Kontrolle und Verlust
Rückkopplungen des Verstärkers, verkehrtherummes Drehen an Reglern, Oszillieren der Schaltkreise, Klirren von Glas – das geordnete Chaos ist Radians Stilprinzip. Von Tina Manske
Ein Stilleben als Albumcover – bei ihrer mittlerweile fünften Platte geben die drei Österreicher Martin Brandlmayr, Stefan Németh und John Norman gleich einen optischen Hinweis zurück auf ihr bisheriges Werk. Denn die Stille, die Pausen, das Nichtgespielte waren immer schon expliziter Bestandteil ihres Sounds. Radian bemächtigen sich vieler Herangehensweisen, ohne sich danach in eine Schublade stecken zu lassen – das Improvisierte des Jazz, die Krachwände des Postrock, das Experimentelle der elektronischen Avantgarde, die Ausschöpfung aller Klangquellen der musique concrète, all das darf bei ihnen vorkommen, darf ihnen aber keine Ketten anlegen. Das Ausloten neuer Möglichkeiten war ihnen schon immer wichtiger als das selbstgefällige Betrachten des Geleisteten. „Chimeric“ ist für Radian-Verhältnisse, so sieht die Band es selbst, ein dunkles Album geworden, rau und ungehobelt. Rückkopplungen des Verstärkers, verkehrtherummes Drehen an Reglern, Oszillieren der Schaltkreise, Klirren von Glas – das geordnete Chaos ist Radians Stilprinzip.
Denn auch wenn ein Stück wie „Kinetakt“ klingt, als sei es wild improvisiert, steht doch immer das gemeinsame Songgerüst im Hintergrund, zusammengehalten vom Rhythmusgerät. Im Mittelpunkt daher wie schon bei den vier Platten zuvor: das Schlagzeug von Martin Brandlmayr. Faszinierend, wie er zwischen Kloppen, Streicheln und Dengeln wechselt. Kontrolle, Kontrollverlust – zwei Themen, die das Album strukturieren. Doch Radian haben mit „Chimeric“ auch die Gitarre entdeckt, Stefan Németh sorgt damit für einige Highlights. Vieles wurde in der Postproduktion am Computer verändert oder nachbearbeitet, doch die Energie kommt aus den akustischen Performances der Musiker selbst. Und dann sowas wie „Feedbackmikro / City Lights“, das am Ende in einen auch im Popkontext funktionierenden Beat fließt, oder das abschließende „Subcolors“ mit seinen fast schon tanzbaren Rhythmen.
Tina Manske
Radian: Chimeric. Thrill Jockey (Vertrieb: Rough Trade).