Die letzte Ausgabe von Mohr Music… (Kunstpause)…. vor der CULTurMAG-Sommerpause (hoffentlich erleichtertes Aufseufzen allenthalben) ist streng genommen ein doppelter Veranstaltungstipp. Der erste ist eher langfristig angelegt und betrifft die Monate Juli und August, der zweite erfordert rasches Handeln. Christina Mohr sagt, wo’s langgeht.
arte Summer of Girls
In den Sommermonaten der letzten drei Jahre widmete sich der deutsch-französische Fernsehsender arte der Popmusik der 1960er-, 70er- und 80er-Jahre. Gezeigt wurden Musikfilme, Konzertaufnahmen, Videos und Dokumentationen, moderiert von Leuten, die irgendwie zum jeweiligen Jahrzehnt in Beziehung standen. So wurde das 80er-Paket von Ex-Formel eins-Quotenfrau Stefanie Tücking vorgestellt, Katja Ebstein präsentierte die 70er-Jahre. Die 90er- und 00er-Jahre sind den arte-Machern offenbar noch nicht weit genug entfernt und dürfen deshalb noch kein TV-Sommerloch füllen, in 2011 sind die Pop-Damen dran: Summer of Girls heißt die zehnteilige Reihe, die ab 5.7. auf Sendung geht und von Judith Holofernes moderiert wird. Jeden Dienstag gibt es Filme, Interviews und Liveausschnitte, sortiert in Rubriken wie „Rock Angels“, „Icons and Idols“, „Power Girls“ oder „Iron Women“.
Der Summer of Girls bietet von vornherein viel Angriffsfläche, auf der Kritikpunkte angetackert werden dürfen, z. B. die Konzentration auf prominente Namen, die Auswahl von Mainstream- anstatt Underground-Filmproduktionen, das Ausblenden wichtiger Bewegungen wie Riot Grrrl, die Wahl zur „Queen of Pop“ inklusive Klamotten- und Kosmetikverlosung etc. pp. Es ist zu erwarten, dass im Summer of Girls häufig No-Go-Begriffe wie „Frontfrau“ oder „Rockröhre“ fallen und dass die Dokumentationen in gewohnter arte-Manier ihre Topics in derart halsbrecherischem Tempo abhandeln werden, dass man hinterher nicht mehr ganz sicher ist, ob Suzi Quatro nicht doch Bassistin der Runaways war, Cyndi Laupers erster Hit „Like A Virgin“ hieß oder Tina Turner mal mit John Lennon verheiratet war.
Andererseits (keine Mohr Music ohne ein entschiedenes ja, aber) ist es mehr als begrüßenswert, einen ganzen Sommer lang Musik von Frauen vorgespielt zu bekommen, Interviews mit Amanda Lear, Lita Ford (die tatsächlich bei den Runaways spielte) und Pamela des Barres zu sehen, und Filme wie „Foxy Brown“ und Liveauftritte von PJ Harvey gucken zu können. Im Mohrschen Kalender sind die kommenden Dienstage jedenfalls schon dick – selbstverständlich mit Lippenstift – markiert. Wer keinen Fernseher (mehr) hat und singende und musizierende Frauen nur hören mag, kann das auch, und zwar mit der offiziellen Compilation zur arte-Reihe. Drei CDs wurden mit 60 Songs gefüllt, von denen der überwiegende Teil aus hinlänglich bekanntem Chartmaterial besteht: Shakira mit „Whenever, Wherever“, Britney Spears mit „Baby One More Time“, „Poker Face“ von Lady Gaga, Katy Perry mit „I Kissed A Girl“, Cyndi Lauper mit „Like…“, äh, „Girls Just Want to Have Fun“, Natalie Imbruglia mit „Torn“…. gähn.
Aber es gibt auch nette Überraschungen und Stücke, die man lange nicht gehört hat: „Wuthering Heights“ von Kate Bush zum Beispiel, Brigitte Bardots „Harley Davidson“, „The Greatest“ von Cat Power und Francoise Hardy mit „Comment te dire adieu“, das später von Jimi Somerville gecovert wurde. Die aktuellsten Tracks stammen von Gossip, Lily Allen und einer gewissen Eliza Doolittle, die „Material Girl“ von Madonna covert – die offenbar keine Genehmigung dafür erteilte, einen ihrer Hits im Original auf diesen Sampler pressen zu dürfen. Madonna taucht im Summer of Girls dennoch auf: zwar nicht an ihrem 53. Geburtstag am 16.8., sondern schon eine Woche vorher zeigt arte unter der Überschrift „It Girl“ den Film „Susan… verzweifelt gesucht“ und die Tour-Doku „In Bed With Madonna“.
The art of pop video
Hier der dringliche Tipp: nur noch bis zum 3.7.2011 läuft im Kölner Museum für Angewandte Kunst (MAKK) die Ausstellung The Art of Pop Video. Das Pop-Video wie wir es kannten, steckt in der Krise – obwohl es, nimmt man das Jahr 1981 mit dem Start von MTV als Geburtsstunde, gerade mal erst dreißig Jahre alt ist und eigentlich noch keine Anzeichen einer midlife crisis zeigen dürfte. Aber so scheint es zu sein: MTV ist nur noch als Bezahlsender zu empfangen, davor sah man dort nur noch unterirdische „Reality Shows“, von Musik keine Spur mehr.
Und wer nicht ständig vorm Computer hockt und YouTube, Vimeo oder andere Seiten anklickt, hat keine Chance, aktuelle Clips aktueller Künstler zu sehen. Das war vor fünfzehn Jahren ganz anders, MTV lief 24/7 und deckte eine auch für heutige Geschmäcker beachtliche Bandbreite ab. Als sich Viva dazuschaltete, kam man überdies in den Genuss, deutsche Produktionen zu sehen. Dennoch können, nein, müssen sich die heutigen Mittdreißiger bis Frühvierziger als Generation Video betrachten, kaum ein Hit aus den 1980ern kam ohne eigens gedrehtes Filmchen aus: die Bilder zu Michael Jacksons „Thriller“, Peter Gabriels „Sledgehammer“ oder Madonnas „Like A Virgin“ haben sich ins kollektive Gedächtnis eingeschrieben, sind ikonische Motive der Popkultur geworden.
In den 90er-Jahren begann die Superstarphase, Regisseure wurde ebenso wichtig wie Komponisten und Künstler. Bands rissen sich darum, von Anton Corbijn, Chris Cunningham oder Michel Gondry in Szene gesetzt zu werden. In den 2000er-Jahren wurden die Segel für immer weiter fortschreitende Segmentierung und Spezialisierung gesetzt, überdies verlagerten sich Musik- und Filmkonsum oder gleich die ganze Produktion ins Internet, was „das Fernsehen“ als Monopolmedium für Pop-Videos schleichend, aber wirksam entmachtete. Michael Aust, Kurator der Kölner Ausstellung, hält das Video zwar für museumsreif, aber längst nicht tot. Im MAKK wird auch nicht das sattsam bekannte „Video Killed The Radio Star“ (The Buggles, 1979) als das erste Musikvideo präsentiert, die Schau setzt wesentlich früher an: Oskar Fischinger unterlegte schon 1933 die „Komposition in Blau“ mit bewegten Bildern, Tänzer wie Fred Astaire wirkten stilbildend für spätere Pop-Choreografien, von Man Ray sind kombinierte Musik- und Filmsequenzen aus den 1920er-Jahren erhalten.
Schon in Walt Disneys frühesten Zeichentrickfilmen wurde Musik eingesetzt und – um einen Sprung in die Popära zu machen – die Kinks, Pink Floyd und die Rolling Stones nutzten das Medium Film schon in den frühen 60ern, um ihre Songs zu promoten. In Köln gibt es also viel zu sehen und zu hören, und wer sich nur ein bisschen für die Kombi Sound & Vision begeistert, sollte die Reise unbedingt auf sich nehmen. Wer das nicht schafft, sollte sich den im neu gegründeten Distanz Verlag erschienenen Ausstellungskatalog zulegen: dieser punktet mit klugen Texten von u. a. Daniel Kothenschulte und Michael Aust, vielen Video-Kurzbesprechungen (mit Bildern!) und – großes Plus – mit einer DVD mit 26 Videos von den Pet Shop Boys über Alex Gopher, Weezer, Zoot Woman, Nina Simone, Amy Winehouse und und und. Ach so, Regisseure nicht vergessen: gedreht haben Derek Jarman, Lasse Gjertsen, James Frost, Howard Greenalgh und viele mehr.
the art of pop video. Distanz Verlag, hg. Museum für Angewandte Kunst Köln. 224 Seiten.
Die Website des Verlages sowie des Museums für Angewandte Kunst.
Christina Mohr