Teensniper und Kanadanaut
Ein jugendlicher Scharfschütze in Diensten der Polizei, ein friedliebender Ex-Cop, der Tiere töten muss, ein kanadischer Trapper, der zum Mond fliegt. Das sind einige Protagonisten in Adam Johnsons neun Geschichten, die allesamt von den bizarren Auswüchsen einer aus dem Lot geratenen Gesellschaft erzählen. Frank Rumpel sortiert die Storys nach Qualität …
Blackbird ist Scharfschütze bei der Polizei. Er ist 15 und gehört seiner guten Quote wegen zu den besten seines Faches. „Ein Schuss in den Hals, mein Markenzeichen. Die Wunde bricht auf wie eine Orchideenblüte“, kommentiert er einen seiner Treffer. Doch so gut und skrupellos der junge Mann, der, noch keine 13, „beim Sniper-Triathlon in Bonn Gold gemacht hat“, mit dem Gewehr umgehen kann, so wenig ist er in der Lage, seine Emotionen einzuordnen. Beim Schießen überfällt ihn immer wieder Empathie für sein Opfer. „Duck dich, du Blödmann“, flüstert er, während die Kugel bereits den Lauf verlassen hat. Die Kollegen mögen ihn nicht. Sein einziger Freund im Polizeirevier ist ein Bombenroboter, der ihm schließlich, ganz Profi, auch Tipps gibt, wie er das Mädchen ansprechen könnte, in das er sich verliebt hat.
Teensniper
Die Welt in Johnsons Geschichten ist ziemlich aus dem Ruder gelaufen, doch die Figuren in den neun Erzählungen des Bandes haben sich längst an ihre skurrile Züge tragende Umwelt gewöhnt. In der Erzählung „Teensniper“ etwa, ist das Opfer, auf das Blackbird da anlegt, ein Mitarbeiter von Hewlett Packard, der droht, alle Barcodes der Computer-Firma zu löschen. Während sich HP noch der Polizei bedient, haben andere Großunternehmen längst eigene, private Sniperdienste eingerichtet, um sich lästiger Personal-Probleme zu entledigen.
Der heute 43-jährige Autor schickt hier gleich reihenweise am Rand balancierende Figuren ins Rennen. Der Grundton seiner Geschichten ist ruhig, gelegentlich sogar eine Spur melancholisch. In etlichen Varianten erzählt er von einer meist in einer vagen Zukunft angesiedelten, gewalttätigen und rücksichtslosen Gesellschaft, in der sich seine Figuren zurechtzufinden versuchen. Als Ich-Erzähler ist er jeweils nah dran an den Befindlichkeiten seiner Protagonisten, die nicht nur ihrem Tun in einer meist feindlichen Lebenswirklichkeit Sinn abtrotzen müssen, sondern in der Regel auch unfähig sind, mit ihrem Bedürfnis nach menschlicher Nähe und Zuneigung umzugehen.
Neun Geschichten – neun Level
Da ist etwa ein fried- und tierliebender ehemaliger Polizist, der bei der Privatfirma „Rent a Cop“ angeheuert hat, von einem Zoo engagiert wurde und dort die Tier-Populationen gewaltsam im Lot halten muss. Weil ihm manche Tiere leidtun, nimmt er sie mit nach Hause. Sein pubertierender Sohn dagegen entgleitet ihm zusehends. In der Erzählung „Der Satellit Cassini verbreitet Tod und Verderben“ fährt ein trübsinniger Student einmal die Woche den von seiner verstorbenen Mutter gegründeten „Cancer Survivor’s Club“, ein Treffpunkt krebskranker Frauen, mit einem Bus auf Kneipentour. Von deren Lebensenergie angesteckt, verliebt er sich in eine gleichaltrige Krebspatientin.
In der Geschichte „Traumaplatte“ geht einem Paar, das in einem verwaisten Einkaufskomplex einen Laden für kugelsichere Westen hat, rapide die Kundschaft aus, weil sich der guten Nachfrage wegen längst die großen Ketten des Produktes angenommen haben. Ihre 14-jährige Tochter zwingen sie, auch in der Schule eine Weste zu tragen und die glaubt, sich davon nur durch einen drastischen Schritt befreien zu können.
Die neun Geschichten sind von durchaus unterschiedlicher Qualität. Johnson schafft es nicht immer, sie kompakt genug zu Papier zu bringen. Manche hat Längen und verwässert ihr Thema auf dem Weg. In den stärksten aber gelingt ihm ein herrlich bissiges Zerrbild des gesellschaftlichen Hier und Heute, in denen es immer auch um Menschen geht, die sich fest gerannt haben und eingekapselt in ihrer kleinen Welt offenen Auges aneinander vorbeileben.
Am schönsten hat er das in der Erzählung „Kanadanaut“ auf den Punkt gebracht. Sie spielt in den 1960ern in der kanadischen Wildnis, wo Forscher an einem ultrageheimen Raketenprogramm arbeiten. Oberstes Ziel ist, auf jeden Fall noch vor den Russen einen Mann zum Mond zu schicken. Sie setzen schließlich einen schweigsamen Trapper in die Rakete, der heimlich seine schweren Bärenfelle mit an Bord schmuggelt. Er kommt vom Kurs ab. Zurück zur Erde reicht der Treibstoff nicht. Der Trapper gleitet durchs All und schildert den Forschern über Funk seine Eindrücke. Doch der Mann spricht nur Französisch, das in der Bodenstation keiner versteht.
Frank Rumpel
Adam Johnson: Emporium (Emporium, 2002). Storys.
Aus dem Amerikanischen von Peter Torberg.
München: Liebeskind-Verlag 2010. 288 Seiten. 18,90 Euro.
| Englische Leseprobe Trauma Plate
| Interview with Adam Johnson