Operation am offenen Herzen
Alle Vorschusslorbeeren aller professionellen Hyper sind ganz und gar gerechtfertigt: Anja Plaschg ist ein bemerkenswert intensives Album gelungen. Von Tina Manske
Es war Ende letzten Jahres, als Redaktionskollegin Ana-Marija mich auf eine besondere Künstlerin aufmerksam machte – „hör dir das mal bei MySpace an!“ Die Gerüchte, dass da etwas ganz Großes aus Österreich kommen würde, waberten schon länger durch Blogs und Foren. Damals gab es nur einen Song auf der betreffenden Seite online, aber der hatte es bereits in sich und machte große Hoffnung auf ein großes Album. Jetzt ist es soweit, und alle Vorschusslorbeeren aller professionellen Hyper sind ganz und gar gerechtfertigt: Anja Plaschg alias Soap&Skin ist mit „Lovetune For Vacuum“ ein bemerkenswert intensives Album gelungen. Schon die Eckdaten – 18-Jährige (!) mit kaum verhohlenem Hang zur Todesromantik spielt Klavier und singt dazu – ließen ein erhöhtes mediales Interesse wahrscheinlich werden, man hätte sie trotzdem nicht benötigt, um zu merken, dass das hier eine besondere Platte ist.
Plaschgs Songs heißen „Thanatos“, „Brother Of Sleep“ oder „Marche funèbre“, sie schreit „please extinguish me“ und „please help me“, ihre Stimme ist mehr ein symphonisches Brechen als ein virtuoses Tönen, und gerade deshalb nimmt man ihr die behauptete Authentizität sofort ab. Dazu konventionelles, aber gefühlvolles Klavierspiel, Geigen, Flöten, sparsame Samples. Diese Songs entsprechen einer Operation am offenen Herzen, alles liegt blank und schutzlos vor einem. Interviews mit Plaschg sollen die Hölle sein, heißt es, sie würde einfach dasitzen und nicht antworten. Nur weiter so, möchte man ihr da zurufen, was soll es auch zu sagen geben, wenn doch in der Musik schon alles steckt? Erwähnter „Marche funèbre“ zum Beispiel, bei dem die Streicher wütend übers Land ziehen, als müssten sie noch heute allen Philistern die Köpfe herunterreißen – solches Pathos kann man als pubertär verurteilen, sollte sich dann aber im Klaren sein, dass man sich auf dem besten Weg zum Zyniker befindet.
Plaschg spielte offensichtlich schon früh lieber Klavier als in die Schule zu gehen. Ihre Vorbilder sind denn auch eher in der klassischen Musik zu verorten, Schumann, Rachmaninow, Chopin. Nur dass die damals noch nicht gleichzeitig so virtuos mit der Elektronik experimentieren durften wie Plaschg, wenn sie mal kurz eine Hand frei hat. „DDMMYYY“ zum Beispiel, das progressivste der Stücke, dreht gegen Ende völlig ab, noch einmal gewinnt der Laptop Oberhand über die analogen Instrumente. „I am a child“, singt Plaschg am Ende von „Spiracles“ – tatsächlich, aber eben ein besonders begabtes. „Lovetune For Vacuum“ endet mit Vogelgezwitscher und einem dumpfen Schlag, der lange nachhallt – wie das Album selbst. Hoffen wir, dass sich dieses Talent der Verheizung widersetzt.
Tina Manske
Soap&Skin: Lovetune For Vacuum. PIAS Recordings (Vertrieb: Rough Trade).