Marseille-Krimi?
Wer im kriminalliterarischen Milieu „Marseille“ sagt, hat – nolens volens – auch Jean-Claude Izzo aufgerufen. Ein gewaltiger Schatten, den dessen Marseille-Trilogie wirft, in dem eine Menge schlechter und mittlerer Autoren schon verschwunden sind. Ganz so schlimm hat es Alexander Schwarz nicht getroffen, findet Joachim Feldmann.
Sechs Millionen Franc hatten sie bei dem Überfall auf einen Geldtransporter erbeutet. Mehr als genug für ein angenehmes Leben. Doch dann wird der Euro eingeführt. Und die regelmäßigen Überweisungen, mit denen Jean Rivette sein karges Kellnersalär aufbessern konnte, bleiben aus. Nun muss er seinen Zufluchtsort in der Schweiz verlassen und zurück nach Marseille, wo sein Komplize das Geld verwahrt. Er weiß nicht, dass ihn die Polizei schon erwartet.
Kommissar Luc Garnier hat Jean Rivette nicht vergessen. Schließlich sind bei dem Überfall zwei Wachleute ermordet worden. Das Bild des Täters hing jahrelang über seinem Schreibtisch. Als seine Tochter Julie, die in der Schweiz eine Ausbildung absolviert, anruft und ihm erzählt, dass sie in dem Kellner eines Berggasthofs Rivette erkannt habe, ist er alarmiert.
Knapp und präzise …
Jill Fay will weg aus Perpignan. Raus aus der schäbigen Hochhauswohnung, die sie mit ihrer psychisch labilen Mutter teilt. In Marseille wartet bereits ihr Freund Ollie auf sie. Das hofft sie zumindest. Und sie hält es für einen glücklichen Zufall, als der junge Fahrer eines luxuriösen Geländewagens anbietet, sie bis kurz vor Marseille mitzunehmen.
Dies sind nur drei der Geschichten, die Alexander Schwarz in seinem Krimi-Debüt Flip rouge zu einem ebenso komplexen wie furiosen Plot zusammenführt. Flip rouge, das steht für eine neue synthetische Droge mit einem tödlichen Potenzial. Unter den Süchtigen Marseilles hat sie bereits acht Opfer gefordert. Gleichzeitig scheint unter den Drogenbanden an der Cote d’Azur ein brutaler Machtkampf ausgebrochen zu sein. Und niemand weiß, wer die Fäden zieht.
Andere Autoren hätten einen solchen Stoff auf mindestens 500 Seiten gestreckt. Alexander Schwarz kommt durch eine Redundanzen weitgehend vermeidende Erzählweise mit der Hälfte aus und hält so die Spannung auf einem durchgängig hohen Niveau. Ähnlich ökonomisch wünschte man sich allerdings manchmal auch die sprachliche Gestaltung dieses bemerkenswerten Kriminalromans. Muss das Kunstlicht des anatomischen Instituts, in dem die Leichen der Drogentoten untersucht werden, unbedingt mit dem Klischee-Attribut „gnadenlos“ versehen werden? Und das sofort auf der ersten Seite. Dabei versteht sich der Autor, wie die folgenden Kapitel zeigen, durchaus auf einen knappen, harten Stil.
Doch genug der Mäkelei: Angesichts der Flut grotesker Psychothriller, abstruser Serienkillerepen und dilettantischer Mordgeschichten aus der Region, ist die Freude über einen handwerklich akzeptablen, wohltuend konzentrierten Spannungsroman groß. Und die Ankündigung des Verlages, dass es sich bei Flip rouge um den ersten Band einer Trilogie handelt, betrachtet man angesichts des offenen Endes nicht als Drohung, sondern als Versprechen:
Joachim Feldmann
Alexander Schwarz: Flip rouge. Roman.
Bielefeld: Pendragon Verlag 2009. 256 Seiten. 9,90 Euro.