Kein bisschen feierlich
“Celebrating 50 Years in Music” – mit diesem schier unglaublichen Banner wird Marianne Faithfulls Livealbum beworben, das die besten Momente ihrer Auftritte aus den vergangenen zwei Jahren versammelt. Andererseits sind fünfzigjährige Laufbahnen in Pop und Rock heutzutage gar nicht so selten, siehe Rolling Stones, die ja auch eine neue Platte am Start haben.
Zum Stones-Umfeld gehörte auch die junge Marianne Faithfull, die ihre Karriere 1964 mit dem Jagger/Richards-Song „As Tears Go By“ begann. Dieses auch heute noch in seiner Schlichtheit und Aufrichtigkeit berührende Stück befindet sich in der Mitte von „No Exit“, das Faithfull als Grande Dame des Rockgeschäfts präsentiert. Natürlich ist diese Frau eine Ikone, natürlich muss man sie dafür beglückwünschen, nach all den Jahren des Drogenkonsums (die allerdings schon eine ganze Weile zurückliegen) und der Dramen noch am Leben zu sein, und ja, sie feiert tatsächlich Ende Dezember ihren 70. Geburtstag. Aber: „No Exit“ hört sich so überhaupt nicht an, also kein bisschen feierlich oder gesetzt. Faithfulls Liveband, bestehend aus Rob Ellis, Ed Harcourt, Rob McVey und Jonny Bridgewood, schlägt einen durchgängig rauen Ton an, bluesrockig, heftig und wild zum Teil; angemessen zurückhaltend beim bereits erwähnten „As Tears Go By“, „Sister Morphine“ oder Nick Caves „Late Victorian Holocaust“.
An der Songauswahl lässt sich ablesen, dass Marianne Faithfull kein Interesse an einem weichgespülten Seniorenprogramm hat, dass sie keinen Grund sieht, im sogenannten Alter in den Schongang zu schalten. Faithfull mitsamt ihrer sprichwörtlichen Reibeisenstimme ist in Hochform, man spürt, wie gern sie auf der Bühne steht, ihr Innerstes nach außen kehrt oder einfach nur Riesenspaß hat wie bei „The Price of Love“. Coverversionen und Kollaborationen wie z.B. „Falling Back“ mit Anna Calvi waren schon immer ihre Spezialität, und davon gibt es einige auf dem Album – das mit ihrem großen, unsterblichen Solo-Comebackhit von 1981, „The Ballad of Lucy Jordan“ endet. Die Live-DVD, aufgenommen in Budapest („Ich liebe Ungarn – meine Mutter wurde dort geboren“) bietet ganze 16 Stücke bzw. 20, inkl. Bonusaufnahmen von einem Konzert im Londoner Roundhouse, wo Faithfull in den frühen 1960ern zum allerersten Mal auftrat. Faithfull mit ihrer Band zusätzlich zu sehen, verstärkt den Genuss des Musik-Albums, man kann die Augen nicht von dieser Frau lassen, die den Titel „No Exit“ – vom Rock’n’Roll – im allerbesten Sinn verkörpert.
Christina Mohr
Marianne Faithfull: No Exit (CD + DVD). Mariannefaithfull.org.uk