Es sind gute Zeiten für Nostalgiker: Mit PIL und den Dexys melden sich gleich zwei Helden von Christina Mohr musikalisch zurück. Während aber die einen begeistern, sind die anderen irgendwie lahm geworden.
Wiederauferstehung
Nein, nein, nein, bei diesem Album kann man nicht das übliche Blabla ablassen: dass sich hier „Legenden zurückmelden“ und ein „amtliches Comeback“ abliefern, das „Jüngere alt aussehen“ lässt. Nein. „One Day I´m Going to Soar“ ist ein Wunder, eine Offenbarung, eine Wiederauferstehung: Dexys sind wieder da, nicht mehr als Midnight Runners, sondern einfach nur Dexys; gereifte Herr- und Frauschaften, die Kevin Rowland in leicht veränderter Besetzung um sich versammelt hat.
Dass es Dexys jemals wieder geben würde, war nicht abzusehen: nach dem kurzen, aber irre nachhaltigen Erfolg mit „Come On Eileen“ (1982) lösten sich die Celtic Soul Brothers 1985 auf; Rowland irrlichterte seitdem als unberechenbarer, selbstzerstörerischer Golem durch die Poplandschaft und trat unter dem Spott unsensibler Hools in Frauenkleidern auf. 2003 gab es eine Dexys-Live-Reunion und jetzt, dreißig Jahre nach „Come On Eileen“ zaubert Kevin Rowland eine Platte aus dem Hut, die einem Tränen der Freude in die Augen treibt.
Die reformierten Dexys – Rowlands kongenialer Partner Big Jim Paterson ist mit dabei, außerdem Mick Talbot, Paul Wellers Ex-Kollege von Style Council und die großartige Schauspielerin und Sängerin Madeleine Hyland – berufen sich auf alte Meister, Orientierungspunkte für das Album waren „A Man Alone“ von Frank Sinatra und Marvin Gayes Scheidungsepos „Here, My Dear“. Auch auf „One Day…“ geht es um die ganz großen Themen: Liebe, Hass, Zerwürfnisse, Einsamkeit, Läuterung, Neubeginn. Rowland und Hyland umgarnen und bekriegen sich im Duett zum Big Band Soul, elegant, energiegeladen und immer ein bisschen over the top mit Bläsern und Streichern en masse. Und was könnte man anderes tun als hemmungslos zu schwelgen: hört euch einfach die Single „She Got A Wiggle“ an, oder „Incapable of Love“ oder das achtminütige Schlussepos „It´s O.K. John Joe“. Groß.
Dexys: One Day I´m Going to Soar. Buback (Indigo). Zur Homepage.
Nervt nicht
Das neue Album von Public Image Ltd indes ruft bei der Rezensentin nicht dieselben Begeisterungsstürme wie die Dexys-Platte hervor. Klar ist “This Is PIL” auf gewisse Weise auch spektakulär: erstes neues PIL-Material seit zwanzig Jahren, selbstfinanziert auf eigenem Label – also guter alter Punk-DIY-Style, und das gleichzeitig zum eher zweifelhaften “Jubilee”-Gedöns, das Lydon mit seiner anderen antiken Band, den Sex Pistols und der Wiedervöffentlichung von “Never Mind the Bollocks” veranstaltet.
Public Image Ltd. waren zwischen 1978 und 1982 die innovativste, radikalste und einflussreichste Postpunk-Band. Mit kongenialen Musikern wie Jah Wobble und Keith Levene lief Lydon, der schon damals nicht mehr “Rotten” sein wollte, zur Hochform auf, experimentierte mit Dub und No Wave und lieferte mit Platten wie “First Issue” und “Flowers of Romance” beißende Kommentare zur apokalyptischen Situation in den frühen Achtzigern. Dass PIL mit „This Is Not A Love Song“ sogar ein veritabler Charthit gelang, passte perfekt zum Lydon´schen Zynismus.
Ab 1992 war Schluss mit PIL – bis vor kurzem, als Lydon mit einer neuen PIL-Formation (Lu Edmonds, Ex-Damned; Bruce Smith, Ex-Pop Group; Scott Firth) in London auftrat und für, gelinde gesagt, Begeisterung sorgte. Erstaunlich und gänsehautverursachend ist der Einstieg in “This Is PIL”: zu dunkel hallendem Dub skandiert John Lydon minutenlang die Zeile „This Is PIL“, und dass man jung bleiben solle, egal wie alt man ist. Das Alter (Lydon ist 56) ist auch gar nicht das Problem von Lydon und seinen neuen PIL, sondern eher ein gewisses Unfokussiert-Sein, vor allem musikalisch: thematisch und textlich ist Lydon so wütend wie eh und je, er warnt vor Fremdbestimmung und Ausbeutung, flucht auf die Regierung und die Banker – so weit so wichtig, vor allem im echt umwerfenden „One Drop“. Spätestens ab Track No. 6 („I Must Be Dreaming“) aber vernachlässigen Lydon, Edmonds, Smith und Firth die Dramaturgie; der bis dahin überzeugende Dub-Step-Tech-Wave-Reggae-Flush beginnt auszufransen und zu verdaddeln.
Und auf einmal klingt auch Lydon gar nicht mehr so aufrührerisch, sondern leiernd und lahm. Der Effekt des Albums ist vergleichbar mit Mark Stewarts letztem Album „The Politics of Envy“: man hört den einstigen Visionär und Innovator noch heraus, wünscht ihm und sich aber, er hätte es mit fünf, sechs coolen Tracks auf einer EP gut sein lassen. To cut it short: „This Is PIL“ nervt nicht, und genau das hätte man über die frühen Alben nie gesagt.
Christina Mohr
PIL: This Is PIL. PIL Official (Cargo). Zur Homepage.