Pick of the Week N° 20
– Seit Jahren bibliografiert, archiviert und kommentiert der Ehrenglauser-Preisträger Thomas Przybilka in seinem BoKAS (= Bonner Krimi-Archiv Sekundärliteratur) wissenschaftliche und publizistische Arbeiten aus aller Welt, die sich mit den unendlichen Facetten von Kriminalliteratur befassen. In unregelmäßig regelmäßigen Abständen erscheinen dann seine unschätzbar wertvollen Zusammenfassungen der aktuellen Sekundärliteratur, die jeder zur Kenntnis nehmen muss, der sich auch nur ein bisschen über seine Lieblingsliteratur kundig machen möchte. Ein solcher „Newsletter“ hat leicht einmal 160 bis 200 Seiten; deswegen empfiehlt CrimeMag unregelmäßig ein paar Titel aus dieser Fülle, die uns besonders bemerkenswert erscheinen.
François Guérif: Du Polar. Entretiens avec Philippe Blanchet
Ähnlich wie Claude Mesplède (siehe hier) ist François Guérif in Frankreich eine Institution in Sachen Krimi. Sein Spezialgebiet ist, neben der Kriminalliteratur, unter anderem der Kriminalfilm. In Gesprächen mit dem Journalisten Philippe Blanchet lässt Guérif die Entstehungsgeschichte der Kriminalliteratur von Conan Doyle bis zu Agatha Christie Revue passieren. Sie sprechen über die modernen amerikansichen Klassiker und über zeitgenössische Größen des Genres, über seine Freundschaften zu Autoren wie Léo Malet oder Jean-Patrick Manchette und seine Zeit als Herausgeber der berühmten französischen Zeitschrift „Polar“.
François Guérif gründete die französische Krimizeitschrift „Polar“, gewann 1997 den Ellery Queen Award, ist Filmkritiker und Autor vieler Bücher zum Film noir (z. B. „Le Film noir américaine“, 1999)
François Guérif: Du Polar. Entretiens avec Philippe Bla.nchet. 320 Seiten. Éditions Payot & Rivages 2013. 2-228-90882-7 / 978-2-228-90882-5. 20,00 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.
Margaret-Anne Hutton: French Crime Fiction 1945‒2005
Die vorliegende Analyse ist die erste umfassende Studie zur Darstellung des Zweiten Weltkriegs in der französischen Kriminalliteratur. Die Autorin hat für ihre Untersuchung mehr als 150 Kriminalromane französischer Schriftstellerinnen und Schriftsteller gesichtet. Neben bekannten Namen wie Simenon, Boileau-Narcejac oder Fred Vargas sind in ihre Untersuchung auch Titel weniger bekannter Autorinnen und Autoren eingeflossen (z. B. E. Abécassis, J. Carraud oder F. Zamponi, um nur wenige aus der Liste der insgesamt 93 Autorinnen und Autoren zu nennen). Sie hinterfragt nicht nur, wie diese Kriminalschriftsteller den WK II in ihren Texten dargestellt haben, sondern suchte zum Beispiel auch nach deren Definition von Straftaten und Straftätern im Zusammenhang mit dem Krieg. Diese Untersuchung über die Verknüpfung der Geschichtsschreibung des WK II und französischer Kriminalliteratur dürfte für frankophile Krimifans von großem Interesse sein, so wie auch das abschließend umfangreiche Verzeichnis weiterführende Literatur.
Inhalt: Introduction / Reopening the Case of Georges Simenon / From Hybrid Whodunit to Cyber-Sleuthing / Crimes, Criminals, and the Forces of Law and Order / Investigative Avatars / Criminal Continuities / Bibliography / Index
Margaret-Anne Hutton ist Professorin für Französisch und Leiterin der School of Modern Languages an der schottischen University of St. Andrews.
Margaret-Anne Hutton: French Crime Fiction 1945‒2005. Investigating World War II. Ashgate 2013. 222 Seiten. 978-0-7546-7669-5. 55,00 £. Verlagsinformationen zum Buch.
Anja Oed / Christine Matzke (Hg): Life is a Thriller
Würde man heute, zum Beispiel während einer Podiumsdiskussion, das Publikum bitten, Namen afrikanischer Krimischriftsteller zu nennen, dann würde man garantiert genannt bekommen: Deon Meyer und Roger Smith, wahrscheinlich noch Alexander McCall Smith. Die beiden erstgenannten Autoren sind zurzeit hochaktuell. Der Name McCall Smith tendiert so langsam zum Vergessen. Aber was ist z. B. (um nur sehr wenige Namen zu nennen) mit Wessel Ebersohn oder James McClure? Die Krimis beider Autoren erschienen in der (inzwischen lange eingestellten) Reihe rororo thriller. Niemand würde sich an diese beiden Autoren erinnern. Mongo Beti (Kamerun), Meja Mwangi (Uganda), Pepela (Angola – „Pepela“ ist übrigens das Pseudonym von Artur Carlos Maurício Pestana dos Santos, ehemaliger Vize-Bildungsminister Angolas) – drei Autoren, deren Krimis im Unionsverlag Zürich erschienen (u. a. in der von Thomas Wörtche bestens geschaffenen und betreuten UT-metro-Reihe) – niemand würde sich erinnern.
Für diejenigen, die mehr über afrikanische Kriminalliteratur erfahren möchten, dürfte der Sammelband „Life is a Thriller“ von höchstem Interesse sein. Vom 9. bis 12. Januar 2008 kam eine Gruppe von Autoren, Professoren und Dozenten, Journalisten und Verleger aus Afrika, Europa und Nordamerika zusammen, um sich an der Johannes Gutenberg Universität in Mainz während des 9. Internationalen Janheinz Jahn Symposiums auszutauschen und zu diskutieren. Thema war „Beyond ‚Murder by Magic‘“ – ihnen ging es darum, einen tieferen und differenzierten Blick in die afrikanische Kriminalliteratur zu werfen. Diskutiert wurde afrikanische Kriminalliteratur, die in neun verschiedenen Landessprachen erscheint: Afrikaans, Englisch, Ewe, Französisch, nördliches Sotho, Portugiesisch, Suaheli, Yorùbá und Zulu. Die beiden Herausgeber haben eine Auswahl der interessantesten Beiträge dieses Symposiums zusammengestellt, welche die verschiedenen nationalen Kriminalliteraturen des schwarzen Kontinents darstellen. Für Interessierte dürften sich mit diesen Beiträgen einige der weißen Flecke auf der literarischen Landkarte Schwarzafrikas verflüchtigt haben. Ausführliche Bibliographien weiterführender Literatur beschließen jeden Essay. Zudem werden neben den hier publizierten Vorträgen bzw. Diskussionsbeiträgen sechs Interviews mit afrikanischen KrimiautorInnen angeboten. Und höchst erfreulich ist die „Checklist“ afrikanischer Kriminalromane in englischer Sprache, die allen Interessierten einen umfassenden wie genauen Blick in die afrikanische Krimialliteratur erlauben wird.
Inhalt: Anj Oed & Christine Matzke: Introduction / 1. Southern Afrika: Ranka Primorac: Nation, detection and time in contemporary Southern African fiction / Matthias Krings: Meet Lance Spearman – your favourite crime-buster / Geoffrey V. Davis: „Old loyalties and new aspirations“– The post-apartheid crime fiction of Deon Meyer / Doris Wieser: Parody in Angolan crime fiction – Pepetela’s „Jaime Bunda“ / 2. West and Central Afrika: Matthew J. Christensen: Violable states – Postcolonial sovereignty, neoliberalism, and generic failure in Tony Marinho’s biothriller „The Epidemic“ / James Gibbs: Crime and punishment in fact and fiction in the Gold Coast during the 1940s – F. Kwasi Fiawoo’s „Toko Atclia / Susanne Gehrmann: On crime without justice – Investigative patterns and the quest for truth in Boubacar Boris Diop’s novels / Anja Oed: „The world has changed“ – Modernity in Kólá Akínlàdè’s detective novel „Owó Èjè“ / Katja Meintel: Francophone crime novels from Sub-Saharan Africa – Generic conventions and the legitimisation of violence / Manfred Loimeier: Life is a thriller – Crime fiction in Nigeria / 3. East Africa: Mikhail D. Gromov: Generic innovation in recent Swahili crime fiction by Ben Mtobwa and Aristablus Elvis Musiba / Said Khamis: Is Abdulla’s Bwana Msa in „Mzimu wa Watu wa Kale“ Conan Doyle’s Sherlock Holmes in disguise? / Uta Reuster-Jahn: Police and judiciary corruption in Tanzanian crime novels / Alina N. Rinkamya: Rewriting gender in Kenyan crime fiction / Karola Hoffmann: Crime fiction as a menas of political propaganda and ideologisation / 3. Bibliography: Christine Matzke: Of guns, ghosts, and gangsters – a preliminary checklist of African and African-Diasporic crime novels in English / 4. Interviews: Manfred Loimeier: Interview with Deon Meyer / Mikhail D. Gromov: Interview with Ben R. Mtobwa / Manfred Loimeier: Interview with Ben R. Mtobwa / Christine Matzke: Girls with guts – Writing a South African thriller. Angela Makholwa in conversation / Manfred Loimeier: Interview with Angela Makholwa / Manfred Loimeier: Interview with Meshack Masondo.
Anja Oed ist Dozentin am Department of Anthropology and African Studies, Universität Mainz, und wissenschaftliche Leiterin der Jahn Library for African Literatures.
Christine Matzke lehrte am African Studies Department der Humbold Universität Berlin. Sie ist jetzt an der Universität von Bayreuth beschäftigt.
Anja Oed / Christine Matzke (Hg): Life is a Thriller. Investigating African Crime Fiction. Selected Papers from the 9th International Janheinz Jahn Symposium 2008. 246 Seiten. 1 farbiges Foto. 4 farbige und 7 s/w Abbildungen. Mainz: Rüdiger Köppe Verlag. 2012 (Mainzer Beiträge zur Afrikaforschung, Bd. 30). 978-3-89645-830-8. 29,80 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.
Thomas Przybilka
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