Geschrieben am 12. Juli 2007 von für Bücher, Litmag

Albero Vigevani: Sommer am See

Flirrende Tage

Die Entdeckung des Erzählers, aber auch und vor allem des großen Verlegers Alberto Vigevani (besonders seine Lebenserinnerungen „La febbre die libri“) steht bei uns noch aus. Der „Sommer am See“ ist da – hoffentlich – nur ein Anfang. Was wären wir nur ohne den editorischen Mut kleiner Verlage…?!

Kleine Verlage sind wichtig und unverzichtbar für das literarische Leben und Überleben unserer Kultur. Man kann dies laut und mit viel Rhetorik hinausposaunen oder an einem Beispiel zu zeigen versuchen. Wer es sich als ein großer Verlag leisten kann, vertraut bei seiner Jagd auf literarisch vermarktbare Neuerscheinungen in anderen, fremdsprachigen Ländern auf seine Scouts oder Agenten. Die lesen dann täglich die einschlägigen Tageszeitungen, surfen durch die immer umfangreicher werdenden o­nline-Auftritte der Verlage oder schnüffelt in den diversen Buchhandlungen herum – die auch immer häufiger zu wenigen Handelsketten gehören. Abends oder in den Ferien trifft man sich dann mit anderen Scouts, Agenten oder literarischen Trüffelsuchern, um seine Ernte zu sichten. Literaturpreise sind ganz wichtig, weil man da alle (scheinbar) interessanten Autoren und Titel wie auf einem Tablett serviert bekommt. Den notwendigen Rest erledigen später die Rechtsabteilungen und Lektorate der deutschsprachigen Verlage. So bekommt man vielleicht die ‚big fishes’ ins Netz, von denen man sich Erfolg bei den Lesern, vor allem aber gute Umsatzzahlen erhofft.

Gut, daß es in diesem Haifischbecken der Bestseller und Spitzenautoren noch einen Verlag wie zum Beispiel die Friedenauer Presse in Berlin gibt. Pro Saison verlegt dieser von Katja Wagenbach seit vielen Jahren geführte Verlag maximal zwei Titel, die dann aber für eine lange Zeit auch im Angebot bleiben und nicht umgehend in die Billigantiquariate abgeschoben werden. Liest man die Erzählung „Sommer am See“ des 1999 verstorbenen mailänder Verlegers Alberto Vigevani, fragt man sich kopfschuettelnd, warum so ein guter Autor und so ein hinreißend leichtes „Sommerbuch“ nicht schon längst in einer deutschen Edition vorliegt. Wie auch immer, durch die Initiative der ‚Friedenauer Presse’ und dank einer exzellenten Übersetzung von Marianne Schneider, ist diese schändliche Lücke auf dem deutschsprachigen Literaturmarkt endlich geschlossen.

Vigevani erzählt mit einer durch Proust-Lektüren geschliffenen Sprache von einem sommerlichen Aufenthalt des am Rande des Erwachsenenwerdens herumflirrenden Giacomo. Wie andere bürgerliche Familien aus Mailand auch, verbrachten die Eltern von Giacomo ihren sommerlichen Urlaub immer am Ufer des Comer Sees. Nichts an den von Vigevani geschilderten Episoden ist sonderlich aufregend, alles verläuft ohne spektakuläre Ereignisse oder des Erwähnens werte Konflikte. Aber sind die Momente des pubertären Erwachens, der herumvagabundierenden Suche nach dem anderen und dem eigenen Geschlecht etwa keine Erschuetterungen, keine Beben in der individuellen Mensch- und Mannwerdung? „Giacomo hatte auf eigene Faust entdeckt, daß Elsa nicht aus lauter Muskeln bestand, sondern von einer so vollen und überzeugenden Schönheit war, daß er sich von ihr angezogen fühlte.“ Was folgt sind nicht drastische Verführungsszenen, sondern ganz behutsame Näherungen an den Körper des und der Anderen. Gerade wegen der zarten, scheinbar so leicht dahingetuschten Porträts der zusammen mit Giacomo am Comer See urlaubenden gleichaltrigen Freundinnen und Freunde, wird man von dieser so stillen, vollkommen unscheinbar daherkommenden Erzählung gebannt.

„Die Vergangenheit in etwas Mythisches oder die Trugbilder der Zukunft in etwas konkretes zu verwandeln, dazu trieb ihn der Blick seines Freundes, so unverwandt, als würde er träumen oder alles, was er erzählte, auf einer Kinoleinwand sehen: noch größer und wahrer als es ihm selbst erschien.“ Zeitlich ist diese Erzählung angesiedelt in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Giacomo, das Alter Ego des Autors, entstammt dem jüdischen mailänder Bürgertum. Nichts in der Erzählung deutet direkt darauf hin, was italienischen Juden ab den späten dreißiger Jahren, vor allem in den frühen vierziger Jahren angetan wurde. Und doch, wissend um das Schicksal der Familie Vigevani , die zum Exil in die Schweiz gezwungen wurde, liest man immer die große Geschichte mit, wenn scheinbar nur von sommerlich leichten Ferienepisoden die Rede ist. An einer Stelle in ihrem dem Buch in Lakonie und Feinheit ähnelnden Nachwort, informiert uns Marianne Schneider, daß Vigevani „mehrere Romane, Erzählungen und Gedichte“ geschrieben habe. Nach der Lektüre dieser Sommergeschichte können wir nur auf weitere Übersetzungen dieses Autors hoffen. Die Entdeckung des Erzählers, aber auch und vor allem des großen Verlegers Alberto Vigevani (besonders seine Lebenserinnerungen „La febbre die libri“) steht bei uns noch aus. Der „Sommer am See“ ist da – hoffentlich – nur ein Anfang. Was wären wir nur ohne den editorischen Mut kleiner Verlage…?!

Carl Wilhelm Macke

Albero Vigevani: Sommer am See. Eine Erzählung. Aus dem Italienischen von Marianne Schneider. Friedenauer Presse Berlin, 127 S., Berlin, 2007