Geschrieben am 2. April 2014 von für Musikmag

Rachel Sweet: B-a-B-Y

rachelsweet_babyKurze Pop-Karriere

– An die amerikanische Sängerin Rachel Sweet können sich nur wenige erinnern – kein Wunder, schließlich war ihre Pop-Karriere schon 1982 beendet. Das wiederum könnte daran gelegen haben, dass die heute 53-Jährige damals zwischen allen Stühlen saß bzw. platziert wurde.

Rachel Sweet wurde in Akron, Ohio geboren, hatte als Dreijährige ihre ersten Sangesauftritte, war mit fünf ein gefragtes Model und trat mit zwölf schon in Las Vegas auf – ein Kinderstar wie aus dem Bilderbuch.

Ende der 1970er-Jahre wurde der Produzent Liam Sternberg auf Rachel aufmerksam – sie sang damals Countrystücke – und brachte sie zum aufstrebenden Londoner Independent-Label Stiff Records. Dort war man begeistert von Stimme und Ausstrahlung des Teenagers, brachte sie mit einer Band aus Pubmusikern zusammen und verkaufte das Ganze als New Wave – wie alles, was zu dieser Zeit bei Stiff erschien: Ian Dury, Lene Lovich, Elvis Costello, Madness, Nick Lowe. Sweet ging mit anderen Stiff-KünstlerInnen auf Tour und sorgte aufgrund ihres jugendlichen Alters im „stiffen“ England für einen Skandal: mit Erfolg, ihre Singles „B-A-B-Y“ (eine Coverversion eines Carla-Thomas-Songs) und „Baby, Let´s Play House“ wurden Charthits, ebenso die Alben „Fool Around“ und „Protect The Innocent“, auf dem sie Songs von u. a. The Damned covert.

Doch irgendwie passte Rachel Sweet nirgends so richtig hinein: sie wurde als toughe Ronnie-Spector-Wiedergängerin promotet, aber auch als süße Lolita, ihre Musik basierte auf nostalgischem Rock’n’Roll mit Sixties-Girlgroup-Anleihen und wurde mit angesagt schrägen Saxophon-Einlagen auf New Wave getrimmt; ihre countryerprobte Stimme klang ein bisschen nach Dolly Parton, aber auch „wie Bruce Springsteen“, wie es ein Journalist einst beschrieb. 1982 beendete Rachel Sweet die Zusammenarbeit mit Stiff und ging in die USA zurück. Mit Rex Smith nahm sie das Duett „Everlasting Love“ auf und veröffentlichte zwei halbwegs erfolgreiche Alben („… And Then He Kissed Me“, „Blame It On Love“), danachzog sie sich vorerst aus dem Showbusiness zurück, um ihren Uniabschluss zu machen. Später schrieb sie Filmmusik, sang Titelsongs für Filme von John Waters („Cry Baby“, „Hairspray“) und nahm sogar ein ganzes Album („The Look“) auf, auf dem ihr Namen nicht genannt wird: 1990 lieh sie für einen Film ihre Stimme an Barbie aus. Heute ist sie eine gefragte Drehbuchautorin und TV-Produzentin.

Aber wie so oft im Leben sind die scheinbaren Misfits doch die interessanteren Acts: hört man Rachel Sweets Songs heute, klingen sie überraschend frisch und kaum gealtert; die rauhe Produktion und Sweets unbestreitbar tolle Stimme klingen äußerst catchy – auch und gerade im Zeitalter der ständigen Revivals: Sweet recycelte vor über dreißig Jahren den Sound der 1950er und -60er, was bis heute gang und gäbe ist, siehe Nostalgie-Stars wie Adele, Duffy oder Amy Winehouse. Mit Geschlechterrollen spielte sie auch gern: Jahrzehnte vor Lady Gagas Travestie als Jo Calderone trat Rachel Sweet mit Schmalztolle als Elvis-Impersonatorin auf.

Wer Rachel Sweets kurze Pop-Karriere versäumt hat, kann nun dank einer schicken Compilation Nachhilfeunterricht nehmen: Cherry Red Records hat ein Doppelalbum mit den „Stiff Recordings“ herausgebracht, inklusive sehr countryesker Stücke wie „Truckstop Queen“, ihren Hitsingles und einem „Disco Remix“ von „Spellbound“.

Christina Mohr

Rachel Sweet: B-a-B-Y. The complete Stiff Recordings 1978 – 1980. Doppel-CD. Cherry Red Records.

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