Geschrieben am 13. Juni 2012 von für Musikmag

Mohr Music: Clubsounds

Trotz Euro 2012 – Christina Mohr ist nach dem Public Viewing in die Disco gegangen und bringt für ihre Kolumne die neuesten Releases für den Dancefloor mit.

Hot Chip: In Our HeadsNicht nur zum Tanzen und Abfeiern

Es ist schon erstaunlich, dass Hot Chip bei all den Nebenprojekten (The 2 Bears, New Build, About Group) tatsächlich ihr fünftes Album fertig bekommen haben – offensichtlich sind Joe Goddard, Alexis Taylor, Felix Martin, Al Doyle und Owen Clarke kreative Arbeitstiere, die sowas wie ‚Feierabend‘ oder ‚Pause‘ gar nicht kennen. Im Gegensatz zum medialen Hype klingt „In Our Heads“ weder überstürzt-hysterisch noch uninspiriert, sondern gut abgehangen und wohlüberlegt. Ganz überwiegend machen Hot Chip ja den Eindruck, als wäre ihnen zuviel Aufmerksamkeit unangenehm und als hielten sie sich nicht so gerne in Clubs auf, sondern im Studio; als sähen sie von hinter der Glasscheibe den TänzerInnen mit einem wohlwollenden Nicken zu. Apropos Studio: mit Mark Ralph ließen die fünf Briten zum ersten Mal einen Gastproducer an die Regler, der „In Our Heads“ mit der gebotenen Sensibilität abgemischt hat.

Auch wenn Joe Goddard behauptet, dass Hot Chip diesmal „etwas richtig Fröhliches“ geschaffen haben, schwebt über allen elf Songs zarte Traurigkeit und Melancholie – genau richtig, um den Mix aus Soul, Pop, R’n’B, House Detroitscher Prägung, Disco und Funk mit einem Hauch memento mori abzudunkeln. Denn wie jede gute Musik sind jubilierende Discotracks wie „How Do You Do“, „Flutes“, die Single „Night and Day“ und „Don´t Deny Your Heart“ nicht einfach nur zum Tanzen und Abfeiern gemacht. Hot Chip wissen, dass sie superslicke Grooves programmieren können und trotzdem in ein paar Jahrzehnten zu Staub und Asche zerfallen sein werden. Diese Haltung macht „In Our Heads“ so gut: „A Church is not for praying, it´s for celebrating life and freedom“.

Hot Chip: In Our Heads. GoodToGo/Domino. Zur Homepage.

The KDMS: Kinky Dramas and Magic StoriesÜberzeugendes Club-Update

Ein weiterer Beleg für die unermüdliche Arbeitsmoral von Hot Chip ist der Remix von The KDMS‘ „Wonderman“, den Alexis Taylor gemeinsam mit Justus Köhncke angefertigt hat. Besagter Remix und natürlich auch die „normale“ Version von „Wonderman“ befinden sich auf „Kinky Dramas and Magic Stories“, dem Album, das einem den Glauben an Disco zurück geben kann. The KDMS sind ein Duo: Sängerin Kathy Diamond und Produzent Max Skibba, zusammen gelten sie als „Indiedisco-Antwort auf Adele“ oder die Reinkarnation von Moloko. Beides stimmt und greift dennoch zu kurz, denn „Kinky Dramas…“ steckt voll guter Ideen, die zum Glück auch ausgeführt werden.

Max verdichtet Achtzigerjahre-Elektropop à la New Order und Haircut 100 mit Anleihen an Miami Sound Machine, Lisa Lisa & Cult Jam und antiken Mjunik-Disco zu einem sehr überzeugenden und modernen Club-Update; Kathy gibt in Tracks wie „Something´s Eatin‘ Me“ oder „Never Stop Believing“ die Soulqueen vom Schlage einer Gloria Gaynor. Stotterbeats und cremiger Groove machen „Killer“ zu einem ebensolchen und „Your Love“, „Part Time Lovers“ oder „No Sad Goodbyes“ sind dank typisch britischem schwarzem Humor dem üblichen Dancefloor-Herzschmerz meilenweit voraus. Don´t miss!

The KDMS: Kinky Dramas and Magic Stories. Gomma (Groove Attack). The KDMS bei Facebook.

Lazer Sword: MemoryExperimentell

Noch ein Duo: Vor ein paar Jahren machten Antaeus Roy und Bryant Rutledge alias Lazer Sword mit hartem HipHop und zersplitterten Beats von sich reden. Mit ihrem zweiten Album „Memory“, das unlängst auf Monkeytown erschienen ist, erweitern Lazer Sword ihr Oevre: Detroit Techno- und Futurism-Einflüsse machen sich bemerkbar, Elektro der frühen bis mittleren Achtziger und harsche Maschinensounds ergeben ein neues und nicht immer stimmiges Gesamtbild, aber um Harmonie geht es auf „Memory“ auch nicht, jedenfalls meistens nicht. Lazer Sword experimentieren auf durchaus gewagtem Niveau und wollen die Clubs aber nicht aus den Augen verlieren. Klappt super beim stakkatohaften „Better From U“ und strengt bei „CHSEN“ ein bisschen an.

Lazer Sword: Memory. Monkey Town (Rough Trade). Zur Homepage.

Simian Mobile Disco: UnpatternsWorauf man sich einigen kann

Simian Mobile Disco, das aus der Elektrorockband Simian hervorgegangenes Producerteam, überzeugt auf dem neuen Album „Unpatterns“ mit einer Mischung aus eingängigen Dance-House-Tracks („I Waited For You“) und ambitionierten Breakbeat-Experimenten wie in „The Dream Of The Fisherman’s Wife“. SMD zehren von der Erfahrung aus vielen Jahren Acid-House und Rave, lieben aber Soul und Disco ganz genauso. Im vergangenen Jahr machten sie Beth Ditto mit einer sehr souligen EP ein großartiges Geschenk, auf „Unpatterns“ ist keine Geringere als Cilla Black Gastsängerin beim dubsteppig-dunklen „Seraphim“, das überdies die erste Single des Albums ist.

Minimal („Put Your Hands Together“) und Detroit-Techno („A Species Out Of Control“) finden auf „Unpatterns“ ebenfalls statt, dazwischen lassen SMD die Geräte fiepen wie bei altertümlichen Videospielen. To cut it short: SMD biedern sich nirgendwo an, aber fast alle können sich auf sie einigen.

Simian Mobile Disco: Unpatterns. Wichita/Cooperative. Zur Homepage.

Monika Kruse: TracesVorläufiges Fazit

Die harten Berliner Techno-Jahre in bester Form und Gesundheit überstanden hat Monika Kruse: 1971 in Berlin geboren, aufgewachsen in München, wo sie auch ihre ersten Auftritte als DJ hatte. Zu Ruhm und Ehre gelangte sie vor allem nach ihrer Rückkehr nach Berlin 1997, wo sie bald einen Stammplatz im Tresor und anderen wichtigen Techno-Clubs hatte. Zu Beginn ihrer Karriere spielte sie vorwiegend House, Sound und Funk, in Berlin wechselte sie ihren Stil zu härterem Techno, heute legt sie am liebsten ruhigere, groovige Sachen auf, weil dann die Frauen tanzen – und Kruse weiß, dass das für einen Club das Allerbeste ist.

Nach sieben DJ-Mix- und drei Künstleralben erscheint mit „Traces“ nun ihre neue Platte auf ihrem eigenen Label Terminal M: „Traces“ kann als vorläufiges Fazit ihrer Laufbahn gesehen/gehört werden, Kruse mixt ihre Lieblingsstile zu einer musikalischen Biografie, lauter Traces/Spuren von überallher und überallhin. Der vielfältige Mix wirkt nicht unruhig, sondern organisch und homogen: Kruse schraubt Tribalbeats, Deep- und Chicago House, Detroit Techno, Funk und Soul ohne Effekthascherei zu einem emotionalen Ganzen, unterstützt vom gottgleichen Gastsänger Robert Owens („One Love“) und Nick Maurer („With Hindsight“) und Weggefährten wie Thomas Schumacher.

Monika Kruse: Traces. Terminal M (Intergroove). Zur Facebookseite.

Various: Welcome To The RobotsElektro-Pioniere

Raphael Krickow, eine Hälfte des DJ-Duos Disco Boys betreibt Grundlagenforschung: für den von ihm kuratierten Doppel-CD-Sampler „Welcome To The Robots“ hat Krickow 34 Elektro-Tracks aus den frühen 1980er-Jahren zu einem Nonstop-Mix zusammengestellt. Viele der Stücke wie z. B. „Spacer Woman“ (Charlie, 1983) oder „Somebody“ (Video, ’83) kennt heutzutage kein Mensch mehr, andere wiederum liefen in den Wave-Discos rauf und runter: „In The Bottle“ von C.O.D. zum Beispiel oder Yellos „Bostich“, das trotz seines stolzen Alters von 31 Jahren immer noch ziemlich hart und kantig rüberkommt. Krickow zählt Scritti Politti, Paul Haig, Boytronic, Hipnosis, Koto und viele andere zu den Pionieren der elektronischen Musik, die sich im Lauf der Achtziger und Neunziger zu House, Trance, Techno, EBM ausdifferenzieren sollte. Die Tracks auf „Welcome To The Robots“ quietschen und knirschen an manchen Stellen ein bisschen, aber mit einem Tropfen Öl laufen sie wieder tadellos.

Various: Welcome To The Robots. Ministry of Sound (Warner).

Christina Mohr

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