Geschrieben am 3. August 2011 von für Musikmag

Mohr Music: Seltsame Sampler

Fragwürdige CD-Kopplungen

– Nicht alles, was man beim Plattendealer kaufen kann, erscheint auf den ersten Blick sinnvoll. Manches sogar noch nicht mal auf den zweiten. Cui bono?, fragt sich und uns Christina Mohr in dieser Folge von Mohr Music.

Various: Rave On Buddy HollyVariante 1: Das Tribute-Album

Wer hat eigentlich das Tribute-Album erfunden, und wozu ist es gut? Tribute-Alben werden meistens anlässlich des Geburtstages eines berühmten, einflussreichen, oftmals bereits verstorbenen Popstars veröffentlicht. Üblicherweise bestehen Tribute-Alben aus Coverversionen der größten Hits des einflussreichen Popstars, aufgenommen von anderen einflussreichen Popstars und/oder komplett unbekannten Bands. In den überwiegenden Fällen sind diese Coverversionen nicht besser oder origineller als die Originale, ganz im Gegenteil lehren sie häufig die Hörer die Originale noch mehr lieben. Für diesen Zweck könnte ein Tribute-Album also gedacht sein, aber rechtfertigt dieses Ergebnis den Aufwand?

„Rave On Buddy Holly“ ist ein ganz klassisches Tribute-Album. Es erscheint anlässlich des 75. Geburtstages des vor über fünfzig Jahren mit einem Flugzeug abgestürzten und dabei ums junge Leben gekommenen amerikanischen Sängers und Gitarristen Charles Hardin Holley a.k.a. Buddy Holly, der in seiner kurzen Musikerkarriere so viele legendäre Stücke schuf, wie es den meisten heute noch lebenden Rockgreisen nie gelang. „Peggy Sue“, „Oh Boy“, „Everyday“ oder „Crying Waiting Hoping“ kennt auch heute jedes Kind, dementsprechend oft wurden Buddy Hollys Songs schon gecovert: „Not Fade Away“ in der Version der Rolling Stones und „Well…All Right“ von Derek & The Dominoes setzten ihrem Schöpfer würdige Denkmäler. Diese beiden Interpretationen sind auf „Rave On Buddy Holly“ aber nicht zu hören, denn auf dieser Compilation sind nur neue Aufnahmen drauf, 19 Stück an der Zahl.

Es fällt auf, dass sich jüngere Künstler wie She & Him, Fiona Apple, Julian Casablancas, Karen Elson oder Jenny O. nicht wirklich trauen, an Hollys charakteristischer Brille zu rütteln, sprich, seine Songs einer umwälzenden Bearbeitung zu unterziehen. Das machen eher die Älteren wie Lou Reed, der gemeinsam mit Gattin Laurie Anderson eine sagenhaft verdaddelte Version von „Peggy Sue“ zum Besten gibt, die sich anhört, als hätten sich die Beteiligten mit einer Menge Dope in den sagenumwobenen Toiletten des CBGB´s eingeschlossen und dazu das Aufnahmegerät eingeschaltet. Paul McCartney tötet „It´s So Easy“ mit einer unfassbar schlimmen Holzhammer-Rock-Version, für die man gerne bei Buddy Holly um Entschuldigung bitten möchte, aber das muss McCartney irgendwann schon selbst machen.

Für seine Verhältnisse überraschend okay ist Kid Rocks soulige (!) Interpretation von „Well All Right“, Patti Smith erweist sich bei „Words Of Love“ wie gewohnt als unantastbar. Dass die Detroit Cobras rocken können, weiß man – bei „Heartbeat“ beweisen sie es mal wieder; Cee Lo Green zeigt es allen mit seiner überirdischen Stimme bei „(You´re So Square) Baby, I Don´t Care“: Buddy Holly hätte diese Version bestimmt gemocht.

Wozu ist „Rave On Buddy Holly“ aber nun gut? Für ein paar lustige Momente im Auto oder im Ferienappartment, wenn man wie Lou Reed ins Mikro resp. die Haarbürste grunzt… Unser Tipp: mal wieder Die Ärzte hören („Wo ist Buddy Hollys Brille jetzt?“) oder, noch besser: Buddy Holly selbst.

Various: Rave On Buddy Holly. Fantasy Records (Concord Music Group).

Variante 2: Best of vs. Raritäten

Wer Synthiepop sagt, muss auch Jean Michel Jarre sagen: Der 1948 in Lyon geborene Jarre gehört wie Kraftwerk zu den Pionieren der elektronischen Popmusik, auch wenn ihm Coolness-Credibility bislang versagt geblieben ist. Das mag unter anderem daran liegen, dass er sehr früh begann, seine Musik in gigantomanischen, mit Lightshows und Feuerwerken überfrachteten Events aufzuführen, die, so schien es, im Lauf der Jahre nur noch dazu dienten, die eigenen Zuschauerrekorde zu überbieten.

Jarre spielte vor den Pyramiden von Gizeh und auf dem Place de la Concorde, unlängst trat er bei den Hochzeitsfeierlichkeiten von Fürst Albert II und Charlène Wittstock auf. Seine Karriere verlief mit Höhen und Tiefen, triumphale Erfolge wechselten sich mit Niederlagen und Flops ab, weg vom Fenster war er nie.Ob 100millionste Swatch-Uhr, Papstbesuch, totale Sonnenfinsternis oder Jahrestag der Französischen Revolution: Jarre war und ist dabei, die Spektakel dieser Welt zu beschallen.

Dennoch: Stücke wie „Oxygène 2“ oder „Equinoxe“ dürften jeden Synthie-Bastler der frühen 1980er Jahre und damit auch die Popmusik, wie wir sie heute kennen, beeinflusst haben. Jarre selbst spielte als junger Mann E-Gitarre in Rockbands und entdeckte in den sechziger Jahren die Musique concrète, die ihn zum Synthesizer führte. Oft gelangen ihm visionäre Geniestreiche wie das Album „Zoolook“ von 1984, auf dem er menschliche Stimmen in über zwanzig Sprachen samplete – auf den Sinn der Worte kam es nicht an, einzig auf den Klang.

Das Doppelalbum „Essentials & Rarities“ hat Jean Michel Jarre selbst zusammengestellt: 2010 starb Francis Dreyfus, Gründer des Labels Dreyfus Music, auf dem viele Alben Jarres erschienen. Die „Essentials“-CD beinhaltet ausgewählte Stücke aus den Jahren 1976 – 2001. Auf „Rarities“ befindet sich Musik aus der Zeit vor dem Erfolg von „Oxygéne“, die zum Teil erstaunlich verspielt, wagemutig und experimentell klingt. Jarre mixt Jazz, Elektronik, Klassik und Spielereien wie Rückwärtsaufnehmen (oho!), selbst die Titel wirken verschroben: „The Iraqi Hitch-Hiker“ oder „The Abominable Snowman“ sind weit weniger welthit-geeignet wie „Oygène 1 – 25“. Wer dieses Album allerdings tatsächlich braucht, kauft und auch anhört (und nicht nur ins Regal stellt), bleibt unklar.

Jean Michel Jarre: Essentials and Rarities. Doppel-CD. Dreyfus (Soulfood). Zur Homepage von Jarre geht es hier.

Joe´s Choice: His Favorites of Horace Silver and Art BlakeyVariante 3: von Musikern ausgesuchte Musik

Zuallererst: Die auf Blue Note erschienene Doppel-CD „Joe´s Choice“ mit Joe Jacksons liebsten Stücken von den Jazzgrößen Art Blakey und Horace Silver ist ganz großartig. Legendäre, essenzielle Jazztracks wie „Cookin‘ At The Continental“ (Silver), „Dat Dere“ (Blakey & The Jazz Messengers), „Sister Sadie“ (Silver) oder „A Little Busy“ (Blakey) sind einfach immer wieder schön zu hören, und Jacksons Zusammenstellung ist in der Tat gut gelungen. Die Aufmachung des Samplers ist – wie es sich für Blue Note gehört – geschmack- und stilvoll.

Natürlich kann man sich viele Musiker vorstellen, deren Lieblingsplatten einem schlichtweg egal sind. Der britische Pianist Joe Jackson, mit Songs wie „Steppin‘ Out“ ähnlich wie Elvis Costello eher zufällig ausgerechnet zu Punk-Tagen berühmt geworden, gehört dagegen zu den Künstlern, von denen man sich gern mal die Plattensammlung zeigen lassen würde (ganz ohne schmutzige Hintergedanken).

Und doch: hat nicht jeder nur halbwegs Jazzbegeisterte Platten von Blakey (1919 – 1990) und Silver (*1928) im Schrank? Und würden sich Fans von Joe Jackson über ein neues Album vom Meister selbst nicht mehr freuen? (Wobei sich Jackson keineswegs rar macht: sein letztes Studioalbum „Rain“ erschien 2008, in 2010 eine Live-CD). Was also ist der Anlass zu dieser Blue Note-Reihe, in der unlängst eine von Henry Rollins kompilierte Ausgabe erschien? Liebhaberei, didaktischer Ansatz, Präsentation des unerschöpflichen Blue Note-Archivs, Erklärung der Welt anhand musikalischer Verknüpfungen? Genau so ist das gedacht? Ok, gefällt mir… 🙂

Joe´s Choice. His Favorites of Horace Silver and Art Blakey. Blue Note Selections by Joe Jackson. Doppel-CD. Blue Note (EMI).

In einer der nächsten Folgen von Mohr Music widmen wir uns dem Remix-Album!

Christina Mohr