Geschrieben am 1. Januar 2005 von für Bücher, Litmag

Amélie Nothomb: Kosmetik des Bösen

Der Teufel in Verkleidung

Amélie Nothomb perfektioniert in Kosmetik des Bösen, was sie am besten kann: leicht, witzig und schnell von unerhörten Begebenheiten und menschlichen Abgründen erzählen. Von Markus Kuhn

Amélie Nothomb veröffentlicht jedes Jahr einen neuen Roman, der in Frankreich regelmäßig die Bestenlisten stürmt. Wie sie das macht, wie sie leichtgängige Geschichten am laufenden Band produziert, ohne dabei ins Triviale abzurutschen oder langweilig zu werden, zeigt ihr neuer Roman Kosmetik des Bösen in mustergültiger Form.

Absurde Konstellationen

Regel Nummer eins: man nehme eine außergewöhnliche oder absurde Konstellation. Auf den ersten Blick scheint der Anfang von Kosmetik des Bösen, die Begegnung zweier Passagiere, die genervt auf den verspäteten Flieger warten, alles andere als ungewöhnlich: einer der beiden, Jérôme Angust, möchte lesen, der andere, Textor Texel, quatscht ihn voll. Je genervter der eine, desto aufdringlicher der andere. Doch die Harmlosigkeit täuscht: Textor, der beginnt, die dunklen Punkte seiner Vergangenheit auszubreiten, war nicht nur ein aufgrund seiner Hässlichkeit besonders ungeliebtes und gehänseltes Kind, sondern hat eine Vergewaltigung begangen. Minutiös schildert er Jérôme seine perverse Tat und vergisst nicht, darauf hinzuweisen, dass eine Anzeige bei der Polizei folgenlos bliebe, weil es keine Beweise gebe.

Regel Nummer zwei: so witzig und locker schreiben, dass die Abgründe des Bösen von dem schnellen, leicht lesbaren Erzählfluss überschminkt werden, dass das Unerhörte normal erscheint und der Leser folgt, ohne nachzuhaken. Kosmetik des Bösen besteht zu großen Teilen aus alltäglicher wörtlicher Rede: dem Dialog zwischen Jérôme und Textor. Das Ungeheuerliche schleicht sich durch die Hintertür. Jérôme ist gezwungen, Textors Ausführungen zu folgen, weil alle Versuche, sich seinem Reden zu entziehen – andere Passagiere hinzuziehen, Ohren zuhalten, die Flughafenpolizei rufen –, scheitern. Mit ihm wird der Leser in die seelischen Abgründe Textors gezogen. „Warum sollte ich zu einem Psychologen gehen“, fragt Textor, „wenn es auf Flughäfen nur so wimmelt von Leuten, die nichts anderes zu tun haben als mir zuzuhören?“

Regel Nummer drei: mit Wendepunkten die Spannung steigern. Der erste: Textor hat nicht nur vergewaltigt, sondern auch gemordet. Und das Opfer sei nicht irgendeine Frau, sondern, so behauptet Textor, Jérômes Ehefrau. Hat Textor Jérôme doch nicht nur zufällig unter all den wartenden Passagieren ausgewählt? Der Mord an Jérômes Frau konnte nie aufgeklärt werden. Sitzt der Mörder neben ihm?

Bissiger Stil, teuflischer Witz

Regel Nummer vier: das Potential des Themas ausschöpfen. Alle folgenden Wendepunkte vertiefen die moralische und psychologische Dimension der Geschichte: Ist das Böse nur die Kehrseite des Guten? Führt die Verdrängung des Triebes zur Schizophrenie? Wie groß ist die zerstörerische Kraft eines schlechten Gewissens? … Es ist das Talent Nothombs, Hintergründe einzuspielen, ohne den Text zu überlasten.

Freilich sind ihre thematischen Ausflüge nicht besonders tiefschürfend, denn Regel Nummer fünf befolgt Nothomb mit größter Konsequenz: Schnell auf den Punkt kommen und keine überschüssigen Details einbauen. Nothombs Romane haben die Länge einer Erzählung, Kosmetik des Bösen ist gut 100 Seiten lang. Das Tempo ist schwindelerregend, der Erzählerbericht straff, wörtliche Rede prallt unvermittelt aufeinander. Ausgeschmückte Szenen gibt es selten, die Bedeutungsdichte ist gering. Hier zeigt sich auch eine der Schwächen Nothombs: Viele der schmucklosen, die Geschichte durchhechelnden Sätze könnten einer grotesken Anekdote entstammen, die man beim letzten Treffen mit Freunden im Café gehört hat. In Erinnerung bleibt nichts als die Skurrilität der Story, die verrückte Idee.

Amélie Nothomb erfüllt mit geschickt komponierten Romanen Jahr für Jahr die Sehnsucht ihrer Leser nach unglaublichen Geschichten. Dass sie dabei immer wieder das gleiche Rezept anwendet, stört weder sie noch ihre Fans. Denn die bekommen, worauf sie warten: ihren bissigen Stil, ihren teuflischen Witz und abgründige Charaktere, die das Böse hinter der Maske engelhafter Unschuld verbergen.

Markus Kuhn

Amélie Nothomb: Kosmetik des Bösen. Aus dem Französischen von Brigitte Große. Diogenes Verlag, März 2004, 107 Seiten, 14,90 Euro.

28.03.2004