Christina Mohr trifft in dieser Woche smarte Typen, sowohl musikalisch als auch modisch.
Ein Trip der höchst angenehmen Sorte
Man muss sich den 2009 im Alter von 69 Jahren verstorbenen Pianisten und Vibraphonisten Monty Stark als maximal entspannten Ex-Hippie vorstellen: wenn er keine Lust hatte, am Telefon eine Frage zu beantworten, legte er einfach auf, und wenn er doch mal redete, gab er unumwunden zu, in seinem Leben viel Marihuana konsumiert zu haben, das ihn „zeitlebens ein Kind“ bleiben ließ.
Der in Oklahoma geborene Künstler zeichnete sich aber auch durch große Bescheidenheit aus, die tendenziell dazu führte, sein Licht unter den Scheffel zu stellen – dabei gehört die Musik, die Stark in den zehn Jahren zwischen 1968 und ’78 mit seinem Ensemble The Stark Reality schuf, zu den wegweisenden Produktionen im Bereich des Experimental- und Psychedelic-Jazz (if you don´t know how to call it, call it Jazz; Anm. MO).
Eine der berühmtesten Aufnahmen von The Stark Reality ist das 1970 entstandene Improvisationsalbum „The Stark Reality Discovers Hoagy Carmichael´s Music Shop“, auf dem die Musiker Songs des vor allem in den 1950er-Jahren aktiven Kinderlied-Komponisten Hoagy Carmichael neu entdecken und interpretieren – mit faszinierendem Prä-Muppets-Show-Charakter, freundlich-swingend, teilweise ganz schön abgedreht, dabei die Originale aber nicht veralbernd.
Monty Stark arbeitete in den späten 1960ern auch mit einer Big Band, was zu besonders beeindruckenden Ergebnissen führte: nachzuhören z. B. auf den Tracks „Theme To Say Brother“ und „Acting, Thinking, Feeling“, die im jüngst veröffentlichten, opulent aufgemachten Boxset „The Stark Reality: Acting, Thinking, Feeling“ enthalten sind, das mit wahlweise drei CDs oder sechs LPs plus gebundenem Booklet Stark Realitys Gesamtwerk präsentiert.
Die Musik von The Stark Reality ist ein Trip der höchst angenehmen Sorte: über die Strecke von drei CDs verliert man durchaus das Gefühl für Zeit und Raum, muss aber nicht mit üblen Flashbacks rechnen, ganz im Gegenteil. Monty Stark und seine Mitmusiker (Phil Morrison/Bass, Carl Atkins/Saxophon, John Abercrombie/Gitarre, Vinnie Johnson/Drums) waren strukturell und instrumentell dem Jazz verpflichtet und gönnten sich bzw. dem Genre Ausflüge in Funk und Fluxus, die allen Beteiligten zugute kamen.
Monty Stark und seine Reality wurde keine Topstars, beeinflussten aber viele jüngere Musiker maßgeblich: Hip-Hop-Producer wie Large Professor und Will.i.am samplen Stark – wobei Will.i.am ein Sample auf dem Black-Eyed-Peas-Album „Monkey Business“ zunächst nicht kenntlich machte. Entdeckt wurde es dennoch – und dank der Tantiemen vom millionenfach verkauften BEP-Albums konnte das vorliegende Stark Reality-Boxset produziert werden. Unrecht‘ Gut gedeihet also doch manchmal, und treibt mit etwas Glück so schöne Blüten wie „Acting Thinking Feeling“.
The Stark Reality: Acting Thinking Feeling. The Stark Reality´s Complete Works 1968 – 1978. Now Again Records, 3 CD-Boxset plus Buch. Zur Webseite des Labesl.
Neujustierung bei gleichbleibend hohem Qualitätsstandard
Ein beherzter Sprung in die Jetztzeit: Auch Daniel Brandt, Jan Brauer und Paul Frick, besser bekannt als Brandt Brauer Frick überschreiten Genregrenzen. BBF kommen eigentlich von der Klassischen Musik und schlossen sich 2008 zusammen, um die repetitiven Formen und den Groove elektronischer Dancemusik mit Klassik zu verbinden.
Dafür sampleten sie (damals noch zu dritt, heute als zehnköpfiges Ensemble) das klassische Instrumentarium aus Cello, Harfe, Vibraphon, Kontrabass, Piano und erzeugten einen derart umwerfend hypnotischen Sound, dass der erste Auftritt von Brandt Brauer Frick im berühmtesten Technotempel der Welt, dem Berghain in Berlin stattfand.Stilbruch?
Ja, vielleicht, aber egal. Brandt Bauer Frick spielen live auf „echten“ Instrumenten, obwohl man beim Hören glaubt, die Musik sei synthetisch entstanden – ein beeindruckender Effekt. Die Alben „You Make Me Real“ und „Mr. Machine“ waren enorm erfolgreich – obwohl oder gerade weil eine Einordnung der Musik so schwierig ist. Erfolg bringt Musiker buchstäblich auf Tour(en), weshalb das dritte Brandt-Bauer-Frick-Album „Miami“ stark von den vielen Reisen der Band in den letzten zwei Jahren beeinflusst ist.
Der Titel bezieht sich auf den konkreten Ort Miami, verweist aber auch auf andere „Unorte“ dieser Welt: gesichtslose Städte, Wartehallen von Flughäfen, Einkaufszentren. Gesichtslos ist „Miami“ dabei keineswegs: zum ersten Mal holten sich Brandt Bauer Frick gesangliche Unterstützung, z. B. von Jamie Lidell, Nina Kraviz, Om’mas Keith, Gudrun Gut und Erika Janunger.
„Miami“ klingt insgesamt düsterer als die beiden ersten Alben, dabei immer noch tanzbar. Die Gastsänger setzen eigene Stempel, verwässern aber nicht das BBF-Konzept: ein wunderbarer Einfall ist es, Nina Kraviz mit dunkler Stimme das Wort „Verwahrlosung“ sprechsingen zu lassen; oder Gudrun Guts ganz eigene Herangehensweise an Techno und Elektronik mit „Fantasie Mädchen“ in Brandt Bauer Frick zu integrieren, Jamie Lidell klingt bei „Broken Pieces“ und „Empty Words“ fast wie Stevie Wonder.
Mit „Miami“ gelingt Brandt Brauer Frick eine Neujustierung bei gleichbleibend hohem Qualitätsstandard. Man darf sich auf die kommenden Konzerte freuen!
Brandt Brauer Frick: Miami. K7 (Alive). Zur Homepage.
Brandt Bauer Frick live: Frankfurt, Zoom: 6.3.2013/Berlin, Berghain: 7.3.2013/Köln, Gloria: 8.3.2013/Hamburg, Übel & Gefährlich: 9.3.2013/Wien, Chaya Fuera: 11.3.2013
Ein zeitloses Vergnügen
Auch wenn The Stark Reality und Brandt Brauer Frick keine ausgesprochenen Show- oder Boybands sind, fällt auf Fotos die ausgewählte Garderobe auf. Deshalb ist es gar nicht mal sooo weit hergeholt, in diesem Artikel das Buch „Männer mit Stil“ von Josh Sims vorzustellen.
Die Herrenmode-Kunde des britischen Journalisten (i-D, Esquire, Wallpaper, GQ) erschien im Original vor zwei Jahren und ist in der deutschsprachigen Übersetzung die erste Veröffentlichung in der Reihe „Midas Collection“ des Schweizer Fachbuchverlags Midas. Das einleitende Zitat von Domenico Dolce (Dolce & Gabbana): „Bei Frauen dreht sich alles um Mode, bei Männern um Stil. Stil lebt ewig“, verlangt zwar nach heftiger Diskussion, das Buch selbst aber ist über jeden Zweifel erhaben – das zeigt schon die Wahl des Covermotivs: wer Gregory Peck auf den Umschlag packt, kann kein schlechter stilloser Mensch sein.
Josh Sims stellt anhand prominenter Schauspieler, Sportler, Musiker, Designer ausgewählte, zeitlose pièces der Herrenbekleidung vor wie den Smoking (getragen z. B. von allen James Bonds, Cary Grant, Bob Hope), den Blazer (George V.) oder die Tweedjacke (James Stewart). Sims klärt die LeserInnen darüber auf, dass das, was wir landläufig als „Parka“ bezeichnen, keineswegs einer ist, sondern ein Field Jacket – der echte Parka wird von stilsicheren Mods getragen, ist mindestens knielang und hat eine mit Reißverschluss teilbare Kapuze.
Sims begnügt sich nicht mit dem Abbilden ikonischer Popstars wie dem Chucks-tragenden Elvis oder Ronald Reagan im Sweatshirt, sondern erklärt historisch und kulturwissenschaftlich sattelfest die Ursprünge und Herstellungsweise des Loafers, des T-Shirts, des Panamahuts, des Dufflecoats und des Guernsey-Sweaters. Selbst der so häufig zu Unrecht verlachte Bootsschuh erfährt seine Legitimation, schließlich wurde er einst von Paul Sperry nach dem Vorbild der Pfoten seines Hundes erschaffen.
Die Verfasserin dieser Zeilen ist hocherfreut darüber, auch Tom Selleck alias Thomas Magnum als Schutzheiligen des Hawaii-Hemdes (nur echt, wenn auf Hawaii gefertigt) vertreten zu sehen – ob das Hawaii-Hemd nun ewig lebender Stil oder modische Kapriole ist, sei dahingestellt. Brandt Bauer Frick und The Stark Reality zu hören und dabei „Männer mit Stil“ durchzublättern war mir jedenfalls ein ganz schickes, zeitloses Vergnügen.
Josh Sims: Männer mit Stil: Ikonen der Herrenmode. Midas Verlag 2012. 192 Seiten, viele Abbildungen. 34,90 Euro. Zur Webseite des Verlags.
Christina Mohr