Heute in der Lyricskritik: Asaf Avidan & The Mojos: One Day
Die Geschichte tausender nicht erzählter Geschichten. Link zu den Lyrics
Es macht einen wahnsinnig. Oder nicht? Drei, vier Minuten einer Lebenszeit verschleudert für das Lamentieren darüber, dass man irgendwann mal darüber lamentieren wird, die besten Geschichten, ja überhaupt alle Geschichten niemals erzählt zu haben. Sechs, sieben Mal, ja unendlich viele Male wird das wiederholt. Wie viele Geschichten man in dieser Zeit erzählt haben könnte! Zum Beispiel die von der bescheuerten Idee, nachts am Kotti auf dem Geländer spazieren zu gehen statt auf dem Gehweg, und dem anschließenden wochenlangen Krankenhausaufenthalt. Oder wie Hermes die Laurentia so lange auf dem Karussell gedreht hat, bis ihm selbst zum Kotzen schlecht wurde. Oder von dieser Nacht im Berghain, als das Apfelschorlefass plötzlich leer war.
Zu Beginn, ja, da ist noch ein Restwille zur Auseinandersetzung, zum Austausch vorhanden. „Keine Tränen mehr, mein Herz ist ausgetrocknet / ich lache und ich weine nicht“ – eher was fürs Rosamunde-Pilcher-Publikum, aber all right, immerhin pumpt hier noch Blut durch die Venen. „Ich denke nicht immer an dich/ aber wenn, dann frage ich mich warum“. Ja, warum, warum, warum? Wäre da nicht mal eine Antwort fällig? Pustekuchen, es werden Schuld, Schmerz (sogar tautologisch) und Scham postuliert sowie „die Gründungsväter unseres Flugzeugs (hä?) / das in schweren Regenwolken hängengeblieben ist“, aber bevor Dadaismus und Flugzeugbau noch mehr verhöhnt werden können, folgt eben der Rückzug auf das nicht enden wollende Lamento. „Eines Tages, Baby, werden wir alt sein/ Oh Baby, wir werden alt sein/ und an all die Geschichten denken, die wir hätten erzählen können“. Hätte, hätte, Fahrradschlauch! Maaaann, ihr Luschen! Ihr selber wollt alt werden, aber das Publikum soll vor Langeweile sterben!
Fazit: 3 von 478 Punkten. Läuft in Endlosschleife in Dantes viertem Höllenkreis, bei den Geizigen und Verschwendern.
Tina Manske