Aus der Vergangenheit für die Jetztzeit
Die Musik der 1980er Jahre ist ein scheinbar unerschöpfliches Füllhorn, aus dem sich zeitgenössische KünstlerInnen gern bedienen – nicht immer allerdings gelingt dieses retroide Vorhaben so stimmig und schlichtweg großartig wie bei Matias Aguayos neuestem Projekt: Der in Chile geborene Weltenbummler und Teilzeit-Kölner, DJ, Produzent, Gründer des Labels Cómeme (auf dem aktuell z.B. Lena Willikens erscheint) verlässt die Turntables, um Teil einer Band zu sein, die die Musik der Vergangenheit feiert und aufgefrischt in die Jetztzeit überführt. Mit dem Bandnamen will er auf legendäre Acts wie Bill Haley & His Comets verweisen, deshalb Matias Aguayo & The Desdemonas, zu denen außer Aguayo selbst noch Schlagzeuger Matteo Scrimali, Keyboarder Henning Specht und Gitarrist/Bassist Gregorio Gomez gehören. Zusammen produziert das Quartett eine so faszinierende, mitreißende, auf Improvisation und Repetition aufgebaute Mixtur, dass man sich bei einer ausufernden Jam-Session zugegen wähnt. „Sofarnopolis“ ist als loses Konzeptalbum gedacht, mit einer fiktiven Metropole als Fixpunkt – um den sich quasi prä-technoid herumbewegt wird: Tracks wie „Nervous“ und „Boogie Drums“ sind ganz der Percussion verschrieben, erinnern an Postpunk und experimentelle Bands wie Can und – etwas weiter entfernt – John Lydons PiL; „Cold Fever“, „Antidoto“ oder „The Rabbithole“ schwelgen in dunkler Endzeitstimmung, setzen bewusste Kontrapunkte zu den wild ausschweifenden Dance-Improvisationen. Aguayo und seine Desdemonas halten sich an keine Regeln, ihre Stücke dauern sechs, sieben, acht Minuten lang, und es ist ganz offensichtlich, dass diese Musik fürs Live-Erlebnis gemacht ist, für kollektive Entgrenzungserfahrungen, für den ganz großen Jam-Rave.
Christina Mohr
Matias Aguayo & The Desdemonas: Sofarnopolis (crammed discs)
https://de-de.facebook.com/don.matias.aguayo
Video “Nervous”: