Geschrieben am 3. September 2014 von für Musikmag

Jens Friebe im Gespräch

friebe_coverAngst ist around

– Ganze vier Jahre ist es her, als Jens Friebes letztes Album erschien. Am 19.9.2014 kommt nun endlich seine neue Platte mit dem rätselhaften (und nach dem Hören des Titelsongs sehr schlüssigen) Namen „NACKTE ANGST ZIEH DICH AN WIR GEHEN AUS“ – und Leute, seid versichert: Sie ist wunderschön. Düsterer als Friebes frühere Platten, aber nicht nur. Auch angriffslustig. Songs auf englisch, eine Coverversion von Momus und Gaststars wie Justine Electra.

Christina Mohr sprach mit JF über die neue Platte. Eine Rezension folgt in einer späteren Ausgabe.

Kürzlich gestand Robert Stadlober in der Talkshow 3nach9, dass er bis vor kurzem derart große Angst davor hatte, im Schlaf zu sterben, dass er während der Nacht mehrfach den Wecker stellte, um sicherzugehen, noch am Leben zu sein. Mittlerweile schlafe er zwar gut, geblieben sei aber die Furcht, an unheilbaren Krankheiten zu leiden.

Angst als Thema ist around. Wenn sich am 19.9.2014 das sehnsüchtig herbeigewünschte fünfte Album von Jens Friebe endlich materialisieren wird, kommt es nicht nur, aber auch wegen seines Titels „Nackte Angst Zieh Dich An Wir Gehen Aus“ genau zur richtigen Zeit.

Apropos Zeit: Zehn Jahre sind vergangen, seit Jens Friebe mit „Vorher Nachher Bilder“ die hiesige Poplandschaft verwirrte und verzauberte – fünf Platten seit 2004 bedeuten allerdings keinen exakten Zweijahres-Veröffentlichungsrhythmus: zwischen Nummer drei und vier und vier und fünf liegen jeweils vier Jahre. „Kam mir gar nicht so lange vor“, sagt Jens, aber nun Schluss mit den Zahlenspielereien: „Nackte Angst…“ ist kein Konzeptwerk über Phobien, aber – siehe Labelinfo – „Friebes bisher ruhigstes, gleichzeitig unruhigstes, vor allem aber beunruhigendstes Album.“ Das vorab veröffentlichte „Schlaflied“ hat nichts mit dem gleichnamigen Ärzte-Song zu tun, sondern ist eine Auftragsarbeit für eine Folge der Veranstaltungsreihe „Berlin Bunny Lectures“ zum Thema Schlaf. Warum denn im Text vom Schlaf und nicht von Träumen die Rede ist, will ich wissen – Verstorbene sind wieder da, Engel streichen durchs Haar, Grenzen verwischen: „Im Lied wollte ich die Außenperspektive mitschwingen haben, das Friedliche der Draufsicht auf die im Schlaf sich alle friedlich ähnelnden. Die Zeile ‚Alle wilden Tiere werden brav/im Schlaf‘ ist dementsprechend doppeldeutig. Man träumt sie wären brav, aber sie sind ja auch tatsächlich brav, wenn sie schlafen.“

Zum ersten Mal ist Friebe mit der Produktion rundum zufrieden: „Bei allen anderen Platten habe ich nach der Veröffentlichung immer gedacht, dieses und jenes hättest du noch anders machen können. Die Stücke auf „Nackte Angst…“ klingen genau so, wie ich es mir vorgestellt hatte.“ Das heißt zum Beispiel: mehr Klavier – ruhige Balladen und stürmisches Gehämmer –, und emotionale Wechselbäder für die HörerInnenschaft, schon allein durch die Anordnung der Stücke.

Auf die dunkelschattige Traurigkeit des Titeltracks folgt überschäumender Punk-Pop („(I Am Not Born For) Plot Driven Porn“), energisierender Einstieg mit „Hölle oder Hölle“, melancholischer Schluss mit „Zahlen zusammen gehen getrennt“: „Das wollte ich genau so. Auch wenn ich auflege, spiele ich gern Kontrastprogramm – es gibt Gegner dieser Form, aber ich mag das. Als die Platte noch in einem frühen Stadium war, hatte ich schon mal für mich eine Reihenfolge entworfen. Als Berend (Intelmann, der bewährte Produzent. Anm. MO) dann die ersten Mixe an mich schickte, luden sich die Stücke, die allerdings damals teilweise noch Arbeitstitel trugen, in alphabetischer Reihenfolge runter, die kurioserweise fast identisch mit meiner war. Von da an habe ich abergläubisch an ihr festgehalten – nur „Guess Which Celebrity Partied too Hard on Their 18th or not), was in der alphabetischen Reihenfolge ganz am Anfang gestanden hätte, musste ich verschieben, da es das experimentellste Lied der Platte ist und ich nicht mal singe, sondern Justine (Electra)“.

Auch das fällt auf: Viele Leute machen mit bei „Nackte Angst…“, von Vera Kropf über die bereits erwähnte Justine Electra, Gwendolin Tägert und Schlagzeuger Chris Imler, der ja sowieso kein „Gastmusiker“, sondern seit vielen Jahren unverzichtbarer Bestandteil des Friebe-Sounds ist. Auch Herman Herrmann (Ex-Lassie Singers) ist dabei: „Besonders bei ‚Hölle oder Hölle‘ und ‚Sei einfach nicht du selbst‘ war mir wichtig, dass da jemand am Bass ist, der das richtig gut kann.“

Bei der anstehenden Tour im Herbst wird Andi Hudl von Mondo Fumatore mit an Bord sein.

Das Coverfoto ist von Daniel Josefsohn und mittelbar verantwortlich für Jens‘ aktuelle körperbetonte Promobilder: „Ach, alle Klamotten, die ich besitze, sind schon durchfotografiert – außerdem hatte ich das Gefühl, dass ich nachziehen muss, wenn schon die Frau auf dem Cover halbnackt ist…“

friebe_miko_Gaestel

Foto von Mikko Gaestel

Anders als beim Vorgänger „Abändern“ sind die textlichen Verweise diesmal weniger erklärungsbedürftig – „ein Refrain wie ‚was macht eine Königin im Dreck?‘ funktioniert zwar auch ohne Schernikau-Bezug. Der Rest des Textes erschließt sich aber nicht so ohne weiteres“ -–, die Produktion nicht so schroff. Keine Modern Talking- und Vengaboys-Zitate, sondern: Nick Currie/Momus, Goethe, Abba. Klassisches also – und: Magst du eigentlich Sparks?, frage ich, denn das hysterisch abgehende Klavier in „Ich wusste zuviel von Euch“ erinnert an das Brüderduo aus Los Angeles. „Interessant, dass du das sagst. Ich hatte nicht bewusst an die Sparks gedacht., aber ich hab die im letzten Jahr erst so richtig für mich entdeckt und einzelne Lieder rauf und runtergehört, vor allem „Something For The Girl With Everything“. Sehr gut möglich, dass der übergeschnappte Duktus unbewusst mein Lied beeinflusst hat: Ich mag diesen Lied besonders, weil es untypisch für mich ist. Jeder Songwriter hat ja immer so eine Melodie, zu der es ihn ewig hinzieht. So entstehen Stil und Markenzeichen, aber am meisten freut man sich doch, wenn man sich ausnahmsweise selbst überrascht.“

Auch wenn in Songs wie, „Dein Programm“ und „Sei einfach nicht du selbst“ politische Töne unüberhörbar sind [am allermeisten ja in „Hölle oder Hölle“, Hinweis j.f.], mag es Friebe nicht, wenn von Popmusikern agitatorische Statements erwartet werden. „Journalisten, die sich nie in einem Artikel dezidiert links geäußert haben, wünschen sich von Popmusikern nichts mehr als große revolutionäre Gesten. Je scheinradikaler und gleichzeitig vager, desto besser“, meint er – und findet Kraftklubs „Nie wieder Ritalin“ gerade deshalb so gut, weil es gesellschaftliche Mechanismen anhand der eigenen Geschichte und ohne großkotziges Programm beschreibt. Ein Manifest zur eigenen Platte würde Friebe nicht verfassen – auch auf die Gefahr hin, missverstanden zu werden. „Wenn es nicht total in die falsche Richtung läuft, ist es ja auch ganz lustig, wenn die Leute etwas anderes verstehen, als man selbst im Kopf hatte.“

Letzte Frage: wovor hatte Jens Friebe Angst als Kind? Auch davor, im Schlaf zu sterben? „Eher vor Außerirdischen und Kunstunterricht, vor allem, wenn wir basteln mussten.“

Christina Mohr

www.jens-friebe.de

Live:
16.9.14 Berlin, Schaubühne (Talkrunde zu Büchner, Jens Friebe ist Talkgast und wird singen)
19.09.14 Hamburg, Reeperbahn Festival
07.10.14 Hannover, LUX
08.10.14 Köln, Studio 672
09.09.10.14 Weinheim, Café Central
10.10.14 München, Mila
12.10.14 Regensburg, Alte Mälzerei
13.10.14 Wien, Stadtsaal
14.10.14 Dresden, Ostpol
16.10.14 Berlin, Bi Nuu

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