Horror, ganz real
– Alben der Band Mutter sind nichts für schwache Nerven. „Text und Musik“, diese beiden gehen bei den Berlinern eine fruchtbare Mesalliance ein. Der Sound samtweich, und doch sind die Lyrics alles andere als harmlos. Bereits die Single „Wer hat schon Lust, so zu leben?“ nimmt uns mit in eine ungemütliche Welt, nämlich die der Sinti und Roma, gesehen aus den Augen von uns allen, in einer Großstadt wie sagen wir mal Berlin. „Warum sind sie hier und wollen nicht gehen?“, schreit Max Müller, und aus dem Ressentiment wird eine existentielle Verunsicherung. „Wer hat schon Lust so zu leben wie sie leben, die wir hassen/ wer hat schon Lust so zu reden wie sie reden, die uns hassen“ – aber so hoch werden sie die Mauern nicht ziehen können, dass die Angst nicht doch durchbricht, auf beiden Seiten. Mutter sind nicht politisch korrekt, Mutter sind realistisch.
Das darauf folgende Instrumental in „Qui“ wiegt dagegen fast in Sicherheit. Dann aber wieder sowas wie „Am Abend“: „Am Abend gehen wir aus und sehen die anderen wie uns selbst“ – was bedeutet solch ein Satz im Mutter-Universum? Dass wir im Gespräch mit den anderen merken, wie dämlich wir selber sind? Eine Ahnung macht sich breit. In Zeiten, in denen ein Like bei Facebook schon als Meinungsäußerung durchgeht, singt Max Müller „von dem Anschein einer Haltung“ („Land der freien Waffen“, mit grandiosem Finale und Schluss), und man fühlt sich ertappt.
Kleiner Höhepunkt (wenn man von so etwas sprechen kann auf einer Platte, die im Ganzen ein Höhepunktsplateau darstellt) ist vielleicht „Ihr kleines Herz“, ein für den Mutter-Sound symptomatischer Song, denn er schmeichelt sich harmlos ein und wird irgendwann, wenn man am wenigsten daran denkt, direkt im Herzen des Hörers explodieren. „Sie kennt den Weg, ist ihn schon tausendmal gegangen […] ein neuer Tag fängt für sie an“ und „was für ein Glück, dass er sie braucht“ – das Glück, das hier behauptet und immer wieder in Frage gestellt wird, man fühlt, das wird nichts mit diesem Pärchen. Ein Song wie ein Horrormovie, verpackt als Kitsch. Fröstelt da jemand? Ach komm, in euren Leben ist doch auch noch „So viel Platz“, lasst das Grauen doch einfach rein. Aber: Handle with care.
Tina Manske
Mutter: Text und Musik. Clouds Hill (Rough Trade).