Man könnte ja denken, dass über Punk schon alles gesagt, geschrieben, gefilmt und ausgestellt worden ist – aber offensichtlich ist der Bedarf an Informationen über diese Musik/Mode/Ära/Stilrichtung/Lebensphilosophie ungebrochen, wie sonst erklärt sich der nie versiegende Strom an Veröffentlichungen in jedwedem Medium? (Aside: Ich find´s gut.)
Mohr Books & Music präsentiert eine kleine Produktschau, ohne Anspruch auf Vollständigkeit:
PUNK 45, Vol. 2
Vor einigen Wochen erschien (Buch und CD) Teil eins von „PUNK 45“, Jon Savages und Stuart Bakers Würdigung des punk-idealtypischen Formats schlechthin: der Single. Volume 1 widmete sich amerikanischem Punk der Gründerzeit, PUNK 45 Vol. 2 präsentiert 24 klassische, obskure und seltene Punk- und Post-Punk-Tracks aus dem Vereinigten Königreich, datiert zwischen 1977 und -81. Mittendrin in der Thatcher-Ära also, und von der Eisernen Lady stammt auch das titelgebende Zitat „There Is No Such Thing As Society“ – ein Satz von unvergleichlicher Härte und Kälte, an dem sich Heerscharen britischer KünstlerInnen abarbeiteten. Man mag in Frage stellen, ob Maggie Thatcher indirekt als Punk-Begründerin gesehen werden kann, unbestreitbar ist aber, dass die britischen Punks (anders als ihre amerikanischen Zeitgenossen) ein klar definiertes Feindbild hatten. Musikalisch schlug sich der Hass auf Thatcher und die Unzufriedenheit mit dem Zustand der Gesellschaft (die es ja laut MT nicht gab) mal mehr, mal weniger konkret nieder. Ein Song wie „Sick of You“ (The Users, 1977) kann eine politische oder private Dimension haben, reinknallen tut er so oder so, auch noch 37 Jahre nach Veröffentlichung.
Wie auch schon bei Volume 1 gelingt Savage und Baker die Auswahl von Bands und Singles vortrefflich: bekannte Stücke wie „Part-Time Punks“ von Television Personalities und „Radio Drill Time“ (Josef K) sind dabei, auch um zu zeigen, dass Punk durchaus langlebige „Hits“ hervorgebracht hat, die bis zum heutigen Tag auf Compilations landen. Den Löwenanteil bekommen aber die vergessenen und nie populär gewordenen Bands, die häufig nur eine Single lang existierten wie zum Beispiel The Jermz („Power Cut“, 1978) oder Mucky Pup („Puncture“, 1977). Jon Savage und Soul-Jazz-Gründer Stuart Baker haben ein Augenmerk auf die vielen verschiedenen musikalischen Spielarten des noch jungen Punk – die Einflüsse reichten von Prä-Industrial über Power-Pop, Freak-Jazz-Elektro, Reggae, etc. – The Mekons unterschieden sich deutlich von Johnny Moped und der wiederum von Art Attacks oder The Nerves. Dass der Hardrock-“Punk“ von The Exploited oder UK Subs mal die öffentliche Wahrnehmung bestimmen sollte, ist den PUNK 45-Stücken jedenfalls noch nicht anzumerken.
Der wie immer bei Soul Jazz Records-Veröffentlichungen üppig ausgestattete Sampler (CD im Schuber + Booklet oder extraschweres Vinyl im Klappcover) beinhaltet ausführliche Linernotes, bislang unveröffentlichte Fotos und Coverreproduktionen der Originalsingles.
Geschichtsunterricht wie er sein sollte!
The Rise and Fall of The Clash
Eine Revision bekannter Geschichtsschreibung versucht der spanisch-amerikanische Filmemacher Danny Garcia mit seiner Dokumentation „The Rise and Fall of The Clash“: neunzig Minuten lang erzählen WegbegleiterInnen, Journalisten und Roadies, wie es passieren konnte, dass die revolutionäre Band aus London 1982 auf dem Höhepunkt ihres Erfolges die Nerven verlor und erst drei zähe Jahre später ihr unglückliches Ende fand. Der Schuldige scheint schnell gefunden: Bernie Rhodes, Manager, Mastermind und Impresario (der allerdings an Malcolm McLaren nicht heranreichte) hatte von Anfang an zu viel Macht, vor allem über Joe Strummer. Rhodes‘ manipulative Einflussnahme führte letztendlich zum Rauswurf von Topper Headon und Mick Jones und dem hinausgezögerten, unrühmlichen Aus von The Clash (für die Jüngeren: im Grunde waren The Clash 1983 bereits Geschichte. Joe Strummer und Paul Simonon rekrutierten drei junge Punkmusiker, um mit ihnen 1985 das von Bernie Rhodes‘ mitgeschriebene, sehr schlechte Album „Cut The Crap“ aufzunehmen. Noch im selben Jahr löste Strummer The Clash endgültig auf).
Die Dokumentation ist wesentlich spannender, als man zunächst wegen des üblichen ältere-Personen-meist-männlichen-Geschlechts-reden-über-teils-tote-ältere-Personen-meist-männlichen-Geschlechts-Rockdoku-Formats vermutet. Denn erstens sind mit Pearl Harbour (Sängerin, Paul Simonons Ex-Frau) und Viv Albertine von den Slits zwei sehr eloquente weibliche Interviewees dabei, zweitens macht es sich die Doku mit der Schuldzuweisung an Bernie Rhodes auch nicht allzu leicht, es kommen auch einige andere unbequeme Stresspunkte innerhalb der Band zur Sprache. Wir wollen an dieser Stelle nicht zuviel verraten, aber der zwar höchst charmante, witzige Pothead Mick Jones war gewiss nicht der einfachste Band-Buddy, den man haben konnte, dito Joe Strummer, der Gesicht, Stimme und Attitude von The Clash war, aber auch ein leicht beeinflussbarer Mensch, der schon bald den Überblick verlor, wer Freund und wer Feind war.
Ob man Garcias Faden folgt oder nicht: „The Rise and Fall of The Clash“ ist spannend, unterhaltsam und verdeutlicht, warum The Clash eine so herausragende Position im Punk und in der Popgeschichte überhaupt einnehmen.
Paul Simonon und Bernie Rhodes wollten sich übrigens nicht für den Film interviewen lassen.
PUNK in Deutschland
Von einem Buch über Punk, das den Untertitel „Sozial- und kulturwissenschaftliche Perspektiven“ trägt, werden viele schon von vornherein die Finger lassen. Da es sich aber um eine Cultural-Studies-Arbeit handelt, ist der LeserInnenkreis ebenfalls von vornherein recht klar umrissen: It´s Science, Babies!
Der Gegenstand der Anthologie bringt es allerdings mit sich, dass die Texte auch für Nicht-WissenschaftlerInnen lesbar und interessant sind wie zum Beispiel Sebastian Bitterwolfs und Moritz Müllers Abhandlung über Skinheads (spätestens mit diesem und einem Text über kalifornischen Skatepunk wird deutlich, dass Punk in Deutschland sehr stark auf Einflüsse vor allem aus England und den USA zurückgeht und nicht losgelöst von diesen betrachtet werden kann) oder die Annäherung von Punk und Internet („Chaostage und Facebook-Partys“ von Oliver Herbertz).
Der Beziehung von deutschen Punks und Politik widmen sich Herausgeber Meinert in seinem Text über die Anarchistische Pogo-Partei Deutschlands (APPD) und Peter Seyferth, der untersucht, wie anarchistisch Punk in Deutschland war und ist, die besondere Situation von DDR-Punks umreißt Anne Hahn. Auf langatmige und schon oft gelesene Genealogien (wer veröffentlichte mit wem wann welches Album und trat in welcher Berliner Kaschemme auf) hätte man verzichten können, gehören zu einem wissenschaftlichen Werk als Einführung der Grundlagen aber natürlich auch dazu.
Ageing And Youth Cultures
Jeder kennt so jemand oder ist es selbst: der oder die schon ziemlich ergraute, in Fältchen gelegte, um die Hüften etwas aufgerüschte, aber dennoch unbeirrbar in vollem Gothic-, Rockabilly-, Heavy Metal-, EBM- oder Punk-Ornat auftretende ewige Jugendliche. ABER: ist „Youth Culture“ überhaupt das Privileg junger Menschen? Ist Rebellion, Exklusivität/Individualität bei gleichzeitiger Gruppenzugehörigkeit und die Liebe zu Musik und/oder bestimmten Lifestyles an eine Altersphase gebunden? Wenn ja, warum? Und wie lebt es sich, wenn man seine Vorlieben auch noch als 30-, 40-, oder 50+-Person sichtbar nach außen trägt?
Der höchst interessante Reader „Ageing and Youth Cultures“ geht diesen Fragen nach; interviewt Goths, die auch mit Kleinkindern ihre Lieblingsfestivals besuchen und erörtert, ob und wie man sich als älterer Fan im Moshpit fühlt. Joanna R. Davis untersucht (an sich selbst und anderen), wie man damit umgeht, wenn sich die Erwartungen der Jugend nicht oder nur kaum mit der Realität des fortgeschrittenen Erwachsenendaseins decken; besonders empfehlenswert auch der Artikel von Samantha Holland, die sich alternden Riot Grrrls annimmt („Alternative Women Adjusting to Ageing, or How to Stay Freaky at 50“).
Pulp — Help The Aged – MyVideo
Das von zwei Hochschuldozenten herausgegebene Buch ist natürlich kein Ratgeber, wie man es schafft, als Techno-Clubber würdig zu altern. Aber die verschiedenen dokumentierten Lebenswege verdeutlichen natürlich auch, dass es sich im Anzug auch nicht einfacher altert als im Gothic dress. Also gibt es bei Licht betrachtet keinen Grund, die Kutte an den buchstäblichen Nagel zu hängen. Rock on!
Christina Mohr
PUNK 45: There Is No Such Thing As Society. Get A Job, Get A Car, Get A Bed, Get Drunk! Vol. 2: Underground Punk and Post-Punk in the UK 1977 – 81 (Soul Jazz Records).
The Rise and Fall of the Clash (DVD, 90 Minuten, 16:9, Netinfect Promo). Mehr hier.
Philipp Meinert, Martin Seeliger (Hg:): PUNK in Deutschland. Sozial- und kulturwissenschaftliche Perspektiven. Cultural Studies 44 (transcript, Broschur, 312 Seiten).
Andy Bennett, Paul Hodkinson (Hg.): Ageing and Youth Cultures. Music, Style and Identity (Bloomsbury, Broschur, 208 Seiten).