Hier nun der Mitte September versprochene zweite Teil der Mohr Music-Samplerserie – dieses Mal mit Compilations, die ihren Bildungsauftrag mal mehr, mal weniger erfüllen.
Frisch und tanzbar
Ohne Einschränkungen empfehlenswert ist „Studio One Ska Fever“, erschienen bei Soul Jazz Records – was ja sowieso schon ein Qualitätsmerkmal ist. Das Album versammelt achtzehn Tracks aus der Frühphase des legendären Aufnahmestudios in Kingstons Brentford Road. 1963 von Clement ‚Coxsone‘ Dodd gegründet, ist Studio One das wichtigste jamaikanische Studio für Reggae, Ska und Rocksteady; Island-Records-Gründer Chris Blackwell nannte es „die Reggae-Universität“. Mit Fug und Recht darf behauptet werden, dass alle namhaften KünstlerInnen Jamaikas am sonntäglichen Vorsingen und -spielen bei Mr. Dodd teilgenommen haben – und dann auch Platten aufnahmen: Roland Alphonso, Don Drummond, Jackie Opel, Bob Marley & The Wailers, The Gaylads, Lee Perry, The Ethiopians, The Skatalites und viele mehr.
Mit „Studio One Ska Fever“ porträtiert Soul Jazz jene Ära, als Jamaika von Großbritannen hochoffiziell zum unabhängigen Staat erklärt wurde – 1962 ging die über 300 Jahre andauernde Kolonialzeit zu Ende; Ska war der selbstbewusste Soundtrack dazu. Politische awareness und mühsam errungene Selbstständigkeit klingen auf „Studio One Ska Fever“ indes auch heute noch unglaublich frisch und tanzbar, die Trompeten tröten, der Offbeat bringt Hüften und Füße in Bewegung. Tolle Aufnahmen, erhältlich als Download, CD-Jewel Case oder Heavyweight-Doppel-Vinyl-Album mit umfangreichem Booklet inklusive Linernotes von Studio One-Archivar und Buchautor Rob Chapman.
Studio One Ska Fever. Soul Jazz Records.
Für akute Stresssituationen
Nicht ganz so legendär wie Clement Dodd und Studio One, aber doch ziemlich berühmt und langlebig ist Raphaël Marionneaus „abstrait“-Reihe in Hamburgs Mojo Club: der aus Nantes stammende DJ und Grafiker begann 1996, damals noch am ersten Standort des Mojo, Reeperbahn 1, einmal im Monat ein ausgiebiges Chillout-Lounge-Set zu spielen. Marionneau mixte (dieses Wort erscheint im Zusammenhang mit der gespielten Musik unangebracht hart und technisch) Filmmusik, Klassik, Ethno, Ambient, Trip-Hop und softigen Barjazz so elegant, dass man den Begriff „french chillout“ dafür erfand.
Die sanften Rausschmeißerklänge wurden derart erfolgreich und beliebt, dass „abstrait“ außer im Mojo bald auch in anderen Clubs stattfand, im Klassik-Radio (!) ausgestrahlt wurde und heutzutage einen festen Sendeplatz bei Radio N-JOY hat. Die gleichnamige CD-Reihe geht heuer in die zehnte Runde und ist angemessen fett ausgestattet: drei CDs im luxuriösen Digipak, CD 1 ist die „Ambient-Kollektion“ mit Acts wie Daniel Mille, Bonobo, Philippe Legrand oder Gold Lounge; auf CD 2 stellt Marionneau Downbeat-Tracks von Animat, im Line, Monolake oder Solee vor; CD 3 präsentiert klassisch beeinflusste Klaviermusik von beispielsweise Olafur Arnalds, Fragments, Ann-Helena Schlüter und Nils Frahm.
Ich möchte nicht anmaßend erscheinen, aber chillen über drei CD-Längen ist ganz schön einschläfernd – was natürlich hier die Intention ist, klar. Für mich persönlich ein wenig spannungsarm, in akuten Stresssituationen (Rush-hour, neuer Säugling im Haus, überfällige Steuererklärung, verhedderte Lenkdrachenschnüre entwirren) empfiehlt es sich aber durchaus, das abstrakte Café einzuschalten.
Le café abstrait by raphael marionneau vol. 10. Stereo Deluxe/abstrait music (Warner).
Very 80s
Vor anderthalb Jahren erschien „Metal Dance“: eine ambitionierte Kollektion rarer Industrial- und EBM-Tracks von 1980 bis 1988, kompiliert von Playground-Mitglied Trevor Jackson. Nun legt Jackson mit „Metal Dance 2“ nach und führt abermals zurück in eine Zeit, als der Grat zwischen Experimentalmusik und Mainstream recht schmal war: Acts wie Visage, Propaganda, Tuxedomoon, Godley & Creme, aber auch Ministry und Front 242 belegen das. Beziehungsweise: in den Achtzigern war es offensichtlich möglich, mit unkommerziellen Ansätzen (harsche Synthiesounds, Drummachine-Beats wie Peitschenknallen, S/M-Ästhetik, düstere Texte) sehr viele Leute anzusprechen.
Unzählige Gothic-/Wave-Discotheken entstanden in dieser Zeit, hierzulande bildete sich die „Zillo“-Szene, Depeche Mode überführten den apokalyptischen Baustellenlärm der Einstürzenden Neubauten in chartstaugliche Alben à la „Black Celebration“. Erstaunlich eigentlich – und typisch für die 1980er. War der Ansatz der ersten „Metal Dance“-Compilation, die Verknüpfung politisch-gesellschaftlicher Bedingungen (Arbeitslosigkeit, Bedrohung durch Atomkrieg, Tschernobyl und Sauren Regen) und musikalischem Post-Post-Punk-Output zu verdeutlichen, ist „Metal Dance II“ augen-/ohrenscheinlich „leichter“ geraten: die vielen Maxiversionen unterstreichen den Clubcharakter; Tracks wie „Over The Shoulder“ von Ministry oder Skinny Puppys „Deadlines“ klingen ihrer überzeichneten martialischen Theatralik heutzutage eher komisch (im Sinne von lustig – was wiederum gewiss nicht im Sinne der Erfinder war); dass die Dance-Hymne „Tanki Tanki“ des libanesischen Künstlers Rene Bandaly zu ihrem Veröffentlichungsdatum politisch höchst brisant war, erschließt sich nur durch die Linernotes oder engagiertes Googlen.
Andererseits kann man Bands/Acts wie Test Dept, das Throbbing-Gristle-Seitenprojekt Chris & Cosey, das deutsche Duo Liaisons Dangereuses (Beate Bartel & Chrislo Haas) oder Conrad Schnitzler ja nicht oft genug lobpreisen und ihre Tracks auf Sampler pressen. Konträr zu heutigen Hörgewohnheiten ist die – trotz heftiger Beats – meist unfassbar sparsame Produktion der meisten Stücke: jeder Ton ist hörbar, die Effekte reduziert, ein bisschen Hall, das war´s. Sehr klar, sehr schwarz-weiß, very eighties.
Trevor Jackson Presents METAL DANCE 2. Industrial, New Wave, EBM. Classics & Rarities 79 – 88. Strut.
Kommerzieller Synthiepop
Noch eine „Nummer zwei“: Raphael Krickow, Hälfte des DJ-Duos Disco Boys und echtes Kind der Achtzigerjahre (Gast und DJ in Frankfurter Discos wie dem Dorian Gray und dem Omen-Vorläufer Vogue), präsentiert ebenfalls (vgl. „Metal Dance“) nach einem Jahr die zweite Ausgabe eines erfolgreichen Erstlings. „Welcome to the Robots Volume 1“ hatte sich zur Aufgabe gemacht, „Electro-Pioneers“ wie Boytronic, Yello, Paul Haig oder Hipnosis vorzustellen – wie beim härter ausgelegten „Metal Dance“ erstaunte auch hier die Vereinbarkeit von Experiment und (Mainstream-)Erfolg. „Robots II“ widmet sich den noch kommerzielleren Synthiepop-, resp. New Romantic-, resp. Wavepop-Acts wie Blancmange, Heaven 17, A Flock Of Seagulls, Soft Cell, Telex, Anne Clark, Yazoo, Thompson Twins, Altered Images, New Order; Ministry und Propaganda sind wie auf „Metal Dance“ auch hier vertreten.
Streckenweise liest sich das Tracklisting wie ein Best-of der frühen bis mittleren Achtziger mit vielen One-Hit-Wondern wie Freur („Doot Doot“), Thomas Dolby („She Blinded Me With Science“), George Krantz („Din Daa Daa“) oder Animotion („Obsession“). Bands/Künstler wie Talk Talk, Scritti Politti, Robert Palmer oder Roxy Music stehen ein bisschen dekontextualisiert in dieser Liste, und von einigen Bands wie Buggles, ABC und Human League wurden mit „I Am A Camera“, „How To Be A Zillionaire“ und „Dreams Of Leaving“ gewiss nicht deren beste oder aussagekräftigste Stücke ausgewählt. Aber sei´s drum: die Alten werden von den Robots nochmal auf die Tanzfläche gekickt, die Jungen dürfen dazu milde lächeln und staunen.
Raphael Krickow presents: The History of Electronic Dancemusic WELCOME TO THE ROBOTS. Volume Two Synthie Pop & New Romantic. Doppelalbum. Embassy of Music (Warner).
www.facebook.com/welcometotherobots
Christina Mohr