„Hauptsache kräftig draufhauen“
Italienische Kriegsverbrechen in Afrika
Italiani, brava gente? Weit verbreitet ist unter Italienern das Selbstbild, man sei ein ‚braves Volk’. Hin und wieder ein Skandal, auch die Mafia kann man nicht so ganz unterschlagen, aber in der jüngeren Geschichte habe man sich doch ganz brav verhalten. Haben sich nicht die Italiener in einer heldenhaften ‚Resistenza’ von der deutschen Wehrmacht und dem Duce-Faschismus befreit? Aber dieses Selbstbild trügt und hält einer genaueren Untersuchung von kollektiven Gewaltexzessen mit italienischer Beteiligung nicht stand. Der „Resistenza-Mythos“ wurde in den letzten Jahren durch eine Unzahl von historischen Untersuchungen zumindest relativiert. Und war da nicht auch noch etwas mit italienischen Truppen Anfang der dreissiger Jahre in Afrika?
Kramt man in den Erinnerungen italienischer Familien, stösst man in auffallend vielen Fällen auf Namen von Männern, die in Afrika den ‚Heldentod’ gestorben sind oder die dort während der faschistischen Jahre gekämpft haben. Was aber genau dort passiert ist, weiß man nicht mehr oder will es auch nicht mehr wissen. Ein den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen ähnelndes Gerichtsverfahren hat es nie gegeben. Inzwischen liegen jedoch über diese Expansionszeit des italienischen Faschismus eine Unmenge an Detailstudien vor, die Leugnungen oder Verdrängungen nicht mehr erlauben.
In Italien war es vornehmlich der Historiker Angelo del Boca, der ebenso nüchtern wie obsessiv diesen weissen Fleck der italienschen Geschichte im XX. Jahrhundert erforscht hat. Seine Erkenntnisse über das barbarische Wüten italienischer Soldaten in Afrika, vor allem im sogenannten ‚Abessinien-Krieg’ Mitte der dreissiger Jahre, wurden in der Öffentlichkeit zunächst infrage gestellt oder relativiert. Inzwischen aber erhält er für die Gründlichkeit seiner Recherchen bereits angesehene Kulturpreise und die Seriösität seiner Forschungen wird von niemanden mehr bezweifelt.
Auf del Boca stützt sich auch der Schweizer Zeithistoriker Aram Mattioli, der seine eigenen Forschungen jetzt unter dem Titel „Experimentierfeld der Gewalt“ zusammengefasst hat. Von Mussolini wird der Befehl überliefert, mit dem er seinen Oberbefehlshaber Emilio de Bono in den Osten des afrikanischen Kontinents geschickt hat: „Hauptsache ist, schnell machen und kräftig draufhauen“. Und dieser Befehl wurde auch wörtlich ausgeführt. In der Zeit zwischen 1935 und 1941 fielen zwischen 350.000 und 760.000 Äthiopier einem brutalen, einzig dem Expansionsdrang des faschistischen Italiens geschuldeten Krieg zum Opfer. Chemische Waffen wurden gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt als handele es sich um Ungeziefer – was ja wohl auch der Meinung der Obersten Heeresleitung entsprach. Und dieser Ausrottungsfeldzug, so jedenfalls die These von Aram Mattioli, war für die im XX. Jahrhundert noch kommenden militärischen Grossverbrechen so etwas wie ein „Experimentierfeld der Gewalt.“ Diese „Eroberungs- und Pazifizierungskriege Italiens in Nord-und Ostafrika müssen künftig als wichtige Wegmarken in einer vergleichbaren Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts Beachtung finden.“ Mattioli relativiert mit dieser Untersuchung weder die Nazi-Kriegsverbrechen noch entlastet er die Verantwortlichen anderer Kriegsgreuel im 20, Jahrhundert (etwa während der sog. ethnischen Säuberungen in den Balkankriegen ab den neunziger Jahren). Den Mythos von den ‚braven Italienern’ hat vor ihm bereits in aller notwendigen Klarheit Angelo del Boca zerpflückt. Darauf fußend erweitert Aram Mattioli jedoch den Blickwinkel auf das gesamte ‚europäische Katastrophenzeitalter’, in dem der italienische Abessinienkrieg nur ein, allerdings zentrales Ereignis darstellt. „ Hier hinterliess das faschistische Italien sein widerwärtiges Gesicht. Hier hinterliess es eine Blutspur als Massentötungsregime; hier bereitete es einem neuen Zeitalter der Gewalt den Weg.“
Carl Wilhelm Macke
Aram Mattioli: Experimentierfeld der Gewalt. Der Abessinienkrieg und seine internationale Bedeutung 1935 – 1941
Orell Füssli Verlag. Zürich, 2005, 239 S.