Lacht über alte Männer nicht
Eine meiner ewigen Lieblingsplatten stammt aus dem Jahr 1985 und ist, epochengerecht, eine Maxisingle: Bronski Beat und Marc Almond coverten Donna Summers Hit “I Feel Love” und verschmolzen diesen mit “Love To Love You Baby” und Johnny Leytons “Johnny Remember Me” zu einem orgiastischen Medley. Fantastisch.
Vielleicht übertreibe ich, wenn ich behaupte, dass Almond (Soft Cell) und Bronski Beats Jimmy Somerville die männlichen Stimmen der 1980e- Jahre waren – aber andererseits möge man mir bitte ernst gemeinte andere Vorschläge unterbreiten. Somervilles Falsett und Almonds dunkle Boudoir-Vocals sind so unverkennbar wie das Vibrato von Elvis und dürften auch von Leuten identifiziert werden können, die 1985 noch längst nicht geboren waren. Inzwischen gehören beide Sänger der Generation 50+ an – und sind beide so aktiv wie lange nicht.
Dass die Welt nicht alle Achtziger-Jahre-Stars mit Jubel und Fanfaren zurückbegrüßt, bekamen unlängst Boy George und Holly Johnson zu spüren, deren Comeback-Alben herz-, sang- und klanglos untergingen. Dabei war zumindest Boy Georges Platte gar nicht mal schlecht, aber außer auf Ibiza, wo Mr. O’Dowd öfters Platten auflegt, wollte sie niemand hören. Ganz anders laufen die Dinge für Jimmy Somerville, dessen aktuelle Platte “Homage” nicht nur vom culturmag sehr liebgehabt wurde (siehe Blitzbeats vom 18.3.2015), sondern allüberall für gute Laune sorgt.
Somervilles buchstäbliche Hommage an den Discosound der siebziger und achtziger Jahre ist so entwaffnend catchy geraten, dass man gar nicht anders kann, als zu “Travesty” oder “Strong Enough” hüftschwingend und lauthals mitsingend durch den Flur zu tanzen. Dankbar folgt man der Dramaturgie des Albums und sinkt zur nachdenklichen Ausklangsballade “Learned To Talk” aufs Samtsofa.
Genau dorthin führt auch Marc Almonds neues Album “The Velvet Trail”, das aber, ich sag’s lieber gleich, nicht annähernd so charmant klingt wie “Homage”. Es ist absolut bewundernswert, dass Almond nach seinem schlimmen Unfall 2004 stimmlich zu seiner alten, glanzvollen Form zurückgefunden hat; das Händchen für Songs à la “Say Hello (And Wave Goodbye)” schwächelt indes ein wenig. “The Velvet Trail”, produziert von Chris Braide (Lana Del Rey, Beyoncé) ist vom ersten bis zum letzten Ton ein Dokument hedonistischen Survivor-tums, die Auferstehungsfeier eines Außenseiters respektive Individualisten, aufgeteilt in drei Akte – okay, Almond war schon immer der Mann fürs große Drama, unvergessen seine großartigen Interpretationen von Jacques-Brel-Stücken, nur mal als Beispiel.
“The Velvet Trail” trägt aber nur dick auf, ohne dass die Kompositionen dem Ansatz gerecht werden. Fast jeder Song verläuft nach einem vorhersehbaren Muster; und angesichts des typischen, kraftvollen Deklamationsstil Almonds könnte man natürlich sagen, dass die Lieder/Melodien ruhig zur Nebensache werden dürfen, solange diese Stimme zu hören ist. Auf der Länge von ganzen 16 Stücken nervt das aber, “Zipped Black Leather Jacket” hin, “The Pain Of Never” her; und irgendwann findet man all das Pathos und die zur Schau gestellte Ernsthaftigkeit in Almonds Vocals nur noch flach und hohl. Das Duett mit Beth Ditto “When The Comet Comes” hätte so geil werden können (weil: wenn zwei Queer-Ikonen unterschiedlicher Generationen eigentlich perfekt zusammenpassen, dann diese beiden), ist es aber nicht, der Song verdümpelt in lieblosem Soulpop und verheizt Idee und Stimmen.
Wesentlich bescheidener, dabei um Längen sympathischer kommen The Lilac Times‘ “No Sad Songs” daher: Bandleader Stephen Duffy gründete zusammen mit John Taylor einst in Birmingham eine Gruppe namens Duran Duran, die einigen von euch, liebe Kinder, bekannt sein dürfte. Weil Duffy aber nicht fürs Teenie-Stardom gemacht war, verließ er Duran Duran, kurz bevor diese die Cover aller einschlägigen Gazetten zierten und wurde als Stephen “Tin Tin” Duffy und Hits wie “Kiss Me” und “Icing on the Cake” nach eigenem Wunsch nur ein bisschen berühmt.
Nach diesen Erfahrungen wollte Duffy allerdings noch weniger erfolgreich sein und gründete mit seinem Bruder Nick The Lilac Time. Seit 1986 erfreut der feinsinnige Singer-/Songwriter-Folk eingeweihte Kreise und es verwundert nicht, dass die neue Platte von vielen Magazinen zum Album des Monats oder ähnlichem gekürt wurde. Sehr verdient, ganz nebenbei – und man ahnt schon, dass Duffy auch 2015 wieder kein Star werden wird, aber wie gesagt, will er das ja gar nicht. Die “No Sad Songs” sind von einer heiteren Melancholie geprägt, zart instrumentiert mit Banjo, Geigen und Piano, KennerInnen werden an verwandte Acts wie The Divine Comedy denken, wobei Stephen Duffy kein Zyniker, sondern vielmehr ein Romantiker ist: “I was a flower child, now I’m a flower man” schreibt sich Duffy selbst ins Booklet bzw. in das dem Album beigelegten Gedichtbändchen.
Gemeinsam mit Ehefrau und Bruder webt Stephen Duffy weiter an seiner eigenen Legende, die viel weniger “sad” ist, als es zuweilen wirken mag. Songs wie “Prussian Blue” oder “The Western Greyhound” sind so beschwingt und im besten Sinne unbeschwert, dass man Duffy nachträglich zu seiner Entscheidung, kein Duranie sein zu wollen, nur beglückwünschen kann.
Von den Zeitläuften ebenfalls unbeeindruckt arbeiten auch The Monochrome Set einfach weiter: 1978 in London gegründet, vom Punk beeinflusst und New Wave/PostPunk maßgeblich mitgestaltend, ist die Band nach verschiedenen Neuformierungen und Reunions seit 2011 wieder da. Mit der neuen Platte „Spaces Everywhere“ tourten sie gerade durch deutsche Clubs – zur großen Freude der ergrauten Fangemeinde. Banjos (und Flöten!) gibt es hier auch zu hören, aber ganz anders eingebettet als bei The Lilac Time.
Im Vordergrund des Monochrome-Set-Sounds stehen nervöse, flickerige Gitarren und die unverwechselbare Stimme von Sänger und Bandleader Bid, die Atmosphäre ist noir, aber nicht dark, das ist ein Unterschied! The Monochrome Set schufen vor vielen Jahren mit Platten wie „Strange Boutique“ (1980) und Songs wie „The Jet Set Junta“ einen so stilprägenden, einzigartigen Sound, dass spätere Veröffentlichungen immer an diesen alten Großtaten gemessen werden – zum Glück fällt Bid und Kollege Lester Square aber immer noch was Neues ein, so dass „Spaces Everywhere“ womöglich kein Klassiker werden wird, aber, selten genug, eine prima Platte ist.
Nichts Neues gibt es – das mag so manche/n freuen – von Wham! und Spandau Ballet. Letztere waren gerade hierzulande auf Comeback-Tour, und es ließ sich vernehmen, dass die Stimmung auf Bühne und im Zuschauerraum bestens war. Keinesfalls wollte die Band um Donnerstimme Tony Hadley ihr Publikum mit neuen Songs verstören, sodass die Konzerte der einstigen New Romantics handfeste Nostalgieshows waren. Also „Gold“, „True“, „Through The Barricades“, Stimme, Haarspray, Saxofon, you name it.
Wer die Tour verpasst hat und trotzdem einen Abend mit den „Soul Boys of the Western World“ verbringen möchte, kann sich George Henckens Dokumentarfilm reinziehen, der auf DVD veröffentlicht und zusätzlich in ausgewählten Kinos gezeigt wird. Erstaunlicherweise kommen auch Spandau Ballet vom Punk, fanden sich in kunstvoll drapierten Teppichen und Pferdedecken aber viel schicker und wurden Popstars. Gitarrist und Songschreiber Gary Kemp brach massiven Streit (um Geld, natürlich) vom Zaun, die Band trennte sich und fand nach Jahren notarieller Betreuung doch wieder zusammen. Jetzt sind die früheren Beaus mollig um die Hüften und grau an den Schläfen – und nicht die einzigen, die nochmal ihre besten Jahre abfeiern wollen. Warum auch nicht.
Wham! gehen garantiert nicht auf Tour und einen Film gibt es auch nicht – aber für die Zuspätgekommenen alle drei Alben in einer Box. Ich persönlich kann mir zwar kaum vorstellen, dass es Menschen gibt, die „Fantastic“, „Make It Big“ und „Music From The Edge Of Heaven“ nicht besitzen, aber jetzt wird ja alles gut. Die Fönwellen von George Michael und Andy Ridgeley wippen durch Hits wie „Club Tropicana“, „I’m Your Man“ und „Wake Me Up Before You Go-Go“ und gemeinsam zelebrieren wir den zuckerwattigen Irrsinn der Achtziger Jahre. Unverzichtbar.
Und die Moral von der Geschicht? Lacht über alte Männer nicht. Oder so.
Marc Almond: The Velvet Trail (Cherry Red) Zur Homepage.
Jimmy Somerville: Homage (Membran). Zur Homepage.
The Lilac Time: No Sad Songs (Tapete). Zur Homepage.
The Monochrome Set: Spaces Everywhere (Tapete). Zur Homepage.
Wham!: Original Album Classics (3-CD-Boxset, Sony).
Spandau Ballet: Soul Boys of the Western World. The Story (DVD, AV Visionen). Zur Homepage.