Geschrieben am 15. November 2016 von für Musikmag

Mohr Music: French Connections

2newsjr-lp354-punk-45-french-slve1-copy-2Pöööönk

Immer mal wieder – und heuer im 40. Jahr des angeblichen Urknalls ganz besonders – wird darüber gestritten, ob nun New York City oder London die Hauptstadt des Punk sei. Ganz klar scheint jedoch die angloamerikanische, englischsprachige Provenienz der musikalischen und kulturellen Revolution zu sein – vergesst das mal besser. Denn die gerade erschienene Soul-Jazz-Compilation “Les Punks: The French Connection” belegt in Wort, Bild und Ton, dass die eigentliche Heimat des Punk ( = Pönk) in Frankreich liegt. Schlüssig herzuleiten aus der rebellischen Geschichte des Landes, die im vergangenen Jahrhundert mit Kunstrichtungen wie den Situationisten und Dada, und nicht zuletzt in den 1968’er Pariser Mai-Unruhen und gegen jedes Establishment wirkenden Künstlern wie Serge Gainsbourg ihre populären Hochzeiten feierte.

Musikalisch kamen die amerikanischen Punks den französischen Kollegen allerdings ein bisschen zuvor: Bands wie MC5, The Stooges oder die New York Dolls waren eindeutige Vorbilder für Pariser Gruppen wie Stinky Toys, Asphalt Jungle, Marie et les Garcons oder Metal Urbain, deren Single “Paris Maquis” anno 1977 die erste Veröffentlichung von Rough Trade Records (London) war. Fantomes beispielsweise waren so große Iggy-Fans, dass sie sich durch das gesamte Stooges-Werk coverten (auf dem Sampler zu hören: Fantomes‘ Version von “I Wanna Be Your Dog”). Schon früh begannen die Franzosen, Synthies einzusetzen: Das Duo Kas Product, bestehend aus Mona Soyoc und dem ehemaligen Psychiatrie-Krankenpfleger Spatsz, bezog sich auf Suicide und klang schon 1980 so kühl und wavig wie wenig später britische Elektrobands.

Hört man die französischen Punkbands heute, klingen diese kein Stück weniger aggressiv und radikal als früher Punk aus UK oder den USA. Man kann sogar noch mehr Wut, Energie und Größenwahn heraushören, zumindest bei den Bands, die auf französisch texteten. Les Olivensteins “Euthanasie” wirft genauso um wie zum ersten Mal Dead Kennedys hören.

Auf die Frage eines Journalisten, weshalb ihre Lyrics denn um Himmels willen französisch seien, antworteten Metal Urbain punkrockmäßig trotzig-rotzig-selbstbewusst, “damit uns die Amis nicht verstehen”. Solche und viele andere Bonmots aus der französischen Punk-Szene versammelt das bei Soul-Jazz-Compilations obligatorisch dicke Booklet: -zig Fotos, Plattencover, Bandporträts und Interviewausschnitte liefern ein ziemlich umfassendes Bild (mal abgesehen davon, dass ausgerechnet Stinky Toys fehlen – wahrscheinlich aus rechtlichen Gründen) und fördern viele Entdeckungen zutage, die unbedingt auf 40-Jahre-Punk-Jubiläumsparties laufen sollten.

PUNK 45 – Les Punks: The French Connection. The First Wave of French Punk 1977 – 80. www.souljazzrecords.co.uk

2nouvelleSo simpel wie einzigartig

Vor knapp dreizehn Jahren hatten die beiden französischen DJs und Produzenten Oliver Libaux und Marc Collin eine großartige Idee: Sie spielten bekannte Songs der Punk- und Wave-Ära im Bossa-Nova- oder Barjazz-Gewand neu ein und ließen junge Frauen die Texte singen. Das Ergebnis war unschlagbar: Wer die damals noch recht unbekannte Camille “Too Drunk To Fuck” singen hörte, oder Eloisia bei “Just Can’t Get Enough”, traute zunächst seinen Ohren nicht und war dann für immer verzaubert. Nouvelle Vagues so simple wie einzigartige Masche wurde zum Welterfolg – und die Truppe traute sich so gut wie alles: sie coverten (oder besser: interpretierten/bearbeiteten) Stücke von Gun Club, Joy Division, The Clash oder Bauhaus; NV-Sängerinnen wie die bereits erwähnte Camille, Phoebe Killdeer, Silja oder Mélanie Pain wurden ihrerseits berühmt.

Seit einigen Jahren war es ein bisschen still geworden um Nouvelle Vague, vielleicht hatte das Konzept für seine Macher zwischenzeitlich an Reiz verloren – aber jetzt sind sie wieder da, “I Could Be Happy” heißt das neue Album, benannt nach einem Song von Altered Images, der mit seiner melancholischen Stimmung die Ausrichtung der Platte nur zum Teil vorgibt. Die aktuelle Sängerin Liset Alea bringt Düsteres wie “All Cats Are Grey” (im Original von The Cure) und “Athol-Brose” (Cocteau Twins) sehr berührend ‚rüber, bei Stücken wie “Love Comes in Spurts” (Richard Hell & The Voidoids) oder “I Wanna Be Sedated” von den Ramones ist die Kombination aus zarter Mädchenstimme zu punkrockigen Inhalten wie üblich umwerfend und, im Falle von “Spurts”, anzüglich und sehr lustig.

Zum ersten Mal gibt es eigene Kompositionen von Nouvelle Vague: Liset Alea steuerte “Algo Familiar” und “Loneliness” bei, “Maladroit” und “La Pluie et le Beau Temps” stammen von Olivier Libaux, Marc Collin und Élodie Frégé. Diese vier Stücke klingen zwar erwartungsgemäß geschmackvoll, zart angerichtet aus Chanson-, Folkpop- und Bossa-Elementen, aber weil der Clou der Enthüllung fehlt (“Ach das ist DAS!! Hättest du das erkannt? Wie geil!”), fallen sie gegen die Coverversionen ziemlich ab. Also, liebe Nouvelle Vaguer: bitte schön weiter covern – diesen Ratschlag gibt man sonst ja eher nicht.

Nouvelle Vague: I Could Be Happy (Kwaidan Records / Alive)

Christina Mohr

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