In ihrer Kolumne entdeckt Christina Mohr in dieser Woche ihr Herz für eine Band, die man meistens im Proll-Radio hört – und weigert sich, sich dafür zu schämen.
Die Rechtfertigung von Schmalzpop
Manchmal lässt es sich nicht so einfach aufrecht erhalten, das selbst verordnete Image der geschmackssicheren, allen Verlockungen des Mainstream abholden Pop-Connaisseurin. An manchen Tagen steht man im Bad und lässt sich das Zähneputzen musikalisch nicht vom integren Internetradio begleiten, sondern von dem nervigen Proll-Sender, der alle fünf Minuten verkündet, das Beste von gestern und vorgestern zu bringen. Dann kann es schon mal passieren, dass man in einem unbeobachteten Moment Luftgitarre zu „The Final Countdown“ spielt oder unter der Dusche aus vollem Halse und ohne Unrechtsbewusstsein „It’s Raining Men“ mitgrölt. Vergleichbare Entgleisungen in anderen Sparten wären etwa: Blockbuster statt Arthouse, „InTouch“ statt „Literaturen“, „SportBILD“ statt „Elf Freunde“ oder „Kicker“.
Aber manchmal erklingt aus dem Proll-Sender auch das eine oder andere schöne Lied, zum Beispiel „Weather With You“ oder „Don’t Dream It’s Over“, beide rein zufällig von der australisch-neuseeländischen Band Crowded House. Die Kolumnistin möchte an dieser Stelle ausdrücklich nicht ihre heimliche Liebe zu vergessenen Softpop-Bands gestehen. Außer vielleicht zu Crowded House, deren Alben von der skrupellosen Verkaufsmaschine Amazon gleichzeitig mit den Hooters zum Erwerb angepriesen werden – was Connaisseure nur zu angewidertem Kopfschütteln bewegen kann, denn die Hooters („Johnnie B.“!, „All You Zombies“!) waren eine echte Plage und haben es verdient, nur noch im sogenannten „Hit-Radio“ zu existieren. Crowded House hingegen waren (und sind: nach ihrer vorläufigen Trennung im Jahr 1996 fanden sie 2007 wieder zusammen) zwar durchaus eine Mainstream-Charts-Band, aber eben mit jenem speziellen twist, der sie auch für untadelige Independent-Fans interessant macht. Crowded House-Gründer Neil Finn war mit seinem Bruder Tim Finn Teil der bis 1984 aktiven, exzentrischen Glam-Art-Wave-Band Split Enz aus Neuseeland, deren Songs wie „I See Red“ oder „One Step Ahead“ auf jedes ordentliche Postpunk-Mixtape gehören. Man kann nun nicht behaupten, dass man Crowded House eine Verbindung zu Split Enz direkt anmerken oder anhören kann, Neil Finn war zudem dafür verantwortlich, dass Split Enz ab Anfang der Achtziger Jahre eine gefälligere – und erfolgreichere – Richtung einschlugen. Nein, Crowded House orientierten sich vornehmlich an melodiösem Pop der Beatlesschen Prägung, harmonischer Satzgesang und ausgeklügelte Gitarrenmelodien finden sich in fast jedem ihrer Songs. Ab und zu spielten sie auch ein bisschen typischen Frühneunziger-Rock. Und doch zeichnen sich Crowded House-Stücke durch ein gewisses Etwas aus, das sie nie in die Nähe von Schmalz, Kitsch und Schund geraten lässt. Vielleicht ist es ihr besonderer Humor, der sie von anderen Hit-Bands wie den Hooters (grusel) unterscheidet: so ermutigte einst Drummer Paul Hester in einer Kinder-TV-Sendung die jugendlichen Zuschauer zu der Frage, wer von der Band denn wohl beschnitten sei. Tragische Wendung: Paul Hester brachte sich 2005 um.
Vom Hölzchen aufs Klötzchen
Vielleicht ist es das: die Songs von Crowded House klingen zunächst leicht und locker, verbergen im Innern aber eine zutiefst melancholische Note. Vielleicht verbinden Menschen meines Alters die Musik von Crowded House aber auch – bewusst oder unbewusst – mit einer nicht ganz einfachen Lebensphase: man begann ein Studium, zog in eine fremde Stadt, musste sich neu orientieren und die Wäsche selbst waschen – und im Radio lief „Better Be Home Soon“. Oder „Somenthing So Strong“. Oder „Four Seasons In One Day“. Lieder, die nach einem kuscheligen Zuhause klangen, egal, wo das auch war. Und die einem das Herz wärmten, wenn man mal nicht in der Lage war, schon vor der Morgenzigarette Nick Cave oder Test Dept. zu hören. Das ging dann eben abends wieder. Und viele Menschen werden zumindest einen Song von Crowded House aus einem der Generation-X-Filme kennen: das rockige „Locked Out“ ist auf dem Soundtrack zu „Reality Bites“ zu finden, im Deutschen scheußlich übersetzt mit „Voll das Leben“. In „Reality Bites“ spielten Ethan Hawke und Winona Ryder, die sich heuer nach ihrem Karriere-Aus vor zehn Jahren als überführte Ladendiebin ins Hollywood-Geschehen zurückkämpft: aktuell in einer kleinen Nebenrolle im hochgelobten Film „Black Swan“ zu sehen – leider ohne Songs von Crowded House, dort gibt’s nur Schwanensee.
So kommt man mit Crowded House vom Hundertsten ins Tausendste, und noch immer haben wir das Geheimnis nicht gelöst, weshalb man sie gern mag und die Hooters nicht. Zur Aufklärung könnte das CD-DVD-Paket „The Very Very Best of Crowded House“ beitragen – nach den 19 Songs auf der CD und den 25 Stücken/Videos der DVD fühlt man sich allerdings tatsächlich ein wenig weichgespült. Hinterher eine Dosis Split Enz macht wach und gleicht das Connaisseur-Karma wieder aus.
Christina Mohr
Crowded House: The Very Very Best Of Crowded House. EMI.