Schräg und abseitig
Der Bruch mit den Konventionen lädt ein zu Entdeckungen, die vielleicht immer ein Geheimtipp bleiben werden. Von Jörg von Bilavsky
Denk ich an Folk, denk ich an lange Haare, luftige Klamotten, das weite Land. Und natürlich an politische Protestsongs. Wer so denkt, denkt nicht an die Songwriter des New Urban Folk, die in Amerika nun schon seit mehr als 20 Jahren ihr musikalisches Unwesen treiben. Mit dem äußeren und inneren Habitus einer Joni Mitchell, eines Pete Seeger oder eines Bob Dylan haben sie nichts mehr gemein. Sie kommen „hybride und unorthodox“ daher und bedienen sich „bewusst dilettantischer Ausdrucksmittel“, wie der Antifolk-Experte Martin Büsser im Booklet zur schrägen Kompilation „Sidewalk Songs & City Stories“ sachkundig schreibt.
In der Tat verstören die oft herunter geschrammelten Akkorde und Melodien vieler Songs. Die Sänger und Bands beleben damit ganz bewusst den Kontrast zu den Folk-Barden der 60er und 70er Jahre. Sie vermischen lieber Elemente des rebellischen Punk mit denen des melancholisch-aggressiven Grunge zu einem verzerrten Folkmix oder transportieren über harmonische Lagerfeuermelodien ihre subversiv-grotesken Texte wie „Dufus“, das „Kollektiv mit ständiger wechselnder Besetzung“. Wenn sich die kruden Klänge des New Yorker Duos „Prewar Yardsale“ oder der grantige Gesang von Daniel Johnston erst einmal gesetzt haben, wird schnell klar: Im Big Apple hat sich ein musikalischer Wurm eingenistet, der auf den traditionellen Folk pfeift und zwar meist ziemlich schräg. Aber auch chartkompatible Komponisten wie Adam Green entstammen dieser kaum über einen Kamm zu scherenden Horde unangepasster Musiker.
Allerdings gibt es auf dieser Kompilation kaum einen Künstler, dem ein ähnlicher kommerzieller Erfolg beschieden sein dürfte. Genau dieser Bruch mit den Konventionen lädt ein zu Entdeckungen, die vielleicht immer ein Geheimtipp bleiben werden und einfach nur das Bedürfnis nach schrulliger Musik bedienen. Die „Sidewalk Songs & City Stories“ sind nämlich noch schroffer und spannender als der von Adam Green vor zwei Jahren zusammengestellte Sampler „Antifolk Vol. 1“. Und das will was heißen, wenn auch nur für eine relativ kleine, in Zukunft vielleicht auch größere Zahl von Eingeweihten.
Jörg von BilavskyVarious: Sidewalk Songs & City Stories: New Urban Folk. Trikont, US-0360 (Vertrieb: Indigo).
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