Geschrieben am 19. November 2019 von für Musikmag

Sparks: Past Tense: The Best of Sparks


Viele Artikel über Sparks beginnen ungefähr so, dass das Brüderduo aus Los Angeles in einer gerechteren Welt viel berühmter wäre, und dass Ron und Russell Mael weitaus mehr Lorbeeren zustünden als sie vom profanen Popbusiness bisher erhalten haben. Dem kann man schwerlich widersprechen – oder trotzig dagegenhalten, dass es doch gerade gut ist, dass Sparks seit vielen Jahren (genauer: seit den späten Sechzigern) in ihrer ganz eigenen, unvergleichlichen und unkopierbaren Nische operieren. Und dem Publikum immer wieder aufs Neue die Chance geben, Sparks für sich zu entdecken. Denn den Mael-Brüdern, die ihre Laufbahn als Halfnelson begannen und sich als Reminiszenz an die Marx-Brothers schließlich umbenannten, ist seit ihrer ersten Hitsingle „This Town Ain’t Big Enough for Both of Us“ von 1974 die im Pop sehr ungewöhnliche Leistung zuzuschreiben, kein einziges schlechtes Album gemacht zu haben.

Egal wo man einsteigt, sei es in der frühen Glam- und Prog-inspirierten Phase, oder später, als die Maels mit Giorgio Moroder zusammenarbeiteten, oder in den verrückten Neunzigern, als sie mit „When Do I Get to Sing My Way“ tatsächlich, endlich zu MTV-Stars wurden, oder vor ein paar Jahren, als Sparks mit der Britpop-Band Franz Ferdinand ihre überraschend tolle Kooperation FFS begannen, oder 2017, als Sparks mit ihrem 23. Studioalbum „Hippopotamus“ nach über vierzig Jahren wieder an die Spitze der UK-Charts gelangten: immer sorgen Sparks für ein ganz besonderes Erlebnis, das für den Mainstream schlichtweg ein paar Takte zu gut ist. Oder zu schräg. Zu schlau, zu witzig, zu queer, zu überkandidelt – schon die Performance der Brüder ist speziell: hier der hübsche Falsetto-Sänger Russell, dort der stoisch agierende, Chaplin-Bärtchen tragende Ron am Keyboard. Die Rollen sind verteilt, der Effekt hilarious. Musikalische Mini-Dramen im Operettengewand, Storytelling im Vaudeville-Style, böse Lovestories zu Technobeats, eindeutig-zweideutige Schmachtfetzen („Two Hands One Mouth“) – Sparks‘ Stil zu beschreiben ist schwer, leichter fällt es dagegen, den Einfluss der Mael-Brüder auf andere KünstlerInnen zu definieren: Das 1979 veröffentlichte Album „N° 1 in Heaven“ zum Beispiel ist die Blaupause für unzählige Synthie-Acts von Soft Cell über Blancmange bis zu den Pet Shop Boys. Auch Pulp, Dresden Dolls, Depeche Mode, Siouxsie und Suede haben von Sparks gelernt – und von Morrissey erzählt man sich die Legende, dass er einst ein von Russell Mael angeknabbertes Brötchen vom Frühstückstisch mopste, als sie im selben Hotel weilten. Sparks revanchierten sich für diese Anekdote mit dem Song „Lighten Up, Morrissey“ von ihrem Album „Exotic Creatures of the Deep“ von 2008, auf dem auch das herrliche „Good Morning“ vertreten ist: „Good morning / who are you? / I woke up / and saw you / (…) While I fix you breakfast / I hope it’s just your laugh that is infectious.“ Russell Maels Stimme vereint die Grandezza eines alternden Hollywood-Stars mit schierer „Angst in my Pants“ (ein Sparks-Song von 1982), das ist so lustig wie gruselig und auch zehn Jahre nach Veröffentlichung ein echter Hit. So könnte man nun über buchstäblich jeden Song der Sparks resümieren – aber das kann dauern. Ein wenig kompakter, mit immerhin 58 Songs, verteilt auf drei CDs kommt die von Ron & Russell eigenhändig zusammengestellte Werkschau bzw. Greatest-Hits-Compilation „Past Tense“ daher: chronologisch sortiert vom „Computer Girl“ (1967) bis „Check Out Time 11 AM“ (2017) lässt sich die fünfzig Jahre währende (Nicht-)Karriere der Sparks bestaunen und feiern, mit „Singing in the Shower“ feat. Les Rita Mitsouko von 1988 etwa, der Beatles-Coverversion „I Want to Hold Your Hand“ (1976) oder der dramatischen Ballade „Those Mysteries“ aus demselben Jahr, mit dem großartigen Prä-Techno-Stück „Beat the Clock“ von 1979, oder mit „Piss Off“ in der Originalversion ohne Franz Ferdinand – nicht auszudenken, Sparks wären so berühmt wie die Stones oder Queen (was sie, wie gesagt, verdient hätten). Man hätte ja nichts mehr zu entdecken.

Christina Mohr

Past Tense: The Best of Sparks (BMG/ 3 CDs, 58 Songs)

www.allsparks.com

This Town Ain’t Big Enough for Both of Us:
https://www.youtube.com/watch?v=eUJ_ifjKopM

Beat the Clock:
https://www.youtube.com/watch?v=JoMCip83GZ4

„When Do I Get to Sing My Way?“

Les Rita Mitsouko & Sparks, Singing in the Shower:
https://www.youtube.com/watch?v=T6gwIgsHMis

P.S.: Parallel zu „Past Tense“ erscheint eine Sonder-Edition des vor 25 Jahren veröffentlichten Albums „Gratuitious Sax and Senseless Violins“.