Wenn Lieblingsbands neue Alben veröffentlichen
– Ich weiß ja nicht, wie es euch/Ihnen geht, wenn eure/Ihre Lieblingsbands neue Alben veröffentlichen: Ich für meinen Teil versuche meistens, den Akt des Auspackens – aus physischen Hüllen oder elektronischen Sendungen – so lange wie möglich hinauszuzögern. Gucke mir das Cover ausgiebig an, lese, was die Fachorgane zu sagen/schreiben haben und höre vielleicht sogar erst nochmal die alten Platten an, bevor endlich, endlich der passende Zeitpunkt gekommen ist, um DAS NEUE ALBUM anzuhören.
Vielleicht ist dieses Verhalten ziemlich meschugge: einerseits ist es eine Form vorsichtiger Frustvermeidung, und auch ein bisschen so, als würde sich ein alter Lover wiedermelden und man möchte auf gar keinen Fall zeigen, wie aufgeregt man ist und wie sehr man sich freut. Lieber erstmal die kalte Schulter zeigen als sich gleich an den Hals werfen – ich weiß, was Sie jetzt denken: es ist doch nur Popmusik, was soll man denn anderes damit tun, als sie zu hören?
Stimmt vollkommen. Aber bei Vampire Weekend und Daft Punk war es quasi unmöglich, die jeweiligen neuen Alben „einfach nur so“ anzuhören, ob man nun großer Fan ist oder nicht. Alle auch nur halbwegs relevanten Blätter, Blogs und Mags berichteten schon lange vor dem eigentlichen Veröffentlichungsdatum über „Modern Vampires Of The City“ und „Random Access Memories“.
Unverwechselbar: Vampire Weekend
Und wie immer, wenn wichtige Bands etwas Neues herausbringen, freuen sich die Rezensenten sehr darüber, wenn sie etwas Spitzfindiges zur Rezeption beitragen können; zum Titel des Vampire Weekend-Albums wurde etwa geschrieben, dass er ein Zitat ist – es existieren mehrere Songs mit eben diesem Titel, zum Beispiel vom Wu-Tang-Clan. Bei Vampire Weekend ist das gewiss kein Zufall, die Band um Ezra Koenig besteht aus smarten, gebildeten, belesenen und überhaupt kulturell bewanderten New Yorker Jungs mit verschiedensten ethnischen und religiösen Backgrounds.
Nicht selten wurden Vampire Weekend als schnöselige Preppy-Hipster verunglimpft, die Form über Inhalt stellen und sich – wegen der Vorliebe zu afrikanischer Polyrhythmik – ungeniert mit fremden Federn schmücken würden. Doch nichts liegt dem Quartett ferner, kaum eine Band geht höflicher und ehrerbietiger mit dem Erbe des Pop um als Vampire Weekend. „Modern Vampires Of The City“ belegt das vom ersten bis zum letzten Ton. Afrikanisch beeinflusste Percussion im Geiste von Paul Simons Meisterwerk „Graceland“ ist zwar noch ein Bestandteil ihrer Musik, aber es sind vielfältige andere Einflüsse hinzugekommen. Hip-Hop zum Beispiel, und sogar Rock’n’Roll/Rockabilly, wie er auf der euphorisierenden Double-A-Side-Single „Step“/“Diane Young“ zu hören ist.
Vampire Weekend machen aber glücklicherweise nicht den verhängnisvollen Fehler, Stile und Epochen möglichst originalgetreu kopieren zu wollen: mit ihrem erst dritten Album ist die Band unverwechselbar geworden, muss sich mit niemandem mehr vergleichen lassen. Obwohl der für die ersten beiden Platten so charakteristische Afrika-/Weltmusik-Touch weitgehend verschwunden ist, erkennt man die Band sofort, nicht zuletzt an Koenigs sensiblen, aber selbstbewussten Vocals, die auf „Modern Vampires“ noch stärker in den Vordergrund gerückt sind. Das ist auch gut so, denn nicht auf die Texte zu hören, hieße, einen wichtigen Bestandteil des Vampire-Weekend-Konzepts zu ignorieren.
Ezra Koenig ist ein großer Storyteller, der das Große im Kleinen, die Weltrevolution in der Eckkneipe entdeckt (z. B. in „Finger Back“ oder dem fantastischen, uhrentickenden „Hannah Hunt“). „Hudson“ ist eine Ode an den Gründer der Stadt, in der sich alle wie moderne Vampire bewegen – und für die Vampire Weekend den zeitgemäßen Soundtrack geschrieben haben.
Vampire Weekend: Modern Vampires Of The City. XL Recordings/Beggars. Zur Homepage.
Abgreifbare Erinnerungen
„Zeitgemäß“ finden nicht unbedingt alle das neue Album von Daft Punk – das französische Elektro-Duo (Guy-Manuel de Homem-Christo & Thomas Bangalter) zeichnet sich durch sparsamen Output aus: im zwanzigsten (!) Jahr ihres Bestehens bringen Daft Punk erst ihr viertes reguläres Album heraus, Live-Alben und den Soundtrack zu „Tron: Legacy“ nicht mitgerechnet.
Die Spex kürte „Random Access Memories“ zum Album der Ausgabe, wobei die Begründung mindestens so intellektuell um die Ecke argumentiert ist wie die Platte: Daft Punk seien wie der Pfaffe Konrad aus dem 12. Jahrhundert, jenem Skribenten, der besonders talentiert im Abschreiben wichtiger Werke der Literatur war.
Wenn man „Random Access Memories“ als Huldigung alter Meister des Soft- und Spacerock à la Jean-Michel Jarre und natürlich D.I.S.C.O. liest/hört, ergibt diese Sichtweise Sinn: Bangalter und Homem-Christo kopieren/zitieren nicht, sie spielen/komponieren/agieren im Stile von, sagen wir, Santana, Giorgio Moroder und Chic – die auch in persona auftauchen: Moroder als memorierender How-I-did-it-Erzähler in „Giorgio By Moroder“, Nile Rodgers am Bass bei „Lose Yourself To Dance“ und „Get Lucky“ (mit Gastsänger Pharrell Williams), Siebziger-Star Paul Williams als rührender Fragensteller in „Touch“.
Daft Punk selbst sind nach wie vor die robotischen Beobachter mit autogetuneten Vocoder-Voices im Hintergrund der flirrenden, wabernden Discosounds, wie zum Beispiel bei „Beyond“ und „Instant Crush“. Frühere Erkennungsmerkmale wie das Knallige, Monoton-Serielle, das inzwischen z. B. von Justice übernommen wurde, fehlen dagegen fast völlig.
Die Tracks lassen sich viel Zeit, die Stimmung auf „Random Access Memories“ ist warm, mild, fast wehmütig, manchmal ein bisschen beschwipst – eine perfekt durchkonstruierte Hommage an die goldglitzernde Disco-Ära der 1970er mit sphärischen Engelschören, die „love is the answer“ durchs All hauchen. Man mag das dezidiert Roboterhaft-Distanzierte, das „Homework“ und „Discovery“ ausmachte, vermissen. Aber man kann sich auch sehr darüber freuen, dass Daft Punk uns an ihren direkt abgreifbaren Erinnerungen teilhaben lassen.
Um auf den Anfang dieses Textes zurückzukommen: das Aufsparen bis zum letzten Moment hat sich gelohnt, ich würde es jederzeit wieder so machen.
Christina Mohr
Daft Punk: Random Access Memories. Sony. Zur Homepage und zur Album Seite.