Geschrieben am 12. Dezember 2018 von für Musikmag

Kreaturen der Nacht / Sowas von egal

cm_strutGerman Underground

Von JD Twitch zusammengestellte Compilations garantieren immer exquisite Songauswahl – mit seinem Kumpel JG Wilkes veranstaltete Twitch als DJ-Duo Optimo legendäre Parties im Sub Club in Glasgow; Sampler wie „Sleepwalk“ (2008) und „Fabric“ (2010) belegen JD Twitchs Kompetenzen. Jetzt hat sich Twitch einer – zumindest für schottische Fans – vergleichsweise exotischen Zeit-Ort-Kombination angenommen: „Kreaturen der Nacht“ versammelt sechzehn Tracks der frühen Achtziger Jahre, allesamt aus dem German Underground, der für Twitch gleichbedeutend ist mit Berlin, was auch schon der einzige echte Kritikpunkt an dieser Compilation sein soll. Punk und Post Punk sorgten schließlich auch in Köln, Düsseldorf, Hamburg und anderswo für kreative Ausbrüche, die nicht zuletzt in die Neue Deutsche Welle mündeten – aber wer weiß, vielleicht plant JD Twitch ja noch weitere Alben mit deutschsprachiger dance music. Denn Tanzbarkeit ist natürlich oberste Optimo-Priorität und nicht unbedingt das erste, was einer zu Punk (im weitesten Sinne) aus Deutschland einfällt. Aber hier erwachen die Kreaturen der Nacht: Ob Malaria!s „Your Turn To Run“, „Track 4“ von Mania D, „Der Karibische Western“ von Die Haut plus Gastsängerin Lydia Lunch (alias Stella Rico) oder Christiane F’s (ja, die Christiane F) „Wunderbar“ – fast alle Tracks führen schnurstracks auf die neonhell erleuchteten Dancefloors des Dschungel, Risiko und wie die längst in die ewigen Jagdgründe eingegangenen Berliner Discos und Bars so hießen. Saxofone spielen wichtige Rollen, zum Beispiel bei der feministischen Darkwave-Band Ausserhalb und ihrem Song „Zeitzelle“ von 1983, für deren Wiederentdeckung man JD Twitch nicht dankbar genug sein kann. Sperriger Post-Wave von Weltklang oder Stefan Blöser („Voyager One“) ist kein Widerspruch zum einzigen echten, sprich Chart-Hit des Albums, nämlich „Fred vom Jupiter“ von Andreas Dorau und den Marinas – überraschenderweise wirkt der reichlich abgenudelte NDW-Knaller inmitten der teils spröden und unbekannten Tracks wieder frisch wie einst im Mai des Jahres 1981.

cm_egalApropos Hits: Der Einsatz von erschwinglich gewordenen Synthesizern Anfang der Achtziger Jahre sorgte für einen wahren DIY-Boom – für mute-Labelchef Daniel Miller war die Synthie-Explosion der eigentliche Punk, anders nämlich als die Verwendung althergebrachten Rock-Instrumentariums. Hits konnte man jetzt einfach im Kinderzimmer basteln, piep, düdel, zack, fertig – na gut, ganz so einfach war es natürlich nicht. Aber es entstand jede Menge Material, vieles davon verschwand nach kurzem Aufflackern vor knapp vierzig Jahren dann doch wieder im Schuhkarton unter dem Bett. Bis auf die Tracks, die die DJs der Reihe Damaged Goods (noch ein Party-Team, diesmal aus Hamburg, wahrscheinlich kennt ihr es) zutage befördert haben: Vierzehn überwiegend vergessene oder sowieso unbekannte Raritäten deutschsprachiger Herkunft, darunter Perlen wie das erstaunlich queere „Blaue Matrosen“ von Der Moderne Man, deren Album „Unmodern“ 1982 für den NDW-Hype ein bisschen zu intelligent war, oder „Computermädchen“ von El Deux, das offensichtlich nur zufälligerweise kein Hit geworden ist. Auch das – echt alberne – „Liebe, Triebe, Diebe“ von Schwellkörper (subtil!) ist ein NDW-Hit par excellence: ein bisschen DÖF, ein bisschen doof…
In welchen Zeiten (Kalter Krieg, Untergangsvisionen, Paranoia) man sich Anfang der Achtziger befand, zeigen Berlin Express mit „Die Russen kommen“, das reichlich brutale „Stuttgart Schwarz“ von New Dimension und Pension Stammheim (ah genau, die RAF wirkt auch noch sehr stark) mit „US-Invasion“ – diese Stücke sind punk at heart und doch so zackig tanzbar wie viele andere aus dieser Zeit, der Einfluss der kampfbereiten DAF und den nihilistischen Einstürzenden Neubauten ist unverkennbar.
„Sowas von egal“ ist genau das natürlich nicht, sondern ein wichtiger Beitrag zum deutschen Popverständnis – ganz ohne Denkmäler und Legendenbildung.

Interessantes Aside: Tote und/oder gejagte Frauen waren Anfang der Achtziger offensichtlich ziemlich heißer resp. cooler Scheiß: Der Opener der „Kreaturen der Nacht“ („Amanita“ von Leben und Arbeiten) und mehrere Stücke des „Egal“-Samplers (z.B. „Dein ganzes Leben“ von Nullzeit, „Sie bleibt kalt“ von Hoffnung & Psyche) zelebrieren das weibliche Opfer. Aber das ist wohl ein Extra-Thema, das mit Falcos „Jeannie“ längst nicht abgeschlossen war.

Christina Mohr

JD Twitch presents Kreaturen der Nacht. Deutsche Post-Punk Subkultur 1980 – 1984 (Strut / mit umfangreichem Booklet, Fotos, Interviews)
Sowas von egal: German Synth Wave Underground 1980 – 1985 (www.bureau-b.com/)

Video
Malaria!: Your Turn To Run (I Will Be Your Only One)

Video
Der Moderne Man: Blaue Matrosen