Hauen und Stechen im Zeitungsmilieu
– „Der Job bei Psst!, hatte auch seine Nachteile: es war eine Anstellung auf Zeit, sie war unterfordert und schlecht bezahlt.“ „Zeilenkrieg“ von Annalena McAfee ist ein Must-have für Journalisten und alle am Journalismus interessierten Leser: Es geht um öde, trockene, aber hochkarätige Leitartikel, um grauenhafte Reiseberichte über englische Seebäder und dämliche Ratings nach dämlichen Mustern. Auch wenn der Roman von McAfee manchmal ein bisschen zu brillant und zu namedroppig daher kommt, die Story ist pointensicher, hochamüsant – und natürlich auf deutsche Zeitungsimperien übertragbar. Von Christiane Geldmacher
Annalena McAfee erzählt die Geschichte zweier Journalistinnen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Honor Tait, knapp 80, ist ein Urgestein des Old-School-Journalismus. Früher war sie mal Kriegsreporterin – sie pflegte ihre Schreibmaschine im Kugelhagel auf Bodentruppenjeeps zu platzieren – und berichtete für die Herald Tribune über den Spanischen Bürgerkrieg, die Landung der Alliierten in der Normandie und den Vietnamkrieg. Sie bewegte sich in illustren Kreisen, begegnete Elizabeth Taylor, Frank Sinatra, Marilyn Monroe, Pablo Picasso, Fidel Castro, und Robert Capa aus „ihren Magnumzeiten“. Sie gewann den Pulitzerpreis, trägt höchste journalistische Ansprüche wie eine Monstranz vor sich her und ist nicht bereit, nassforsche, übergriffige Fragen junger Möchtegernjournalistinnen zu beantworten.
Die nassforsche, übergriffige Möchtegernjournalistin mit zu viel Interesse für Honor Taits Privatleben heißt Tamara Sims und schreibt miese Kolumnen im miesen Teil des Monitor, einem englischen Zeitungsimperium. Ihr journalistischer Ehrgeiz besteht darin, möglichst ohne Umwege über nervtötende Einzelressorts direkt in den fünften, den obersten, den interessantesten Stock der Zeitung aufzusteigen. Sims will zum Herausgeber, zur Chefredakteurin, zum S*nday Magazine, der angesehenen Wochenendbeilage der Tageszeitung.
Der Termin bei Tait wird für Sims jedoch ein Desaster. Die junge Journalistin hat sich schlecht vorbereitet und ein einschlägiges Buch Taits nicht gelesen, weil sie deren geschraubte Ausdrucksweise nicht erträgt und ehrlich gesagt auch weder den intellektuellen Tiefgang noch das historische Grundwissen hat, den Ausführungen der gebildeten Dame zu folgen. Tait blickt nicht ganz zu Unrecht auf die naive Kleine runter, „die aus irgendeinem Zufall hin und wieder kleine Meldungen für eine Zeitschrift verfasste, statt Barcodes an der Kasse eines Supermarkts zu scannen“. Und so gehen die beiden Frauen voller Hass auseinander.
Doch ihr Verhältnis bleibt asymmetrisch. Sims kann es sich nicht leisten, das Projekt Tait fallen zu lassen, weil die alte Frau ihr Freifahrtschein an die Seite der Chefredakteurin ist. Immer wieder erniedrigt sie sich, um Kontakt zu Honor herzustellen – die ihn verweigert –, geht auf Veranstaltungen, hört ihren sturzlangweiligen Vorträgen zu, lauert der misslaunigen Alten vor dem Haus auf. Eines Tages entdeckt sie an ihrer Seite einen jungen Mann: Und nun hat sie endlich ihre Story: Der Kerl wird von Tait für Sexdienste bezahlt! Sims schnappt ihn sich, geht ihrerseits mit ihm ins Bett und entlockt ihm Geständnisse – die sich allerdings als falsch herausstellen werden. Davon ahnt Sims allerdings nichts, als sie ihren erbärmlichen Artikel zusammenschustert. Es wird ihr großes Glück sein, dass er dank binnenredaktioneller Intrigen nicht unter ihrem eigenen Namen erscheint.
Grandiose Nebenfigur: die Zeitung
Am unterhaltsamsten ist „Zeilenkrieg“, wenn McAfee die Zeitung selbst schildert. Das Blatt residiert in den fünf Stockwerken eines unansehnlichen Betonklotzes – das eigentliche Verlagsgebäude wurde an eine auf Verleumdungen spezialisierte Anwaltskanzlei verkauft – und der momentane Besitzer kommt aus der ehemaligen Sowjetunion. Im Untergeschoss ist die Tratsch- und Fernsehredaktion in einem fensterlosen Gang zwischen Toilette und Kantine eingepfercht, daneben die Onlineredaktion mit ihrer Horde gepiercter junger Leute (damals; wir schreiben das Jahr 1998). Im Erdgeschoss schuften die Nachrichtenredaktion, das Auslandsressort, die Poststelle und die Anzeigenabteilung; im 1. Stock die Sportredaktion, das Personalbüro, Vertrieb und Marketing; im 2. Stock werden Partys und Zirkusveranstaltungen geplant, im 3. Stock sitzen die gebildeten Redakteure aus dem Feuilleton, das Moderessort und das Archiv, im 4. Stock schreiben das Politikressort, die Kommentatoren sowie die beiden Einzelkämpfer aus dem Nachruf und dem Kreuzworträtsel und im 5. Stock schließlich thront die Chefredakteurin Lyra Moore mit dem S*nday-Magazine-Team und dem Herausgeber Austin Wedderburn.
Der kennt fünfzig verschiedene Ausdrücke für „Nein“.
„Nur für seinen persönlichen Gebrauch hatte er einen alten Lastenaufzug beschlagnahmt, mit dem früher Paletten voller Papier aus dem Untergeschoss zu den Druckmaschinen in die oberen Stockwerke transportiert worden waren. Die nackten Aluminiumwände waren mit Kunststoff verkleidet, der nach Velours aussehen sollte. Wie eine Raumschiffkapsel katapultierte der Lift Wedderburn vom Parkplatz seines Chefs geradewegs in den fünften Stock hinauf, damit er seinen Schreibtisch erreichte, ohne sich durch einen zufälligen Blick auf den Pöbel bei Psst!, die Sklaven in der Nachrichtenredaktion, die Rowdys der Sportredaktion oder die kindische Bande in der ME2-Redaktion den Tag verderben zu lassen.“
Ich wünschte mich weit fort
Annalena McAfee, die viele Jahre im britischen Journalismus gearbeitet hat und mit dem Schriftsteller Ian McEwan verheiratet ist, hat eine scharfsinnige Satire über das Zeitungswesen geschrieben. Vor allem Journalisten werden sich über das Buch amüsieren, da einige von ihnen sicher auch bei Verbandszeitschriften wie Rappeln in der Kiste: Die Stimme der Verpackungsindustrie oder Glasur heute: Vierteljahresschrift des staatlich geprüften Instituts für Lebensmitteldesign oder Die Mangel: Nachrichten aus der Wäsche- und Reinigungsindustrie ihre Karriere angefangen haben werden. Oder Beiträge wie Ich wünschte mich weit fort, eine Bildreportage über die schlimmsten Badeorte in Großbritannien, geschrieben haben.
Als Journalistin muss man wissen, wie man die Klaviatur Zeitung spielt. McAfees Buch ist ein wunderbarer Blick hinter die Kulissen knallharter Printmedien, die sich gegenseitig die Storys, die Anzeigenkunden und deren Weihnachtsgeschenke abjagen.
Christiane Geldmacher
Annalena McAfee: Zeilenkrieg. Roman. Zürich: Diogenes Verlag 2012. 480 Seiten. 22,90 Euro. Foto McAfee: Homepage der Autorin.
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