, was ich mit ihnen machen sollte. Ich gab sie Jeremy zum Bearbeiten und er führte sie in Richtungen, an die ich gar nicht gedacht hatte. Ich werfe oft Ideen voreilig über Bord, wenn ich sie nicht sofort zu Ende bringen kann. Jer hat da mehr Geduld und versteht es, Ideen aufzugreifen und zu vervollständigen. Deswegen arbeiten wir so gut zusammen.
Welcher Song auf deinem Album ging dir am Leichtesten von der Hand? Und wie arbeitest du?
Eigentlich lief es mit allen Tracks recht einfach, „5785021“ ging am Schnellsten! Es hat eine Weile gedauert, bis die Vocals bei „Keep Moving“ saßen… Generell sind wir – also Jeremy und ich -, einer Meinung darüber, dass es nicht zu lange dauern sollte, bis sich ein Track „passend“ anfühlt. Wenn es zu lange dauert, ist der Song womöglich einfach nicht gut.
Bei mir wechselt es von Song zu Song, ob ich zuerst die Lyrics schreibe, oder eine Melodie im Kopf habe. Manchmal ist es eine bestimmte Formulierung, ein Vers, der einen Track losgehen lässt; und manchmal fällt mir ganz am Schluss auf, dass ja noch der Text fehlt!
Bist du eher eine Studiotüftlerin oder spielst du lieber live vor Publikum?
Ich liebe es, im Studio zu sein! Live aufzutreten ist auch toll, aber natürlich auf ganz andere Weise. Es macht mich total nervös, aber ich mache es trotzdem gern.
Dein Album erscheint bei Hyperdub, wo auch die neuen Platten von Ikonika und – später im Herbst – Laurel Halo herauskommen. Gefällt dir die Vorstellung einer „weiblichen Sektion“ auf dem Label?
Hmmm… ich verstehe, was du meinst, aber ich denke nicht in solchen Kategorien. Hyperdub ist ein tolles Label, so oder so.
Auf deiner Facebook-Seite postest du Videos aus den 1980er-Jahren, z. B. von Billy Idol (den ich auch sehr toll finde, öhem…) – was gefällt dir am Achtzigersound?
Vor allem der Synth-Pad- und Synth-Drum-Sound begeistert mich immer wieder in diesen Songs! „Drive“ von den Cars zum Beispiel ist noch so ein toller Song aus dieser Zeit…
Mit wem – tot oder lebendig – würdest du gern ein Duett aufnehmen?
Mit Steve Miller!
Christina Mohr
Jessy Lanza: Pull My Hair Back. Hyperdub. Zur Facebookseite der Musikerin.