Kalkulierte Kunst
– Die Kompositionssoftware Ludwig beglückt kreative Laien und moderne Musiklehrer, freut sich Jörg von Bilavsky.
Musik hören ist gut, Musik machen ist besser. Aber was tun, wenn der Musikliebhaber kein oder vielleicht nur ein Instrument spielt? Wenn er statt Hausmusik mal eine Bigband zum Klingen bringen möchte? Aus der Klemme helfen entweder musizierende Freunde oder eine musizierende Software namens „Ludwig“. Statt Noten zu pauken, Saiten zu zupfen, Saxofon zu blasen oder in die Tasten zu greifen „einfach“ mal am Computer fummeln und tricksen, fertig sind Welthit oder Allerweltssong. Und zwar dank hochkomplexer Algorithmen, basierend auf klassischen Harmonielehren, Wohlklangtheorien und den Tricks und Kniffen großer Komponisten: vom „Musikgelehrten“ Bach bis zum bombastischen Symphoniker Beethoven. Johannes Sebastian oder Ludwig van würden sich gewiss im Grabe umdrehen. Aus Entsetzen oder Entzücken? Das ist hier die Frage.
Musik ist reine Mathematik und deswegen Note für Note berechenbar, hat sich der Physiker Matthias Wüllenweber gesagt. Mit seiner grandiosen Schachsoftware „Fritz“ hat der Bremer Programmierkünstler bereits Großmeister das Staunen und Verlieren gelehrt. Wird aber Fritzens jüngster Bruder das Herz und Hirn großer Komponisten erobern? Wohl weniger. Die Klangkünstler aus Fleisch und Blut werden den Tiefgang, die Seele eines Stückes vermissen, das nur dem unergründlichen Genius und nicht dem Formelfundus höherer Mathematik entspringt. Aber diese Klientel steht wohl auch gar nicht im Fokus des Tüftlers. Kreative Laien und professionelle Lehrer sind angesprochen. Otto Normalmusiker kann eigene oder bekannte Melodien in fetzige Rocknummern, schmissige Schlager oder coole Jazzstücke verwandeln. Das Ergebnis klingt oftmals mainstreamig, aber selten monoton. Das verwundert kaum, gründen die computergenerierten Arrangements doch auf altbewährten Musiktheorien.
Wer sich im Reich der Musikstile ein wenig auskennt, für den dürfte der Wiedererkennungsfaktor recht groß sein. Aber sind wir mal ehrlich: Wer möchte sich nicht mal als Miles Davis, Johnny Cash oder Keith Richards fühlen und deren Songs nach Lust und Laune arrangieren oder verändern? Zumindest für ein paar Takte und mit ein paar anderen Instrumenten – „Ring Of Fire“ als Flötensolo oder „Satisfaction“ im Rausch dutzender Geigen. Der spielerischen Kreativität sind kaum Grenzen gesetzt. Wohl aber der Originalität. Schließlich ist noch kein Ludwig vom Himmel gefallen. Diese verspielt-spielerische Software wird keine neuen Genies hervorbringen, wohl aber etliche Musikliebhaber dazu animieren, ein Instrument zu lernen, erste Melodien zu komponieren oder ganze Stücke zu arrangieren. Zu hoch darf man seine Erwartungen indes nicht schrauben. Neue Boy Bands oder Girl Groups werden mit Ludwig nicht aus der Taufe zu heben sein. Hinter den heutigen One-Hit-Wonders stecken noch immer professionelle Studiomusiker und Musikmanager, die sich mit digitalen Mischpulten und dem komplexen Musikmarkt auskennen. Ludwig kalkuliert anders: rational statt emotional.
Allen Kulturkritikern sei mit Walter Benjamin gesagt: „Das Kunstwerk ist immer reproduzierbar gewesen. Was Menschen gemacht hatten, das konnte immer von Menschen nachgemacht werden. Solche Nachbildung wurde auch ausgeübt, von Schülern zur Übung in der Kunst, von Meistern zur Verbreitung der Werke, endlich von gewinnlüsternen Dritten.“ Die von Benjamin vor Jahrzehnten beobachtete Wechselwirkung von Fotografie und Malerei sowie zwischen Film und Theater gilt auch für unplugged und plugged, will heißen für konventionelle und virtuell komponierte Musikstücke. „Die technische Reproduzierbarkeit des Kunstwerks verändert das Verhältnis der Masse zur Kunst“, heißt es beim Kulturphilosophen. Kunst steht nicht mehr für Elite, sondern für Emanzipation.
Das emanzipatorische Moment einer natürlich auf Gewinn gepolten Software darf freilich nicht überschätzt werden. Ihr Unterhaltungswert und Bildungspotenzial aber auch nicht unterschätzt. Schließlich bläst Ludwig dem Pop nicht nur den Marsch, sondern er komponiert „Stücke in beliebigen Schwierigkeitsgraden“ und lehrt das Improvisieren auf zahlreichen Instrumenten. Ob sich Beethovens digitales Alter Ego als Musikpädagoge und Bandleader bewährt, wird die Praxis zeigen. Eins steht jetzt schon fest: Als neues Bandmitglied möchte man Ludwig nicht mehr missen.
Jörg von Bilavsky
Ludwig 3.0. Komponist, Lehrer, Band. Systemvoraussetzungen: PC Windows 7, Vista oder XP. Arbeitsspeicher: mind. 512 MB RAM. Prozessor: 2 GHz Pentium oder AMD und höher. Soundkarte. Freier Festplattenspeicher: 600 MB (für Sounds). Unverbindliche Preisempfehlung 49,99 Euro. Erscheint kommende Woche in Buchläden und im Online-Buchhandel. Mehr Infos zu der Software finden Sie hier.