In der letzten Kolumne schüttelte Frau Mohr verständnislos den Kopf über den Sinn und Unsinn verschiedener Compilation-Formate. Dieses Mal hat sie mehr Spaß und empfiehlt ausdrücklich die folgenden Alben…
Remix-Album, Variante 1: Berühmter DJ remixt Songs anderer Leute
„Das Einzige, was ich kann, ist Disco“*, sagt Hans Nieswandt bescheiden-kokett über sich und seine Arbeit und meint damit, dass er, wenn er sich remixend der Songs anderer Leute annimmt, diese Stücke „discofiziert“:„ich house sie“, wieder Originalton Nieswandt. Das aktuelle Remix-Album des umtriebigen Kölners, Hansdampf in allen Gassen und Clubs dieses Planeten (und wahrscheinlich auch im restlichen Sonnensystem), heißt deshalb logischerweise „Hans Is Playing House“ und ist ein Paradebeispiel für unsere oben gewählte Kategorie. 14 Tracks erfahren ihre Nieswandt’sche Discofizierung – im Gegensatz zu vielen anderen austauschbaren DJ-Remixen erkennt man einen echten Nieswandt sofort. Hans ist zwar grundsätzlich unprätentiös (siehe Zitat oben) und fühlt sich vom Gedroppt-werden in Knarf Rellöms „LCD Is Playing At My House“ ehrlich geschmeichelt, aaaber er versteht es auch, sich „fremde“ Musik anzueignen, Tracks von innen nach außen zu kehren und ihnen den Nieswandt-Stempel aufzusetzen.
Nieswandt liebt kräftige (Disco-) Beats, die er durch Songs wie Barbara Morgensterns „Deine Geschichte“, „Mama Baby Joe“ von den Zimmermännern und „Wie ich die Bank verfluche“ von JaKönigJa (bei Nieswandt „Wie ich den Edit verfluche“) pulsen und pumpen lässt. Nieswandt spielt nicht nur mit dem Groove, sondern auch mit den Lyrics: wie nur wenige andere DJs arbeitet HN mit den Texten, extrahiert einzelne Wörter und Zeilen, setzt sie anders zusammen oder verwendet Begriffe poinitiert und exponiert als eigenständige Soundpatterns. So entstehen ungeahnte Sinnzusammenhänge, Nieswandt erzählt die Stücke neu – inhaltlich und formal. Ganz toll ist das bei Nieswandts Ibiza-Style-Remix von Jens Friebes „Körper“ gelungen (Nieswandt nennt den Song „Body“) , wo Friebes Stimme zum krächzigen Soundelement wird, und „Die Zukunft als Party“ von – Der Zukunft mit Bernadette La Hengst. Überhaupt, die Stimme: als House- und Discofan verehrt Nieswandt Vocal House, weshalb die fantastische Isis Zerlett bei mehreren Remixen als „additional Lead Vocals“ oder gar „additional background choir“ zu hören ist. Dass Hans Nieswandt nur Disco und House kann, stimmt nicht ganz: beim Remix für „The DJ Song“ von seinem alten Whirlpool-Buddy Eric D. Clark tanzt man zu – Reggaegroove!
Desweiteren könnte man noch hinzufügen, dass Nieswandt nicht Hinz und Kunz mixt, sondern schon eine freundschaftliche Verbundenheit spüren muss, bevor er sein DJ-Besteck rausholt. Also keine langweilige Repetition-Competition in Nieswandts House, sondern eher unentdeckte, bisher gänzlich un-geremixten Schätze wie Eisen (Nachfolgeprojekt von M. Walking on the Water), Universal Gonzalez, Werle & Stankowski oder Festland.
* Disco und House sind für Nieswandt ein und dasselbe – und wahrscheinlich hat er mit dieser Meinung Recht.
Hans Is Playing House. Bureau B (Indigo). Zur Homepage von Hans Nieswandt, zur Seite von Bureau-B.
Remix-Album, Variante 2: Komplettes Album von einem Künstler/Band wird von verschiedenen DJs geremixt
Vor einem Jahr erschien „Baustelle“, das gemeinsame Album von Gudrun Gut und Antye Greie auf Monika Enterprise. Auf Monika-typische Weise demonstrierte die Greie Gut Fraktion, wie lässig und sinnlich elektronische Musik klingen kann, wenn Frauen die Geräte bedienen. Tracks wie „We Matter“, „Drilling An Ocean“ oder die Coverversion von Palais Schaumburgs „Wir bauen eine neue Stadt“ sind so emotional wie cool, unaufdringlich, aber zwingend tanzbar. Unverwechselbar Gudrun Gut/Monika eben. Ein solches Album zu remixen ist keine einfache Aufgabe, die aber dennoch eine Menge Leute auf sich genommen haben – das Ergebnis heißt „Rekonstruktion“ und ergänzt die Original-“Baustelle“ um wichtige Nebenbohrungen, zusätzliche Gerüste, Fundamente und Raumerweiterungen.
Die meisten RemixerInnen wie Barbara Morgenstern, Natalie Beridze oder Miko Vainio verändern die grundsätzliche Basis kaum, behalten den organischen Flow der Originaltracks bei und variieren nur die Details. Der Freiland-Klaviermix bereichert „Wir bauen eine neue Stadt“ mit beinah klassischen Pianoparts, der „Soulphiction Late Dub“ macht aus „Mischmaschine“ einen dunkelbunten Aufruf für eine lange Nacht. Kurzum: Wer „Baustelle“ liebt, wird „Rekonstruktion“ mögen. Hier wird das Material respektiert und Details sind mehr als nur Dekor.
Greie Gut Fraktion: Rekonstruktion (Baustelle Remixe). Monika.
Weitere Samplervarianten
Superrare Tracks aus einer bestimmten Zeit/einer bestimmten Region/einer bestimmten Stilrichtung, zusammengestellt von Nerds
Auf der Startseite des Labels Hyped2Death ist folgendes zu lesen: „Rare, obscure, independent and undiscovered punk, post-punk, „D.I.Y.“, and power-pop groups from the U.S. and the U.K. 1977-1984. Hundreds and hundreds of bands on compilation and dozens of releases by individual acts, all brilliantly restored on CD and custom CDR. Plus zillions of links and liner-notes galore…“
Schöner als Chuck Warner, Labelchef und passionierter, resp. total besessener Sammler von Punk-Kuriositäten aller Art, könnte niemand zusammenfassen, wofür Hyped2Death angetreten ist. In der CD-Reihe „Messthetics“ wurden bis dato tausende Songs, häufig von schrottigen Tapes, zusammengetragen und thematisch sortiert (Indie-Punk aus London und Umgebung von 1977 – 1982, Indie-Postpunk aus den Midlands 1976 – 1981, etc. pp.). Allen „Messthetics“-Compilations gemein ist der DIY-Ansatz aller Bands und KünstlerInnen – und deren zumeist schmerzliche Unbekanntheit. „Messthetics“ nimmt sich all derer an, die vor vielen Jahren auf dem Land von der großen Punkrevolution gehört hatten, ihre drei besten Freunde um sich scharten und eine Band gründeten, Kassetten aufnahmen, in Pubs und auf Schulparties auftraten und eigentlich nicht schlechter waren als The Damned oder Sham 69. Nur dass sie nicht aus Dover, Hull oder sonstwo herauskamen… „Messthetics“ erzählt die Geschichten der unbekannten, früh untergegangenen DIY-Bands und fördert so manche Perle zutage.
Zum Beispiel Almost Cruelty aus Southampton, Nachfolgeband der Catholic Girls, zu hören auf der jüngsten „Messthetics“-Ausgabe, laufende Nummer 108: die Catholic Girls waren gar nicht mal so unbekannt, traten sogar mit Delta 5 und Gang of Four auf, machten aber den Fehler, sich nicht um Vernetzung und Szenenbildung zu kümmern. Dazu kam ein traumatisches Konzerterlebnis, als Skinheads ihren Gig störten – die Catholic Girls lösten sich auf. Sängerin Lucy O’Brien (die später als Musikjournalistin reüssieren sollte: sie schrieb Bücher über Madonna, Annie Lennox und die essenziellen Female Pop-Histories „She Bop“ und „She Bop II“) stellte mit Almost Cruelty eine neue Band auf die Beine, die aber noch kurzlebiger war als die Catholic Girls und nur wenige Songs aufnahm, zum Beispiel „Foetus“, das es auf „Messthetics # 108: South Coast DIY 1977 – 1981“ geschafft hat. Geschichten wie von den Catholic Girls/Almost Cruelty gibt es in den „Messthetics“-Booklets en masse zu lesen – wer nach der Lektüre noch genügend Kraft hat, um die CD anzuhören, wird mit großartigem und garantiert noch nie gehörtem (Post-)Punklärm nicht unter anderthalb Stunden belohnt.
Messthetics # 108: South Coast DIY 1977 – 1981. Hyped to Death.
Auch die Sampler des Münchner Labels Trikont haben stets einen didaktischen Ansatz und versammeln Rares und Unbekanntes, sind aber wesentlich zugänglicher als die Veröffentlichungen von Hyped2Death. Bei Trikont darf jedermann und jedefrau bedenkenlos zugreifen, auch wenn die letzte selbstgekaufte CD der Soundtrack zu „Buena Vista Social Club“ war (Frau Mohrs despektierliche Charakterisierung von Leuten, die nur hin und wieder Musik hören = Gegenteil zum Nerd, der regelmäßig Hyped2Death-Compilations kauft). Und da sich ein geschätzter CULTurMAG-Kollege um den neuen Trikont-Sampler „Early Rappers“ kümmern wird, gehen wir an dieser Stelle nicht näher auf dieses Album ein, erwähnen nur schon mal, dass es „Early Rappers“ gibt und dass die CD die Anschaffung selbstverständlich lohnt.
Various: Early Rappers – Hipper than Hop. The Ancestors of Rap. Trikont (Indigo). Zur Homepage von Trikont.
Christina Mohr
Mohr Music widmet sich noch mindestens eine Ausgabe lang kuriosen Samplern: dann mit Beispielen zu überbordender Materialfülle, „Wohlfühl-Collections“, historisch-enzyklopädischen Kopplungen und reinen Merch-Produkten