Geschrieben am 22. Oktober 2014 von für Musikmag

Mohr Music: Throwback Wednesday

JAZZATEERS rev#throwbackwednesday mit Jazzateers, The Bluebells, Eyeless in Gaza

–Ist es nicht manchmal anstrengend, immer alle hotten stars-to-come auf dem Schirm zu haben? Alle Neuerscheinungen durchzuackern und sich diese dann auch noch merken? Bei bizarrstem Fiepen auf der MP3 sofort begeistert ein neues Genre zu definieren („Post-Chillwave-Surf-Goth“)?

Ach, zuweilen ist es auch mal ganz schön, auf Bewährtes zurückzugreifen – oder antike Schätze zu heben, die man zur aktuellen Wirkungsphase nicht mitbekommen hatte. Das Londoner Label Cherry Red hilft bei solchen Anwandlungen gern und veröffentlicht unbeirrt Monat für Monat -zig Alben aller erdenklichen Coleur wieder: vom Gesamtwerk Suzi Quatros über Psychobilly-Bands wie Guana Batz bis zum Schmusediscosound von Tina Charles.

Einen besonderen Schwerpunkt legen die Cherry-Red-Leute aber auf britische Musik der späten Siebziger und frühen Achtziger: Vor kurzem re-releaste Cherry Red „Chewing The Fat“ der Matt-Bianco-Vorläuferband Blue Rondo a la Turk, im vergangenen Jahr erschien die Fünf-CD-Box „Scared To Get Happy“ mit den wichtigsten Indiepop-Twee-Bands/Songs, die zwischen Postpunk und New Pop agierten, keine wirkliche Szene bildeten und doch für den britischen Pop enorm bedeutend waren und oftmals – wie z. B. The Jesus and Mary Chain, Aztec Camera oder Primal Scream – in den mittleren Achtzigern kurz vor ihrem eigentlichen Durchbruch standen.

Sträflicherweise nicht auf „Scared To Get Happy“ vertreten sind Jazzateers aus Glasgow: 1980 gegründet, sollte die Band um Ian Burgoyne, Keith Band und Sängerin Alison Gourlay auf dem legendären Postcard-Label (Orange Juice) erscheinen, doch bevor das erste Album fertig war, musste Postcard aufgeben – und Jazzateers landeten bei Rough Trade. In ihren verschiedenen Inkarnationen (Jazzateers formieren sich bis zum heutigen Tage fortwährend um) blieben Jazzateers ihrem so vielschichtigen wie leichtfüßigen Stilgemisch aus Jazz, Pop und Postpunk treu – und wie Orange Juice-Mastermind Edwyn Collins heg(t)en die schottischen blassen Jungs und Mädchen eine tiefe Liebe zu Disco und Funk. Das kürzlich veröffentlichte Album „Don´t Let Your Son Grow Up To Be A Cowboy“ versammelt Jazzateers‘ unreleased recordings 1981 – 82, unter anderem eine sehr tolle, von Edwyn Collins produzierte Coverversion von Donna Summers „Wasted“. Die übrigen 17 Stücke der Compilation berühren und begeistern ebenso: Alisons dunkle, melancholische Stimme prägt die Songs, die ja wohlgemerkt bis dato unveröffentlicht waren – und doch so unfassbar schön sind (vor allem das fatalistische „When the Novelty Wears Off“ oder das romantische „Love Is Around“, das sicher nicht zufällig an „Love Is In the Air“ erinnert), dass man sie sofort (wenn auch nachträglich) zur Lieblingsband erklären möchte. Aber wieso nachträglich: Jazzateers sind wohlauf, und rund um Glasgow auch immer mal wieder live zu erleben.

BLUEBELLS revFluch und Segen Superhit: Sogar meine Oma kannte „Young At Heart“, den TV-Werbe-Hit von 1984, den Bobby Valentino einst mit Siobhan Fahey für Bananarama schrieb und der auch zuerst auf Bananaramas Debütalbum „Deep Sea Skiving“ erschien. Doch erst in der Version der schottischen Band The Bluebells wurde der Song zum großen Hit – ein Erfolg, den die Band vorher und hinterher nicht wiederholen konnte, auch wenn sie sich mit „Cath“ und „I´m Falling“ in den Charts platzieren konnten. The Bluebells gründeten sich wie Aztec Camera und Orange Juice 1980 und dank ihrer Vorliebe für Jingly-jangly-Gitarren klangen sie auch so ähnlich – Anfang der Achtziger war diese weiche, sanfte, positive, „unmännliche“ Art Gitarre zu spielen und doch irgendwie im Rockbandformat verhaftet zu sein, echt underground, was einem/r heutzutage niedlich erscheint. Aber andererseits: angesichts zeitgenössischen harten Punkrocks à la The Exploited und UK Subs oder tribalinspirierter New-Romantic-Kostümierungen von Adam and the Ants wirkten Jeans- und Parkaträger wie Edwyn Collins und die Bluebells-Musiker Robert Hudgens und David McCluskey wie brave Schuljungs, jedenfalls nicht wie Popstars. Dass The Bluebells trotz betont unbetontem Äußeren fantastische Popmusiker waren, kann man anhand „Exile On Twee Street“ nachvollziehen: Zwanzig Songs sind drauf, einer leuchtender, sonniger und jingly als der andere, witzig, ironisch und tongue-in-cheek sowieso („You´re Gonna Miss Me“, „Honest John“).

Das Postkarten-Design des Backcovers ist ein Hinweis darauf, dass auch The Bluebells – wie Jazzateers – ursprünglich auf Postcard Records erscheinen sollten. Daraus wurde nichts, siehe oben, The Bluebells veröffentlichten bei London Records und wurden mit „Young At Heart“ für kurze Zeit zu Stars. Dieser Hit ist auf „Exile…“ nicht zu hören, dafür viele andere hübsche Stücke, die die Songschreiberqualitäten der Bluebells belegen. Im Booklet ist ein ausführliches Interview mit den Gründungsmitgliedern zu lesen, plus Fotos und Zitaten von Weggefährten wie Roddy Frame von Aztec Camera, der The Bluebells als „80s version of the Monkees“ bezeichnet.

Highly recommended.

EYELESS IN GAZAZum Schluss noch ein dickes Paket von Cherry Red, das musikalisch aber komplett anders ausgerichtet ist als Jazzateers und The Bluebells: 1980 gründeten Martyn Bates und Peter Becker aus Nuneaton, Warwickshire ein Duo, das sie nach einem Roman von Aldous Huxley benannten. „Eyeless in Gaza“ („Geblendet in Gaza“) hieß das Buch, das Bates und Becker zu ihrem spröden, aber stilbildenden Postpunk-Wave inspirierte. Bates‘ Stimme ist omnipräsent, die Musik mal eckig und kantig, dann wieder mit Hang zu cineastischer Breitwand-Opulenz mit ausgestreckten Fühlern sowohl in Richtung Pop als auch Industrial und/oder Dark Folk. Wem das rätselhaft, aber auch faszinierend vorkommt, sollte, nein, muss zum 4-CD-Boxset greifen, das Cherry Red geschnürt hat. Zugängliche Songs der späteren Jahre wie „Pale Saints“ oder „Letters To She“ kontrastieren hart mit den schwarzweißen Tracks der Frühphase („From A to B“, „No Noise“). Eyeless in Gaza hinterließen ihre Spuren in jüngeren Gothic-Bands ebenso wie im Elektropop – aber wie es ja häufig ist: Die Pioniere sind nicht immer bekannt.

Auch Eyeless in Gaza existieren heute noch: Nach mehreren personellen Umbesetzungen gibt es sogar ein neues Album, das allerdings nicht bei Cherry Red erscheint.

Christina Mohr

The Bluebells: Exile on Twee Street (Cherry Red Records).  Zur Facebookseite.
Jazzateers: Don´t Let Your Son Grow Up To Be A Cowboy (Cherry Red Records). Zur Homepage.
Eyeless in Gaza / Original Albums Collection (4-CD-Boxset, Cherry Red Records). Zur Homepage.

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