In dieser Woche unterhält sich Christina Mohr mit Chris Frantz vom Tom Tom Club über seine neue EP und liest David Byrnes Buch über Musik.
Von Punks zu Legenden
Lang, lang ist´s her, dass der Tom Tom Club ein Album herausgebracht hatte: zwölf Jahre, um genau zu sein. Im Jahr 2000 erschien mit „The Good, The Bad, And The Funky“ der bislang letzte Longplayer von Bassistin Tina Weymouth und Schlagzeuger Chris Frantz, der rhythm section der Talking Heads.
Weymouth und Frantz waren in der Zwischenzeit keineswegs untätig, nahmen z. B. mit einem ihrer Söhne Weihnachtssongs auf, produzierten andere Bands und spielten sporadische Gigs. Priorität hatten jedoch die Kinder und Eltern des seit 1977 verheirateten Paares: „Tina und ich sind echte Familienmenschen“, sagt Chris Frantz am Telefon, „wir zogen unsere Söhne auf, und als unsere Eltern älter wurden und Hilfe brauchten, kümmerten wir uns um sie.“
Deshalb sollte es bis 2010 und dem in ihrem eigenen Club in Connecticut aufgenommenen „Genius of Live“-Konzertalbum dauern, dass bei Weymouth und Frantz die Idee keimte, den Fans „ein paar neue Songs zu präsentieren. Wir dachten, dass es klug sei, zunächst nur eine EP zu produzieren. Wenn die Songs gut ankommen, planen wir ein ganzes Album.“ Die EP „Downtown Rockers“ (fünf neue Tracks + vier Remixe) wird gewiss gut ankommen, denn die Musik des Tom Tom Club hat sich kaum verändert.
Wie einst 1981 federn die Beats, Weymouth‘ Bassspiel klingt so deep und doch so dynamisch und leicht wie bei „Wordy Rappinghood“ oder dem tausendfach (u. a. von Mariah Carey) gesampleten „Genius Of Love“. Im Gegensatz zur derzeit angesagten Clubmusic mit ihrer schieren Sound-Überwältigung fällt bei den neuen Tom Tom Club-Tracks auf, wie transparent sie – von Tina Weymouth selbst – produziert sind, wie klar jedes einzelne Instrument zu hören ist: „Das war unsere Absicht: ich habe unseren Studiomusikern gesagt, dass sie so cool und funky wie Booker T. & The MG´s spielen sollen – und überhaupt wollten Tom Tom Club schon immer wie Booker T. klingen!“
Die Single „Downtown Rockers“ und das dazugehörige Video sind eine liebevolle Verbeugung vor den Punkstars aus der Mitt- und Spätsiebzigerjahre-Szene rund um den Bowery-Club CBGB´s wie den Ramones, Patti Smith, Blondie, Richard Hell (Debbie Harry und Hell tauchen höchstselbst im Video auf) – und auch eine Hommage an sich selbst, oder? „Talking Heads gehörten auch zur CBGB´s-Szene und wir sind sehr froh darüber, dabei gewesen zu sein. Es war eine tolle Zeit für Musiker damals, sehr frei, experimentell, mit einem wahrhaft revolutionären Geist.
Das CBGB´s war der Mittelpunkt der Szene und bot allen eine Bühne – Hillys (Kristal, der Clubinhaber) einzige Voraussetzung für einen Gig war, dass man eigenes Material spielte.“ Die anderen ProtagonistInnen der New Yorker Punkszene teilen offensichtlich Chris Frantz‘ Auffassung, denn es kostete „nur einen Telefonanruf und eine E-Mail mit der Musik von ‚Downtown Rockers’“, um Debbie Harry und Richard Hell für ihren Auftritt im Video zu gewinnen.
Die Punks von damals sind längst etablierte Legenden geworden, Frantz selbst auch: „Hörst du deinen eigenen Einfluss im aktuellen Pop heraus?“, frage ich – „natürlich, ständig!“, antwortet er und freut sich, dass er mit Talking Heads und Tom Tom Club „ein paar gute Songs aufgenommen habe, die auch heute noch gespielt werden und relevant sind.“ „Der erste Song, den du heute auf Facebook gepostet hast, war ‚Telstar‘ von den Tornadoes…“ beginne ich und will eigentlich fragen, was er von Joe Meek hält, aber Frantz unterbricht mich: „Sind wir Freunde bei Facebook?“ „Nein, du hast zu viele Freunde. Ich kann nur sehen, was du postest, aber ‚befreundet‘ sind wir nicht.“ Frantz: „Das geht nicht. Ich lösche gleich mal ein paar Leute, damit Platz für dich ist.“ Ich wiederum sage, dass das nicht geht und dass niemand wegen mir von seiner Freundesliste gestrichen werden soll. (Direkt nach dem Telefonat erreicht mich die Anfrage „Chris Frantz möchte mit dir befreundet sein.“ Highlights im Leben einer Popjournalistin 🙂 )
Frantz, der eine eigene Radiosendung betreibt und dafür vorwiegend Songs nach Bob Marleys Diktum, „if you know your history, then you would know where you´re coming from“ auswählt, bewegt sich aber keineswegs nur in der Vergangenheit – siehe Facebook -, er ist begeistert von den kanadischen Duos Wild Belle und Lola Dutronic (deren Bandnamen und -mitglieder er betont deutlich ausspricht und vorsichtshalber buchstabiert), Elliott Bergman von Wild Belle ist sogar bei zwei Tracks auf der „Dowtown Rockers“-EP am Saxofon bzw. Kalimba zu hören („Won´t Give You Up“, „You Make Me Rock And Roll“).
Unser Gespräch findet am Abend vor dem 70. Geburtstag von Toots (Toots and the Maytals) statt, Tom Tom Club werden das Konzert zu Ehren des Jubilars eröffnen und gemeinsam mit ihm spielen – „Toots war sehr wichtig für Talking Heads und später auch für Tom Tom Club, neben Kraftwerk einer unserer größten Einflüsse.“ Als ich Chris erzähle, dass ausgerechnet die anti-rockigen Kraftwerk für die Aufahme in die Rock’n’Roll-Hall of Fame nominiert wurden, ist er beglückt: „Großartig! Ich habe sie vorgeschlagen!“
Talking Heads wurden vor zehn Jahren in die Hall of Fame aufgenommen, und auf meine Frage, ob es für eine amerikanische Band denn wirklich so eine wichtige Sache sei, in Cleveland geehrt zu werden, antwortet er lachend, „also, wenn dir als Band jemand einen Preis verleihen oder dich auf sonst irgendeine Art würdigen will – dann nimmst du das natürlich an.“ Zu Kraftwerk fällt ihm eine Anekdote ein: „1979 spielten wir bei dir in der Gegend (Frantz meint Wiesbaden, ich wohne in Frankfurt – gut getroffen, Respekt!).
Nach dem Konzert besuchte uns Ralf Hütter backstage – wir waren verblüfft und aufgeregt, dass uns unser großes Vorbild hinter der Bühne aufsucht! Tina machte ihm ein Kompliment, dass sie seine Texte so fantastisch fände – und er schaute sie an, als ob sie nicht alle Tassen im Schrank hätte.“ Apropos Liveauftritte: darf man sich im nächsten Jahr auf Tom Tom Club-Konzerte in Europa freuen? „Für konkrete Termine ist es noch ein bisschen früh, aber ja, ich denke schon, dass wir auf Tour gehen und dann auch nach Europa kommen. Zumindest für ein paar Festivals.“ Also warten wir gespannt und vertanzen die Zeit bis dahin mit „Downtown Rockers“!
Tom Tom Club: Downtown Rockers. Ear Music (edel). Zur Website.
Enigmatisches, scheues, geniales Mastermind
Man kann nicht über Talking Heads reden und den wichtigsten Mann der Band nicht erwähnen: David Byrne, das enigmatische, scheue, geniale Mastermind, das nach dem Split der Talking Heads 1991 zwar nicht wirklich von der Bildfläche verschwand, aber doch immer wieder abtauchte, um an den abgelegensten Orten dieser Welt Musik zu machen, Kunstwerke zu erschaffen oder Bücher zu schreiben. Aktuelle Lebenszeichen (ein gemeinsames Album mit Brian Eno, eins mit St. Vincent und sein Buch „The Bycicle Diaries“) zeigen Byrne als hellwachen, breit interessierten, ökologisch bewussten und keineswegs abgedreht-vergeistigten Typen, als der er schon so oft bezeichnet wurde.
Sein jüngstes Buch, das knapp 400 Seiten starke „How Music Works“ ist ein erstaunlich zugängliches Standardwerk über – ja genau, darüber, wie Musik „funktioniert“, in jeder nur denkbaren Hinsicht. Um es gleich zu sagen: „How Music Works“ ist keine Talking Heads- oder David Byrne-History, wenn es auch oft um Byrnes eigene musikalische Vergangenheit und Gegenwart und natürlich auch um Talking Heads geht.
Zum Beispiel im Kapitel „How To Make A Scene“, in dem er sich genauso warm wie Chris Frantz an die seligen Siebziger erinnert, als Byrne, Frantz und Tina Weymouth sich ein winziges Appartment in der Nähe des CBGB`s teilten. Musik ist für Byrne aber nicht nur Pop und Punk, er bezieht Klassik und Weltmusik in seine Streifzüge mit ein und referiert sogar über „Sphärenmusik“, zieht also bis ins Universum und in die Philosophie.
Es klingt zunächst unwahrscheinlich, aber der in Schottland geborene und in den USA aufgewachsene David Byrne beleuchtet tatsächlich so ziemlich alle Aspekte rund um das Musikmachen, -konsumieren und -verkaufen und wirkt dabei nur äußerst selten naiv. Hier spricht ein Mann, der sein Leben der Musik verschrieben hat – und die seine Rettung bzw. sein Weg ins Leben war: Byrne diagnostiziert bei sich selbst ein leichtes Asperger-Syndrom (eine Form von Autismus) und geht davon aus, dass viele Musiker – wie er – im „echten“ Leben unter extremer Schüchternheit leiden und durch ihre Bühnenpersona überhaupt erst zur Kommunikation mit anderen Menschen fähig werden. Musik als Kommunikationsmittel – that´s what it´s all about, oder etwa nicht? Die Lektüre von „How Music Works“ öffnet Ohren und Augen und ist definitiv zu empfehlen.
Und noch einmal Facebook: Chris Frantz‘ streut auf seiner Seite kleine Hinweise, dass es zu einer Talking Heads-Reunion kommen könnte. David Byrne und die restlichen Heads sind sich nicht gram, aber „leider sehen wir uns nur zu geschäftlichen Terminen“, seufzt Frantz, „that´s David…“ Hoffen wir, dass Byrne, Frantz, Tina Weymouth und Jerry Harrison bald mal wieder gemeinsam untersuchen, “how music works”.
David Byrne: How Music Works. Canongate 2012. Gebunden. 352 Seiten. 32,00 Dollar. Zur Homepage.
Christina Mohr