Geschrieben am 17. Dezember 2014 von für Musikmag

Mohr Music: Everybody Dance Now!

Die Jahresendzeit bringt viele Feieranlässe mit sich, die meisten enden für gewöhnlich in Völlerei, Trunkenheit und Streit mit den Angehörigen. Aber: je näher das Ende, desto wahrscheinlicher wird auch the chance to dance – Silvester muss durchaus nicht immer mit hüftverbreiterndem Raclette begangen werden, man kann ja auch mal wieder tanzen gehen. Oder bei sich zuhause den Wohnzimmerclub eröffnen! Los, traut euch, dann wird 2015 auch ein gutes Jahr (und kein Scheißjahr wie 2014, siehe aktueller Spex-Titel)!

discoDisco!

Once upon a time… Im Manhattan der späten 1970-er, um genau zu sein, war Disco das heißeste Ding überhaupt. Die Leute warfen sich in Schale – Halston, Gucci, Fiorucci -, wenn sie auf die Piste gingen, die Wochendnächte waren es wert, dass man seinen kompletten Lohn opferte, man lebte quasi nur fürs Wochenende: Filme wie „Saturday Night Fever“ zeigen das sehr plastisch. Die Musik für saturdaynight, saturdaynight entstand aus Funk und Soul – und Chic und die Bee Gees waren zwar die populärsten, aber keineswegs die einzigen Protagonisten.

Der Soul Jazz-Sampler „Disco. A fine selection of Independent Disco, Modern Soul and Boogie 1978 – 82“ präsentiert neunzehn weitgehend unbekannte Acts, die alle Facetten des Genres hörbar machen. Fachkundig kompiliert von Disco-Freak Disco Patrick reiht sich Perle an Perle: The Fantastic Aleems eröffnen die Danceparty mit „Hooked On Your Love“, mit „Wave“ von Cordial schließt der Club. Dazwischen wird in extended versions (manche Tracks sind sieben, zehn, dreizehn Minuten lang!) der Bass mit dickem Daumen gezupft, funky gegroovt, im Frühstadium gerappt und soulful geschmachtet: „sexy ladies“ und „sweet ladies“ sind hier en masse zu finden, und es wird zum Beat gemoved, dass es eine wahre Freude ist. Dass einem so mancher Bass- oder Gitarrenlauf bekannt vorkommt (Chic, meistens, oder Rick James), schmälert das Vergnügen kein bisschen. Mein Liebling: „My Man Is on his Way“ von Retta Young, dessen Titelzeile so häufig wiederholt wird, dass zu befürchten ist, besagter Man ist auf der Tanzfläche verloren gegangen… was aber bestimmt nicht schlimm ist, denn die Nacht ist lang und „Disco Madness“ (Sparkle) noch längst nicht erreicht.

Begleitend zum Doppel-CD-Album (das nach guter Soul-Jazz-Art natürlich im schicken Digipack + dickem Booklet oder schwerem Doppel-Vinyl daherkommt) erscheint das 360 Seiten starke Buch „Disco – An Encyclopedic Guide To The Cover Art of Disco” mit über 2000 Plattencovern der Ära, das auch Nebenarme wie Roller Disco, Workout Disco, etc.pp. nicht auslässt. Geschenktipp: Get up, That´s Hot!

Disco: A Fine Selection of Independent Disco, Modern Soul and Boogie 1978-82 (2 CDs / Soul Jazz Records).

väthSven Väths 15. Jahreszeit

Another Compilation, a different Time and Style: Wenn man wie ich in Frankfurt zuhause ist, kommt man um einen gewissen Sven Väth kaum herum. Trotz der bedauerlichen Pleite mit dem Cocoon-Club ist Väth für Frankfurt im Besonderen und Techno im Allgemeinen eine unbestreitbar prägende Figur – auch wenn er die meiste Zeit des Jahres auf Ibiza verbringt (sei ihm ja gegönnt) und dort seine Jünger beglückt. Extrem zuverlässig ist Väth mit der Ablieferung seiner Mix-Alben: kürzlich kam in der Reihe „The Sound of the Season“ der immerhin 15. Teil raus, passgenau zu des Meisters 50. Geburtstag, den er ganz bescheiden mit ca. 10.000 Leuten und DJ-Gästen wie Koze, Richie Hawtin und Luciano in der Mannheimer (also nicht Frankfurter) Maimarkthalle beging.

Die 15th Season ist nicht wie üblich in eine Tag- und eine Nachtseite aufgeteilt, Väth mixt beinhart knappe drei Stunden lang. Mit Dramaturgie, Spannungsbogen und allem pipapo – kann man von einem wie Väth natürlich auch erwarten, klar. Väth hat sich Entdeckerfreude bewahrt, fährt nicht nur Nummer-Sicher-Tracks, sondern auch Experimentelles aus der Noise-Techno-Ecke wie z.B. Slam („Rotary“) oder Sawlin & Subjected, womit er den Mix „ausklingen“ bzw. ausbrettern lässt. Es gibt aber auch slicke, sanft pumpende Dancetracks wie „Butterflies“ von Leon Vynehall und Elektro für Connaisseure: „Bad Kingdom“ von Moderat im DJ Koze-Remix oder „Epikur“ von Boiler Room-Darling David August. Wer sich von Väths gruftigen Name-der-Rose-Coverfoto nicht abschrecken lässt, wird mit einem amtlichen State-of-the-Art-Mix belohnt.

Sven Väth In the Mix – The Sound of the 15th Season (Cocoon)

munkMjunic Disco mit Munk

Obwohl schon im Oktober erschienen, ist “Chanson 3000” (wieso eigentlich Chanson? Wahrscheinlich ein Münchner Insiderwitz) das ideale Album für die anstehende Silvesterparty: unerschütterlicher Discofox-Beat, vorwärts treibend, präzise wie ein Uhrwerk; dazu Italo-Disco-, Hi NRG- und House-Anleihen, angereichert mit ausgelassener Bierzelt-Atmo, Bussi-Bussi-Charme und Hooklines, die sich unlöschbar ins Gehirn fräsen und Hüften und Beine wie von selbst losschwofen lassen. Urheber dieser bajuvarischen Discomixtur ist Mathias Modica a.k.a. Munk, Betreiber vom Label Gomma und musikalischer Tausendsassa.

Auf “Chanson 3000” hat er so gut wie alles allein gemacht (Instrumente, Programming, Songwriting), nur für den Gesang (immerhin bei acht von zwölf Tracks) holte er sich Unterstützung in Gestalt von Lizzie Paige aus Texas und der Anglo-Nigerianerin Mona Lazette, die beide in Berlin leben – also nicht in München. Macht ja nix, Modica hat sie trotzdem gefunden, und beider Stimmen sind wie gemacht für ein pralles, humorvolles Strictly-Dancing-Kracher-Album wie “Chanson 3000”. Hat man bis zum “Grande Finale” (letzter Track) durchgehalten, ist man ein klein bisschen überreizt, so wie nach drei, vier Hugos zu viel – was aber egal ist, denn dann ist schon Neujahr und man kann/darf/muss endlich chillen.

Munk: Chanson 3000 (Gomma)

steffiAnonyme TechnoholikerInnen

Chillen, aber auch noch weiterfeiern kann man mit Steffi Doms neuem, zweiten Album, das die gebürtige Holländerin paradox-genial “Power of Anonymity” genannt hat: War es doch einst die – relative – Anonymität, die Techno- und Elektrokünstlern größtmögliche Freiheit und auch Power gab. Das war früher, längst sind DJs Popstars wie andere auch, Berghain-Resident Steffi kennt beide Seiten: Schon seit Langem ist sie DJ, seit einiger Zeit produziert sie auch ihre eigenen und anderer Leute Tracks.

“Power of Anonymity” verbindet den dezidiert cluborientierten Ansatz ihrer Mixe mit Steffis smoothem Songwriting: melodische Tracks wie “Fine Friend” und “Pip” kontrastieren mit dem prägnanten, beatbetonten Titelstück; hypnotische Soundscapes breitet Steffi bei “JBW25” oder “Bang For Your Buck” aus (in den Zeitungen wird wieder was von “female techno” stehen), sie liebt aber auch düstere Industrial-Elemente, retroide Synthies und energetische Drumbeats. Ausreißer und Höhepunkt des Albums bildet der Vocal-House-Track “Treasure Seeking”, bei dem die Stimmen ihre FreundInnen Dexter und Virginia zu hören sind. “Power of Anonymity” ist vielschichtig, futuristisch und nostalgisch, ohne sich zu verzetteln – der vage wabernde Begriff Intelligent Dance Music (IDM) kriegt Kontur dank Steffi.

Steffi: The Power of Anonymity (Ostgut Records)

reconditeJetzt aber mal still, alle:

Der zähnefletschende Hund auf dem Cover führt in eine falsche Richtung: knurrig-böse ist auf Lorenz Brunners alias Recondites drittem Album „Iffy“ nichts. Die Stimmung ist eher melancholisch, nachdenklich – sofern man das bei einem rein instrumentalen Album sagen kann. Techno bildet zwar noch die Basis der Musik des bayrischen DJs und Producers, kommt aber weniger stark an die Oberfläche der Tracks wie auf dem Vorgängeralbum „Hinterland“, das noch bei Ghostly International erschien. „Iffy“, was so viel wie zickig/unentschlossen bedeutet, kommt bei Innervisions heraus, dem Label von Dixon & Âme, das sich bislang nicht durch unüberlegt häufige Veröffentlichungen hervorgetan hat.

Offensichtlich sind die Innervisions-Leute vom emotionalen, Raum für Assoziationen und Interpretation lassenden Ansatz Recondites begeistert: Tracks wie der hypnotische Opener „Baro“ oder die kontemplativen Skizzen „Garbo“ oder „Jim Jams“ sind kaum für Clubnächte geeignet, sondern für das Runterkommen danach. „Iffy“ erklärt nichts, lässt Vieles offen – und bekommt genau dadurch seine dunkle Kraft. Man muss allerdings genau hinhören. Also um 5:00 alle rausschmeißen und sich mit Recondite zurückziehen.

Recondite: Iffy (Innervisions). Zur Facebookseite.

Tags : , , , ,