Neue Hörerschichten für ‚altmodische‘ Genres
– Das Beste, das dem Singer/Songwriter-Genre seit Cat Stevens passiert ist – so oder so ähnlich äußerte sich die Musikpresse nach Veröffentlichung des Albums „Kiss Each Other Clean“, das vor zwei Jahren für Aufsehen sorgte, hatte Sam Beam aka Iron and Wine doch seit seinen leisen Anfängertagen den Funk und den Jazz für sich entdeckt.
Und der Nachfolger „Ghost On Ghost“ steht solchen Urteilen in nichts nach. Unterstützt wurde Sam Beam bei seinem mittlerweile fünften Album von fantastischen Musikern, die u. a. auch schon für die Bands von Bob Dylan und Antony and The Johnsons tätig waren. Die Songs wurden live aufgenommen, die Perkussions ebenfalls live eingespielt, bevor Producer Brian Deck die Bläser und die Chöre per Overdub darübermischte.
Titel wie der Opener „Caught In The Briars“ zeugen vom hohen Harmonieverständnis Sam Beams, nicht nur Songs wie „Joy“ von der wohl nicht nur heimlichen Verehrung von George Michaels Solowerken („Grass Widows“!). Die Bläser- und Streicherarrangements hat man zuletzt bei den Dirty Projectors so virtuos gehört, sowas wie „The Desert Babbler“ hielt man seit den 70er-Jahren für verschollen. So leicht, so spielerisch fließen hier die Ideen, dass man die schiere Musikalität Beams und seiner Mitstreiter fast überhört. Aber eben nur fast. Wenn in diesem Jahr einer neue Hörerschichten für ‚altmodische‘ Genres wie Americana und Blues erschließen wird, dann Iron and Wine.
Sein Meisterstück liefert Beam allerdings mit „Lover’s Revolution“, das in seinem monumentalen Aufbau an die Moritaten eines Nick Cave erinnert, inklusive respondierendem Chor, dabei aber durchsetzt ist von Soul- und Jazz-Elementen, die das Ganze wieder auflockern (und eine Verbeugung vor Charles Mingus bedeuten, wie die New York Times korrekterweise feststellte).
Tina Manske
Iron and Wine: Ghost On Ghost. 4AD/Beggars (Indigo). Zur Homepage.